Sturm auf die Männerhochburg
Top-Journalisten diskutieren über Geschlechterverhältnisse Von Michael Reitz
Gießen. Wie kann man Mauern einreißen und die Beharrungskräfte der traditionellen Männerhochburg Journalismus überwinden? Mit diesen Fragen beschäftigten sich im Wintersemester Studierende der Fachjournalistik Geschichte an der Justus-Liebig-Universität (JLU) unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrike Weckel in dem Seminar „Journalistinnen. Meinungsmacherinnen in der Minderzahl“. Zum Ende des Semesters luden die Nachwuchsjournalisten in Kooperation mit dem Gießener Büro für Frauen- und Gleichberechtigungsfragen zu einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zum Thema „Männerhochburg Journalismus. Wie Frauen den Journalismus verändern“ in den Hermann-Levi-Saal des Rathauses ein. Autor, Regisseur und Kulturjournalist Robin Detje, Chris Köver, Mitbegründerin des feministischen Missy Magazines, Carmen Thomas, die erste Sportmoderatorin im deutschen Fernsehen, und der freie Journalist Georg Cadeggianini folgten der Einladung. Bascha Mika, die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, musste kurzfristig doch noch absagen. Moderiert wurde die Runde von den Studentinnen Tabea Bodenstedt und Friederike Piotrowski.
Gießens Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) meinte zur Eröffnung, dass das Problem der Benachteiligung von Frauen im „privaten Umfeld“ liege. Wichtig sei in erster Linie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, der JLU- Präsident, sagte in seinem Grußwort mit Blick auf die Oberbürgermeisterin, dass Gießen „eine Stadt des Matriarchates“ sei und verwies darauf, dass in der Professorenschaft Männer zwar noch immer deutlich dominierten, aber auch hier Frauenförderung betrieben werde, vor allem aber zwei Drittel der Studierenden der JLU weiblich seien. Die vier Podiumsgäste konzentrierten sich auf die momentanen Veränderungen im Journalismus und blickten auf die Geschlechterverhältnisse in der Medienbranche zurück. Einen Einblick in das Innenleben des deutschen Feuilletons gewährte Robin Detje. Der ehemalige Chef des Literaturressorts der ZEIT erzählte von der dekadenten „Mad Men“- Phase in den Redaktionen der Republik Ende der Neunziger. In der ZEIT habe damals ein angenehmer „Geschlechterfrieden“ geherrscht, wobei allerdings durchaus auch das eine oder andere unmoralische Angebot auf einer Feier gefallen sei. Carmen Thomas, die Pionierin der Sportmoderatorinnen, steuerte ebenfalls zahlreiche Anekdoten aus ihrer Zeit beim Fernsehen und Radio bei. „Ich bin durch leidvolle Erfahrungen gegangen“, berichtete sie über ihrer Anfangszeit vor über vierzig Jahren. Die Männer hätten den Moderationsjob als „Naturberuf“ angesehen, für den einem das Talent in die Wiege gelegt sein müsse. Seitdem hat sich vieles verändert, davon wussten auch die anderen Journalisten zu berichten. Georg Cadeggianini sprach von seinen Erfahrungen in der „Brigitte“- Redaktion und setzte sich für männliche Perspektiven in Frauenzeitschriften ein, da Männer zu manchen Themen, besonders in Erziehungsfragen, doch einen anderen Blick hätten. „Ich fände es am schönsten, wenn das Geschlecht keine Rolle spielen würde, sondern Journalisten in ihrer Verschiedenheit Medien machen“, schlug Chris Köver vom Missy Magazine vor. Der Mangel an Frauen in Führungspositionen mache zudem das „Netzwerken“ untereinander schwieriger. „Muss man die Frauen deshalb durch eine Quote zu ihrem Glück zwingen?“, fragte die Moderatorin Bodenstedt in die Runde. Alle Diskutanten stimmten überein, dass es ohne Quote nicht geht. „Die Quote ist eine elende Krücke“, gab Köver zu. Wenn Frauen in Führungspositionen keine Ausnahme mehr seien, werde sie nicht länger benötigt. Einig war man sich darin, dass Frauen sich gegenseitig helfen müssten, um die Männerhochburg „Chefredaktion“ zum Einsturz zu bringen.