Die Ostraka der Kerameikosgrabung in Athen
Ostrakismos
Durch das Scherbengericht (Ostrakismos) konnten die Athener des 5. Jahrhunderts v. Chr. einen Mitbürger ohne weitere Begründung verbannen. Jährlich etwa im Januar entschieden sie, ob eine Scherbensammlung (Ostrakophorie) stattfinden sollte oder nicht. Bei einfacher Mehrheit dafür setzten sie einen Tag etwa im März für die Abstimmung fest. Die Zwischenzeit wurde für politische Propaganda genutzt. In der Agora, dem politischen Zentrum, schrieben die Bürger dann einen Namen meist mit einem spitzen Werkzeug auf eine Scherbe (Ostrakon), bevor sie einen abgegrenzten Bezirk betraten. Dabei wurde kontrolliert, ob sie stimmberechtigt waren - und daß sie nur eine einzige Scherbe abgaben. Gefordert war wohl ein Quorum von 6000 Stimmen. Wer die einfache Mehrheit erhielt, mußte Attika innerhalb von zehn Tagen für zehn Jahre verlassen. Sein Besitz wurde nicht angetastet, und nach der Rückkehr konnte er seinen Platz im öffentlichen Leben wieder einnehmen. |
Vom Hortfund im Kerameikos: eine kleine Auswahl von Ostraka aus Feinkeramik gegen Megakles und Themistokles.
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Eine Schale des Pan-Malers in Oxford (470/460 v. Chr.)
zeigt wahrscheinlich die Auszählung der Ostraka
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Ostrakisierungen
Der erste Ostrakismos wurde 487 v. Chr. durchgeführt. Er traf Hipparchos, einen Verwandten des verbannten Tyrannen Hippias. Im Jahr darauf müßte Megakles aus der Familie der Alkmeoniden gehen, 484 v. Chr. Xanthippos, der Vater des Perikles. 482 v. Chr. entschied die Ostrakisierung des Aristeides seinen Streit mit Themistokles um den Flottenbau gegen die persische Bedrohung. Die Ostrakophorie von 471 v. Chr. führte zum zweiten Exil des Megakles, dem viele einen protzigen Lebensstil vorwarfen. Der Hauptkonkurrent war wiederum Themistokles, der dann im Jahr darauf Athen verlassen mußte. Die Ostrakisierung des konservativen Kimon 461 v. Chr. markierte den Wandel hin zu mehr Demokratie, und auch die Verbannung des Thukydides Melesiou um 442 v. Chr. war eine politische Entscheidung, diesmal für Perikles. Weitere Ostrakisierungen sind nicht sicher datiert. 416 v. Chr. vereinigten die eigentlichen Kontrahenten Nikias und Alkibiades ihren Einfluß gegen den Demagogen Hyperbolos. Weil dieses Ergebnis offenbar nicht gewollt und das Verfahren damit diskreditiert war, wurde keine weitere Ostrakophorie durchgeführt. |
Zweck des Ostrakismos
Im 4. Jh. v. Chr. interpretierten Verfassungstheoretiker das Ostrakismosgesetz als Notbremse gegen potentielle Tyrannen, doch der festgelegte Ablauf, die Beschränkung auf ein Opfer pro Jahr und die milde Strafe machten das Scherbengericht nicht zum geeigneten Mittel gegen eine akute Bedrohung. Es ist vielmehr ein politisches Ritual, ein Damoklesschwert über allen, die mehr sein wollten als ihnen das Volk zugestand. |
Der sonst unbekannte Kallias Kratiou wird
auf vielen Ostraka von 471 v. Chr. mit den Persern in
Verbindung gebracht - keine Kleinigkeit während der Perserkriege.
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Der Steinkauz auf einer Stimmscherbe gegen Megakles:
Das Wappentier Athens als Ausdruck der Volks-Souveränität gegenüber dem Erbadel?
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Bedeutung der Ostraka
Als unmittelbare Zeugnisse beleuchten die Ostraka historische Ereignisse und die politische Tagesdiskussion oder bereichern unsere Kenntnis von den Personen, die im 5. Jh. v. Chr. in der Ãffentlichkeit standen. Auch für die Verbreitung der Schriftlichkeit oder die Entwicklung von Sprache und Schrift sind die Ostraka eine wichtige Quelle. So sind von Schreibfehlern manche Ausspracheregeln abzuleiten, und die Entwicklung der Buchstaben von attischen zu ionischen Formen läßt sich gut verfolgen. Die Archäologie profitiert unter anderem beim Datieren von Gebrauchsgefäßen. |
Ostraka im Kerameikos
Bislang wurden über 10.500 Ostraka gefunden, davon rund 9000 in der deutschen Kerameikosgrabung. Die meisten davon stammen aus einem aufgeschütteten Altarm des Eridanos. Sie sind durch zahlreiche Anpassungen eng miteinander verflochten und bilden deshalb einen geschlossenen Komplex. Als Hortfund sind sie repräsentativ für die Abstimmung von 471 v. Chr. und werfen ein Schlaglicht auf die führenden Männer, die politische Situation und die Keramik zu diesem Zeitpunkt. Manches erschließt sich erst auf den zweiten Blick: unter der ausgeführten Schrift existiert eine sehr feine Vorzeichnung des Namens und einer unklaren Zusatzbemerkung, die sich auf "Jenseitiges" (Land?) bezieht.
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Kein geübter Schreiber, denn auch drei Anläufe bringen keine Klarheit!
Wahrscheinlich ist Themistokles gemeint.
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Aristeides, Themistokles, Megakles und Kimon - sie alle wurden in einem Zeitraum von 20 Jahren ostrakisiert. Diese Scherben aber passen aneinander an und stammen von 471 v. Chr., als Megakles zum zweiten Mal verbannt wurde. |
Publikation der Kerameikos-Ostraka
Der Hortfund von 1966-1969 wurde erst teilweise und unter speziellen Gesichtspunkten veröffentlicht, denn seine schiere Menge und Komplexität, die nie ganz abgeschlossene Zusammenfügung der rund 20.000 Einzelfragmente und der Schriftzustand auf den teilweise stark vergangenen Oberflächen haben die detaillierte Materialvorlage immer wieder verzögert. |
Literatur: |
Ansprechpartner: Dr. Stefan Brenne