Tagungsprogram
Proletarische Pädagogik. Historische Experimente, Kontroversen und Rezeptionen (1872–1933)
Die berühmte Rede Wilhelm Liebknechts am 5. Februar 1872 vor dem Dresdner Arbeiterbildungsverein „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“ kann als symbolischer Beginn einer stärkeren expliziten Auseinandersetzung der Arbeiterbewegung mit Bildungsfragen betrachtet werden. Bereits in dieser Rede wird die grundlegende Frage danach gestellt, ob „erst durch Freiheit“, d.h. durch ein „Hinwegschreiten über Staat und Gesellschaft […] das Volk Bildung erlangen kann“, oder aber, ob Bildung selbst der Weg dazu ist, gesellschaftliche Macht zu erlangen. Diese Grundkontroverse begleitet seitdem die Diskussionen um proletarische Pädagogik. Unabhängig davon, wie sie jeweils beantwortet wird, beschreibt diese Frage die zentrale Grundausrichtung einer jeden proletarischen Pädagogik, nämlich das Wissen darum, dass Bildungsprozesse nicht losgelöst von den jeweiligen materiellen Bedingungen einer Gesellschaft zu betrachten sind.
Auf der Tagung werden wir die Idee der proletarischen Pädagogik von ihrer Entstehung bis zu ihrem vorläufigen Ende in Deutschland mit Machtergreifung der Nationalsozialisten nachzeichnen. Die Beiträge verhandeln dabei die verschiedenen bildungsphilosophischen, sozialgeschichtlichen und ideengeschichtlichen Ansätzen einer proletarischen Pädagogik.
Programm
Freitag, 12. Mai 2023
12:00 Uhr
Ingrid Miethe (Justus-Liebig-Universität Gießen): Begrüßung & Einleitung
12:30 Uhr
Panel I: Ideengeschichtliche Zugänge I
Loriana Metzger (Bergische Universität Wuppertal): Der famose Weitling – ein Vorläufer proletarischer Pädagogik?
Lucien Criblez (Universität Zürich): Sozialistische Pädagogik avant la lettre – Zur allmählichen Herausbildung der Arbeiterbildung vor deren Institutionalisierung
Florian Grams (Universität Hannover): Edwin Hoernle – Kommunistische Pädagogik für und ohne die Partei
Ulrich Klemm (Universität Augsburg): Libertäre Pädagogik – Über den Zusammenhang von Anarchismus und Bildung
Lasse Hansohm (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg): Reziproke Erziehung – Zur Bedeutung des Generationenverhältnisses in der Proletarischen Pädagogik
15:00 Uhr
Pause
15:30 Uhr
Panel II: Ideengeschichtliche Zugänge II
Sebastian Engelmann (Pädagogische Hochschule Karlsruhe): Der marxistische Agitator – Psychologisch-pädagogische Versuche und die Wissenschaft von der Masse bei Angelica Balabanoff
Sophia Schorr (Goethe-Universität Frankfurt am Main): Die Etablierung von Lesehallen durch die Ethische Bewegung als proletarische Bildungsmaßnahme
Christina Engelmann (Justus-Liebig-Universität Gießen): Modelle der Selbstbildung in der proletarischen Frauenbewegung
Florian Heßdörfer (IU International University of Applied Sciences): Arbeitskämpfe – Zur Arbeit als umkämpftes Erziehungsmotiv
17:45 Uhr
Panel III: Anthropologische Zugänge
Nina Rabuza (Universität Innsbruck): Zur Anthropologie des proletarischen und des bürgerlichen Kindes – Walter Benjamins Schriften zur Pädagogik
Sára Bagdi (ELTE Eötvös-Loránd-Universität Budapest): Primitivism in workers’ education
Samstag, 13. Mai 2023
09:00 Uhr
Panel IV: Medien zur proletarischen Bildung
Sabine Hake (University of Texas at Austin): Emotion, Imagination und Agitation – Zur proletarischen Kinder- und Jugendliteratur
Ferdinand Klüsener (Ruhr Universität Bochum): Proletarische Pädagogik und Radiokunst
Robert Pfützner (Lucian-Blaga-Universität Sibiu): Proletarische Erziehung durch Märchen und Geschichte – Die pädagogische Konzeption von Emma Adlers Lesebüchern „Buch der Jugend“ (1895) und „Feierabend“ (1902)
Sylvia Wehren (Universität Hildesheim): Das Jugendtagebuch als proletarisches Bildungsmedium – Pädagogische Ansprüche, (auto-) didaktische Strategien und bildungsbezogene Praktiken (1880–1935)
11:00 Uhr
Pause
11:30 Uhr
Panel V: Modelle proletarischer Pädagogik
Maria Daldrup (Archiv der Arbeiterjugendbewegung, Oer- Erkenschwick) / Irmela Diedrichs (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Mikrokosmos Kinderrepublik – Pädagogische Theorie und Praxis der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde in der Weimarer Republik
Michael Franzke (Leipzig): Das Tinzer Modell proletarischer Jugendbildung
Daniel Lieb (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Die ethische Dimension proletarischer Pädagogik in der Arbeiterjugendbewegung 1918–1920
Carsten Müller (Hochschule Emden/Leer): Sozialpädagogik, Arbeitsschule und Sozialismus – Robert Seidels Kontroverse mit Karl Kautzky
13:30 Uhr
Mittagspause
14:15 Uhr
Panel VI: Räume proletarischer Bildung
Bernd Käpplinger (Justus-Liebig-Universität Gießen): Häuser Proletarischer Pädagogik – Beispiele aus der Leipziger Richtung
Tobias Haberkorn (Justus-Liebig-Universität Gießen): Museen für das Proletariat – Kunst und Bildung in proletarischen Museen Moskaus von 1918 bis 1926
15:30–16:00 Uhr
Abschlussdiskussion
Kontakt
E-Mail: sek-miethe
Arbeitstagung des DFG-Projekts „Clara Zetkins pädagogisches und bildungspolitisches Wirken in der Sowjetunion“.