Inhaltspezifische Aktionen

Populationsgenetik einer kleinen Rotwildpopulation im Krofdorfer Forst

Kleine, isolierte Populationen können durch Inzuchtdepressionen erheblich an Vitalität und Gesundheit einbüßen. Am Beispiel der Rotwildpopulation Krofdorfer Forst in Hessen wurde die genetische Variabilität erfasst und Daten anderer nationaler und internationaler Rotwildgebiete gegenübergestellt. Der Vergleich aktueller Hirsche aus den Jahren 2002 bis 2012 mit historischen Hirschen der 1960er bis 1980er Jahre zeigte einen erheblichen Verlust an genetischer Vielfalt. Die Einbeziehung aller zum Krofdorfer Forst benachbarten Rotwildgebiete in die genetischen Untersuchungen sowie die Identifikation von Barrieren und Förderung des genetischen Austauschs zwischen benachbarten Rotwildgebieten ist die Voraussetzung zur Optimierung der Schutz- und Hegemaßnahmen des von Habitatfragmentierung betroffenen hessischen Rotwildes.

von Gerald Reiner und Hermann Willems

  • Einleitung

Angestoßen von der Rotwild Hegegemeinschaft Krofdorfer Forst und finanziert durch die Jagdgenossenschaften, die Jagdausübungsberechtigten sowie den Landesjagdverband, wurde am Klinikum Veterinärmedizin/Arbeitskreis Wildbiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen die genetische Vielfalt der Rotwildpopulation des Krofdorfer Forstes aus den Abwurfstangen untersucht. Der Krofdorfer Forst liegt mitten in Hessen und umfasst 16.000 Hektar. Er zählt etwa 100 Hirsche und 100 Rottiere. Es wird geschätzt, dass sich hier 25 Rothirsche und 75 Alttiere an der Vermehrung beteiligen.

Mit einer einleitenden Studie sollte die genetische Vielfalt beim Rotwild des Krofdorfer Forsts erfasst und mit verfügbaren Daten bereits untersuchter bayrischer Rotwildgebiete verglichen werden. Zusätzlich sollte die genetische Variabilität der aktuellen Hirsche mit der, historischer Hirsche verglichen werden. Nebenbei wurde die im Krofdorfer Forst durchgeführte, individuelle Identifikation der Hirsche und Abwurfstangen anhand von Geweihmerkmalen genetisch überprüft.

 

Extrafenster Populationsgenetik kleiner Populationen

  • Untersuchungsmaterial

In die Untersuchung wurden 56 „aktuelle“ Hirsche aus den Jahren 2002 bis 2012 einbezogen, von denen insgesamt 108 Abwurfstangen und 41 Geweihe zur Verfügung standen. 42 historische Hirsche aus den Jahren 1960 bis 1984 kamen hinzu. Die Abwurfstangen und Geweihe wurden anlässlich von Stangenschauen ausgewählt, die DNA wurde von Bohrkernen aus Petschaft, bzw. Schädelbasis extrahiert. 17 Genmarker, die größtenteils auch schon in der bayrischen Untersuchung eingesetzt worden waren, wurden der Vergleichbarkeit wegen zur Genotypisierung nach Art des genetischen Fingerabdrucks eingesetzt.

 

Stangenschau am Forstamt Krofdorf

Lage der hessischen Rotwildgebiete

  • Ergebnisse der Studie

Mit Hilfe der ausgewählten Genmarker konnten alle Hirsche individuell angesprochen und unterschieden werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass zwei verschiedene Hirsche zufällig das gleiche Genmuster zeigen würden, lag bei 3,9 x 10-15.

Von 108 optisch zugeordneten Stangen waren 104 korrekt. Die vier falsch zugeordneten Stangen stammten von engen Verwandten der zugedachten Hirsche. Dieses Ergebnis spricht für die hohe Erblichkeit der Geweihmerkmale beim Rothirsch.

Die Hirsche konnten nach ihrem Verwandtschaftsgrad eingeteilt werden. Bei Einzeltieren bestand der Verdacht, dass es sich um Zutreter aus benachbarten Rotwildgebieten handelt.

Mit weniger als 6 Varianten je Genmarker war die genetische Variation im Krofdorfer Forst national nur durchschnittlich und nicht weit von Rotwildbezirken mit bekannter Inzuchtdepression entfernt. Im internationalen Vergleich musste die genetische Variation hingegen als deutlich unterdurchschnittlich eingestuft werden. Allerdings war der Heterozygotiegrad, also der Anteil mischerbiger in der Population überdurchschnittlich hoch, d.h. dass die Rothirsche im Krofdorfer Forst eine gute Populationsstruktur im Sinne einer hohen effektiven Populationsgröße aufweisen, die letztlich auch die Weitergabe der selteneren Genvarianten ermöglicht. Abweichungen vom Hardy-Weinberg-Gleichgewicht belegen, dass sich die Population im genetischen Fluss befindet. Dies lässt sich sowohl durch den Eintrag neuer Genvarianten durch Zutreter aus anderen Rotwildgebieten, als auch durch zufällige genetische Drift aufgrund der geringen Populationsgröße erklären. Außerdem fanden sich Hinweise auf einen genetischen Flaschenhals, der mit der drastischen Verkleinerung der Population in den 1980er Jahren übereinstimmt.

 

  • Vergleich „aktueller“ mit „historischen“ Hirschen

Genetisch fielen die aktuellen und die historischen Hirsche in zwei strikt voneinander abgegrenzte Gruppen. Die Verschiedenartigkeit beider Gruppen ergab sich aus dem Verlust von 30 % der historischen Genvarianten und dem Auftauchen von 22 % neuer Allele in den aktuellen Hirschen. Insgesamt muss allerdings ein Nettoverlust an Genvarianten von 15 % verzeichnet werden.

 

  • Ableitung von Hegeempfehlungen

Wie einleitend dargestellt, kommt den einzelnen Individuen durchaus eine unterschiedliche Bedeutung für die untersuchte Population zu. Um die Gefahr der genetischen Drift mit Verlust an genetischer Variabilität (Anpassungsvermögen) und gesteigerter Homozygotie (Zunahme des Inzuchtgrades) entgegenzuwirken sollten Hirsche mit möglichst geringem Verwandtschaftsgrad zur Population und möglichst hoher genetischer Variabilität (Heterozygotie) vermehrt am Aufbau der Folgegeneration teilhaben. Hirsche mit wenigen Genvarianten und bereits enger Verwandtschaft zur Population sollten hingegen eher zum Abschuss freigegeben werden. Das gilt zumindest im direkten Vergleich phänotypisch ähnlicher Hirsche.

 

Beispiel einer Hegeempfehlung

  • Schlussfolgerung

Die populationsgenetischen Untersuchungen am Rotwild des Krofdorfer Forsts ergeben Hinweise auf eine genetische Verarmung, wie sie für kleine, isolierte Populationen typisch ist. Trotz umfangreicher Beprobung zeigte sich eine im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche genetische Vielfalt sowie Nettoeinbußen in der genetischen Vielfalt seit den 1980er Jahren. Den genetischen Beitrag von Einzelhirschen bei der Abschussplanung zu berücksichtigen, insbesondere bei der Auswahl phänotypisch weitgehend identischer Tiere, könnte mithelfen, die Population zu stabilisieren. Deutliche Hinweise auf die Bedeutung des Austauschs mit Nachbarpopulationen zeigen jedoch, dass es insbesondere darauf ankommt, Engpässe zwischen den hessischen Teilpopulationen zu identifizieren und gerade dort den genetischen Austausch zwischen Teilpopulationen zu fördern, um eine gesunde genetische Variabilität für vitale Populationen abzusichern. Zu diesem Zweck ist die Ausweitung der genetischen Untersuchungen auf die Populationen außerhalb des Krofdorfer Forstes dringend angeraten.