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„Hämophilie – eine Zeitreise“

In der digitalen Seniorenvorlesung des Fachbereichs Medizin beschäftigt sich Prof. Bettina Kemkes-Matthes mit der Geschichte der „Bluterkrankheit“ und aktuellen Therapiemöglichkeiten

Nr. 72 • 12. Mai 2022

Die Hämophilie, auch Bluterkrankheit genannt, ist eine Erkrankung, die X-chromosomal vererbt wird und daher – mit vereinzelten Ausnahmen – nur das männliche Geschlecht betrifft. Doch während das Schicksal der betroffenen Patienten noch bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts meist unausweichlich war und häufig früh zum Tode führte, gibt es inzwischen sehr gute Behandlungsmethoden. In der digitalen Seniorenvorlesung des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beschäftigt sich Prof. Dr. Bettina Kemkes-Matthes im Mai unter dem Titel „Hämophilie – eine Zeitreise“ mit den historischen Entwicklungen ebenso wie mit Zukunftsszenarien und rückt damit eines ihrer Spezialthemen in den Fokus.

Der aktuelle Beitrag ist, ebenso wie die Vorträge aus den vergangenen Semestern, auf der Homepage verfügbar: www.med.uni-giessen.de/senioren.

Prof. Kemkes-Matthes, Fachärztin für Innere Medizin und zugleich Organisatorin der Seniorenvorlesungen des Fachbereichs Medizin, beschreibt die rasante Entwicklung, die die Behandlung von Hämophilie-Patienten genommen hat und geht zudem auf modernste Therapieverfahren ein.

Noch bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts verstarben die Betroffenen oft im jungen Alter an Blutungskomplikationen oder verkrüppelten durch rezidivierende Einblutungen in die großen Gelenke, vor allem in die Kniegelenke. Eine Teilnahme am Arbeits- und sozialen Leben war in der Regel unmöglich, erläutert die Expertin. Erst seit Beginn der 1970er-Jahre kamen aus menschlichem Blut hergestellte Faktorenkonzentrate auf den Markt, die eine effiziente Blutungsbehandlung und sogar eine Heimselbstbehandlung ermöglichten: Hämophilie-Patienten lernten, sich selbst intravenös das benötigte Konzentrat zu spritzen, üblicherweise dreimal pro Woche – eine recht aufwändige Prozedur. Für die Betroffenen kam dies jedoch einer Erlösung gleich: Bei jungen Menschen konnte die Gelenkfunktion erhalten werden, Arbeit und sportliche Aktivitäten waren plötzlich möglich.

Die Freude währte für viele allerdings nicht sehr lange: In den Jahren um 1980 wurde annähernd die Hälfte der von schwerer Hämophilie Betroffenen über die Faktorenkonzentrate mit HIV infiziert, viele auch mit Hepatitis. Ungefähr die Hälfte der Hämophilie-Patienten Europas und auch Nordamerikas starb in den darauffolgenden Jahren an HIV. Glücklicherweise gelang es danach innerhalb weniger Jahre, Virus-sichere Konzentrate herzustellen, und seit 1986 ist keine HIV-Übertragung über Faktorenkonzentrate mehr bekannt geworden.

Heute werden schwer hämophile Patienten vom ersten Lebensjahr an regelmäßig mit Faktorenkonzentraten versorgt und können – dank aufwändiger und teurer Behandlung – ein annähernd normales Leben führen. In den letzten Jahren wurde die Behandlung der Hämophilie A (Mangel an Faktor VIII) weiter revolutioniert, führt Prof. Kemkes-Matthes aus. In Japan sei es gelungen, einen Antikörper herzustellen, der die Funktion des Faktor VIII imitiert: Dieser Antikörper habe die FDA, die amerikanische Zulassungsbehörde, im „Break through Status“ passiert – genauso wie im Jahr 2021 die Corona-Impfstoffe. Seit 2019 sei das Präparat unter dem Namen HemlibraR  in Deutschland zugelassen und werde inzwischen von vielen Patienten genutzt: Statt bis zu dreimal wöchentlicher intravenöser Faktorengabe sei damit nur noch eine wöchentliche subcutane Injektion nötig. Und die Entwicklung geht weiter: „In diesem Jahr wird die nächste Revolution auf dem Gebiet der Hämophilie-Behandlung erwartet: die Gentherapie für die Hämophile A und kurze Zeit später wohl auch für die Hämophilie B ist in greifbare Nähe gerückt – und damit die Chance auf eine Art Heilung dieser noch vor einigen Jahrzehnten so bedrohlichen Erkrankung“, sagt die Expertin.

Prof. Dr. Bettina Kemkes-Matthes ist Internistin, Hämatologin / Onkologin, Angiologin sowie Hämostaseologin und hat in den Jahren 2006 bis 2020 den Interdisziplinären Schwerpunkt für Hämostaseologie am Standort Gießen des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) aufgebaut und geleitet. Die Expertin ist weiterhin „der Gerinnung“ treu geblieben und engagiert sich auch im Ruhestand wissenschaftlich sowie in der Patientenversorgung. Für den Fachbereich Medizin der JLU organisiert sie die Seniorenvorlesungen.


  • Termin

Seniorenvorlesungen 2022: www.med.uni-giessen.de/senioren. Auch die Vorträge aus den vergangenen  Semestern sind auf der Homepage weiterhin verfügbar.


  • Weitere Informationen

www.med.uni-giessen.de/senioren


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