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Kaiserzeitliche Figurenlampe aus Ägypten – Athena

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai


Kaiserzeitliche Figurenlampe aus Ägypten – Athena[1] Inv. T II-1; alte Inv.-Nr. 38

Provenienz: unbekannt.

 

Hohl, unten offen. Vorderseite aus verbrauchter Matrize, Rückseite nicht ausgearbeitet, leicht gerundet, geglättet. Bohrloch links neben der Kappenspitze.

Roter (10R 5/6), an der Oberfläche rotbrauner (5YR 4/5) sandiger Ton mit gröberen Einschlüssen. Wenige Spuren heller Engobe.


Erhaltung: Flacher dreieckiger Ausbruch an der Kopfbedeckung links. Nase  bestoßen, Mund- und Kinnpartie abgerieben. Defekte am linken Auge sowie unterhalb des rechten Mundwinkels.

Maße: H: 17,3 cm; größte Breite: 9,3 cm; Breite der Plinthe: 8,5 cm; Breite in Höhe des Kopfes 5,8 cm; T: 4,2 cm.

Lit.: D. Graen – M. Recke (Hrsg.), Herakles & Co (Gießen 2010) 56-57, Abb. 21.


Beschreibung: Auf rechteckiger Plinthe steht eine weibliche Gestalt, das belastete linke Bein mit dem rechten überkreuzend. Sie trägt ein hoch gegürtetes ärmelloses Gewand, das bis zu den Füßen reicht und dessen Überschlag unterhalb der Hüftregion endet. Ihre linke Hand liegt auf einem spitz-ovalen Schild, der mit einem plastischen Rand und einem Mittelgrat versehen ist, die rechte auf einem länglich gerundeten Gegenstand mit zwei Öffnungen, einer Lampe, die sich nach oben zu einer Art Griff verschmälert.

Den übergroßen Kopf, der sich ein wenig neigt und nach rechts dreht, bedeckt eine Mütze mit nach vorn fallender Spitze und seitlichen Laschen; sie ist an der linken Seite der Spitze durchbohrt. Das Haar gibt dem Gesicht einen nahezu rechteckigen Rahmen, indem es die Stirn mit kurzen breiten Strähnen waagerecht begrenzt, in schmalen geritzten Bündeln neben den Wangen herabfällt und sich nach links und rechts auf den Schultern ausbreitet. Das Gesicht ist im oberen Abschnitt kubisch geformt, verjüngt sich dann allmählich im Bereich der glatten Wangen und endet in einem leicht vorspringenden Kinn. Die Augen liegen weit auseinander. Anstelle des linken blieb nur eine flache Höhle, während sich rechts die Augenlider andeuten.    

 

Kommentar: Eine nahe Parallele, nur wenige Millimeter kleiner als das Gießener Exemplar und vermutlich von derselben Matrize abhängig, wird im Akademischen Kunstmuseum in Bonn aufbewahrt[2].

Aus dem durchscheinenden von einem dicken Wulst gesäumten unteren Teil des Gewandes, wohl einem Peplos[3], tritt das linke Bein wie nackt hervor. Der Überschlag setzt sich mit vertikalen Falten ab. Die beiden Attribute, der Schild als Kennzeichen der Göttin Athena und die mit zwei Öffnungen versehene Lampe verbinden die Gestalt mit der ägyptischen Kriegsgöttin Neith, die in Sais mit Lichterfesten verehrt wurde[4]. Gewöhnlich trägt die Göttin eine Aegis, meist auch einen korinthischen Helm, den bisweilen eine ägyptische Federkrone schmückt[5]. Die Kopfbedeckung der Statuetten Gießen / Bonn dagegen ähnelt der phrygischen Mütze[6]. Dabei könnte es sich um „eine Vereinfachung des Helms“ handeln[7]. Zahlreiche Athena-Figuren sind nämlich mit Helmen in verschiedenen Stadien der Stilisierung dargestellt, bis zu einer Art Kapuze mit nach vorn fallender Spitze[8]. Bohrlöcher neben den umgeschlagenen Kappenspitzen zeigen, dass die Statuetten Gießen / Bonn zum Aufhängen vorbereitet waren. 

Sowohl das Standmotiv als auch die Kopfbedeckung sind mit zierlichen auf Traglampen stehenden Athena-Figuren zu vergleichen. Bei dieser Gruppe erscheint der Schild an der rechten Seite der Göttin, die ihre linke Hand in die Seite stützt[9]. Im Gegensatz zu den etwas größer-formatigen Statuetten scheinen diese ‚Traglampen-Athenen‘  ein kurzes Gewand zu tragen, dessen  Längsfalten bis zur Mitte der Oberschenkel reichen, während das übergürtete Apoptygma (Überschlag) in Hüfthöhe endet. Anzeichen für Stoffbahnen neben den Beinen, die wie bei den Statuetten Gießen / Bonn ein langes Gewand bezeichnen, fehlen. Man erkennt jedoch auf dem überkreuzenden linken Sprunggelenk feine plastische Erhebungen[10], die kaum etwas anderes darstellen können als Stoff-Falten, dem einzigen Hinweis auf ein langes Gewand, dessen unteren Teil man sich durchsichtig, aus dünnem Stoff, vorzustellen hat. Der bis zum Oberschenkel reichende gefältelte Abschnitt entspricht vermutlich einem weit heruntergezogenen Kolpos, der kürzere dem gegürteten Überschlag. Athena ist demnach auch hier mit ihrem traditionellen, wenngleich verfremdeten, Peplos bekleidet. Bei den Statuetten Gießen / Bonn ist die ausgeprägte Frontalität der ‚Traglampen-Athenen‘ durch eine raumgreifende, in die Tiefe gerichtete Bewegung des überkreuzenden rechten Beines gemildert[11].

Die ungewöhnliche Größe des Kopfes im Verhältnis zum Körper, etwa 1:3, steht den üblichen Proportionen erwachsener Personen, nämlich Kopf zu Körper wie 1:7, gegenüber. Annähernd vergleichbare Größenverhältnisse finden sich allenfalls bei einzelnen Athena-Büsten mit Miniaturlampen[12], im Übrigen bei kindlichen Figuren wie Harpokrates, dämonischen Wesen oder Grotesken[13].                 

Weibliche Haartrachten, die kurze, waagerecht geschnittene Stirnfransen mit langen auf die Schultern ‚fließenden‘ Locken verbinden, begegnen in dieser Form selten. Auf einem mit dem Relief einer Athenabüste geschmückten Lichthäuschen[14] sind die Schulterlocken mit kurzen Strähnen kombiniert, doch bilden die letzteren einen Bogen über der Stirn. Isis lactans auf einem Wandgemälde des 4. Jhs. aus der Oase Fayum zeigt zwar Ähnlichkeiten in der Haartracht, und auch die Größe und Form der  Augen, sowie die nahezu rechtwinklig an der Nasenwurzel ansetzenden Brauen erinnern an die Physiognomie der Athena-Statuette[15], doch ist der Vergleich mit einem Werk aus einer völlig anderen Kunstgattung immer etwas problematisch.

Für die Bonner Parallele des Gießener Exemplars war ohne nähere Begründung  das 3./4. Jh. n. Chr. als Entstehungszeit vorgeschlagen worden[16]. Zu den wenigen stilistischen Details gehören die großen, tief liegenden Augen und das lange flächige Gesicht, das unvermittelt in die seitliche Wangenpartie übergeht. An das prominente Kinn schließt ein Doppelkinn an. Diese Merkmale können, zusammen mit der ausgefallenen, durch Ritzungen markierten Haartracht, als Hinweis auf eine Entstehung in der späteren römischen Kaiserzeit gelten[17]. Einige mit  Miniaturlampen verbundene Athenabüsten sind zum Vergleich am besten geeignet[18], auch wenn sie motivisch und stilistisch nicht in allen Einzelheiten mit den Statuetten übereinstimmen.       


Einordnung: Spätantik, aus dem römischen Ägypten.

 

 

 



[1]„Es gibt in Ägypten in dem Delta, um dessen Spitze herum sich der Nilstrom  teilt, den sogenannten Saïtischen Bezirk, die größte Stadt aber dieses Bezirks ist Saïs – daher stammte übrigens auch der Pharao Amasis. Für die Bewohner ist eine Göttin die Gründerin ihrer Stadt, die auf Ägyptisch Neïth und auf Griechisch, wie jene berichten, Athena heißt“, Platon, Timaios 21e; „Gleichsetzung von Athena und Neith“, Herodot  II 28, 2. 59, 3. 170, 1; 175, 1. Auch in Griechenland, in der Argolis, befand sich „ein Heiligtum  der Athena Saïtis“, Pausanias II 36, 8; St. Pfeifer in: Ägypten Griechenland Rom, 599 f. Nr. 173. 174; A. Geissen – M. Weber, Untersuchungen zu den ägyptischen Nomenprägungen VI, ZPE 155, 2006, 274. 

[2] H: 16,9 cm, Inv.-Nr. D 54. „Die eigenwillig gestaltete Figur hat keine direkte Parallele“, St. Schmidt a. O. 79 f. Geringe Unterschiede in der Faltenführung am Oberteil des Gewandes und in der Haltung des überkreuzenden Beines könnten bei der nachträglichen Bearbeitung des Objekts nach dem Herausnehmen aus der Matrize vor dem Brand entstanden sein.   

[3] Dagegen „Chiton“ mit „Kolpos“, St. Schmidt a. O. 79 f. Kat. Nr. 80 Taf. 29.

[4] Herodot II 28; 59; 170; Platon, Timaios 21e; F. Perpillou-Thomas, Fêtes d’Égypte ptolémaïque et romaine d’après la documentation papyrologique grecque (Winksele-Herent 1993), 121 f. Anm. 237-239.

[5] Ewigleben a. O. 32.

[6] Vgl. Fischer a. O. 1994, Nr. 948. 949 Taf. 100.

[7]  St. Schmidt a. O. 79 f.

[8] Vgl. Bayer-Niemeier a. O. 181 Taf. 68, 2-4; Ewigleben a. O. 76 Abb. 73. 74; LIMC II a. O. 1046 Nr. 36 Taf. 767.

[9] Die Göttin lehnt an einer Säule, deren Kapitell, ein sog. Cheniscus, d. h. Kopf und Hals einer Gans, als Handgriff dient. Ewigleben a. O. 37 Nr. 74 Taf. 76; mit Helm und Helmbusch: Fischer 1994, 434 Nr. 1190 Taf. 126; Schürmann a. O. 276 f. Nr. 1048 Taf. 174; mit Dionysos anstelle der Athena ebenda, 278 Nr. 1053 Taf. 175.

[10] Schürmann a. O. 276 f. Nr. 1048 Taf. 174.

[11] Zur Milderung der Frontalität und gelösteren Haltung der Spätperiode z. B. durch „Vorschieben eines Knies oder einer Schulter“, unter Vorbehalt, da es sich hier um eine völlig andere Landschaft handelt: V. von Gonzenbach, Die römischen Terrakotten in der Schweiz Band A (Tübingen und Basel 1995) 365.

[12] E. Breccia, Terrecotte figurate greche e greco-egizie del Museo di Alessandria (Bergamo 1934) 30 f. Nr. 227 Taf. 46.

[13] Ewigleben a. O. 43 Abb. 9; 45 Abb. 11; dies. ebenda 64 Abb. 50. 51; vgl. auch die Bes-Figuren neben der Athena im langen Peplos, Schürmann a. O. 276 Taf. 174; Fischer 1994, 200 Nr. 359. 360. 367  Taf. 32; 202 Nr. 366 Taf. 33.

[14] Fischer 1994, 431 Nr. 1180 Taf. 124.

[15] Heroen, Götter, Scharlatane (Mainz 2008) 84 f. Abb. 44; dazu die Musiker und Gabenbringer einer Grabmalerei in Silistra / Moesien, 2. Hälfte 4. Jh., R. Bianchi Bandinelli, Rom. Das Ende der Antike (München 1971) 325 f. Abb. 306. 

[16] St. Schmidt a. O. 80.

[17] vgl. F. W. Hamdorf, Die figürlichen Terrakotten der Staatlichen Antikensammlungen München  (München 2014) S. 674 F 89. H. Cassimatis, die das Problem einer exakten Datierung für die aus Alexandria und dem Fayum stammenden Terrakottastatuetten und figürlichen Lampen  thematisiert, setzt die Stücke ihres Katalogs überwiegend in die späte römische Kaiserzeit: „Dans la majorité des cas il s’agit de l’époque romaine, impériale et souvent tardive“, dies. a. O. 1048.

[18] Schürmann a. O. 275 f. Nr. 1045 Taf. 174; Fischer a. O. 1994, 948. 949 Taf. 100.