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Komödienmaske, Inv. T I-19 „Führender Sklave“

 

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 


Komödienmaske, Inv. T I-19 „Führender Sklave“ 

Fundort unbekannt.

Prov.: 1899 erworben von Bruno Sauer aus der Sammlung Margaritis.


Zustand: Vorderseite aus der Matrize, Rückseite hohl, geglättet.

Rötlich brauner (2.5YR 6/6) Ton mit vielen dunklen Einschlüssen. Weiße Engobe. In den Falten Reste von Bemalung in rotorange, Spuren von Rosa unter dem rechten Auge, über der rechten Braue und an der Oberlippe. Helles Rosa an der linken Wange.

Erhaltung: Aus vielen Fragmenten zusammengesetzt, restauriert 2005 (E. Fuertes, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Werkstattnr. B 562/8).

Maße: H: 6,1 cm; B: 7,1 cm; T: 9,0 cm; Stärke 4-7 cm.

Lit.: W. Zschietzschmann, Gießener Antiken, Hessische Heimat 15/ 18.7.1962, 57-60 Abb. 4.


Beschreibung:

Die Maske ist rundplastisch angelegt. Über der hohen Stirn liegt eine Haarrolle, die Speira[1], die sich in längs gesträhnten nach unten an Volumen zunehmenden Haarbündeln fortsetzt. Der kurze vorgestülpte Bart bildet einen Trichter um den weit offenen Mund mit seinen dünnen plastisch geformten Lippen. Während die Oberlippe horizontal verläuft, schwingt die Unterlippe im Bogen nach unten aus.
Die Augäpfel wölben sich halbkugelförmig zwischen den plastisch angegebenen Lidern hervor. Über der eingesunkenen Nasenwurzel zwischen den hochgezogenen, steil ansteigenden Augenbrauen ist eine tiefe senkrechte Furche eingegraben. Die Stirnfalten nehmen die Schwingung der Brauen unter fortschreitender Abschwächung auf.

Kommentar:
Die Speira ist ein Merkmal des „Führenden Sklaven“, Hegemon Therapon[2]. Dabei handelt es sich um eine Männer-Rolle in der attischen Neuen Komödie[3], deren Protagonisten in Form von Terrakotta-Statuetten weit über die hellenische Welt verbreitet waren. Die Gießener Maske T I-19 lässt sich dem Typus des "Führenden Sklaven" zuordnen. Vergleichbar ist u. a. ein mit vegetabilem Kranz geschmücktes angeblich aus Melos stammendes Exemplar in London[4]. Wie die Studien von Webster und Margarete Bieber ergaben[5], datieren Vertreter mit einem tiefen runden Schalltrichter um den geöffneten Mund herum noch in das 3. Jh. v. Chr.[6]. Dann ändert sich die Form des Trichters und nähert sich etwa um 200 v. Chr. allmählich einem Halbkreis; auch werden Bartsträhnen angegeben[7]. Ein weiteres zeitstilistisches Kriterium ist die Pupillenbohrung, die, entsprechend positioniert, den Eindruck des Schielens hervorrufen kann[8]. Beispiele dafür liefern u. a. die Funde von Priene, die in die Mitte bzw. in die 2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. datiert werden[9]. In der Folge schwächt sich die Trichterbildung des Bartes ebenso ab wie der Schwung der Stirnfalten. Die Mundwinkel spitzen sich zu, das Haar ist quer gesträhnt und springt so weit auf, dass es von den Wangen absteht[10].
Die Speira der Gießener Maske dagegen zeigt eine vertikale Strähnung, die sich auf den untersten Abschnitt der Haarbündel beschränkt. Mund und Bart bilden abgerundete Dreiecke mit nach unten gerichteter Spitze. Die halbkugelförmigen Augäpfel sind nicht durchbohrt. T I-19 dürfte daher beinahe am Beginn einer Entwicklung stehen, die sich in hellenistischer Zeit über die griechische Koiné verbreitet[11] und bis in die römische Kaiserzeit fortsetzt[12].
Auf Grund der Tonfarbe könnte das Stück in Attika entstanden sein.


Einordnung: Ende des 3. Jhs. v. Chr., attisch?

 


[1] C. Robert, Die Masken der neueren attischen Komoedie, HallWPr 25, 1911, 3, nach Pollux Δ 2.

[2] "also ein Toupet", Robert a.a.O.

[3] M. Bieber,The History of the Greek and Roman Theater (Princeton 1961) 92, 102, Abb. 324, 396; T. B. L. Webster, Leading Slaves in New Comedy 300 B. C. – 300 A. D.JdI 76, 1961,100-110; Robert 1911, 3-7; Pollux IV, 149.

[4] L. Burn – R. Higgins, Greek Terracottas in the British Museum III (London 2001) 112 Nr. 2267 Taf. 47; ohne Kopfschmuck aus Smyrna: P. Leyenaar-Plaisier, Les terrescuites grecques et romaines Leiden 1979, 482 Nr. 1378 Taf. 177; ferner aus Athen: F. W. Hamdorf, Hauch des Prometheus (München 1996) 158 Abb. 187; ders. a. O. 164 Abb. 198.

[5] Bieber a. O. 40-48. 87-107; eine Statuette aus Tarent, die den führenden Sklaven als Kourotrophos mit einem Kind auf dem Arm darstellt, dies. a. O. 103 Nr. 400, sei fest in das 3. Jh. v. Chr. datiert, Webster 1961, 100-110; ders., Monuments Illustrating New Comedy (London 1969). Beide Autoren ziehen neben Terrakotten auch Flächenkunst zum Vergleich heran, wie Reliefs aus verschiedenen Werkstoffen, bemalte Keramik, Wandmalerei.

[6] L. Frey-Asche, Tonfiguren aus dem Altertum. Antike Terrakotten im Museum für Kunst und Gewerbe (Hamburg 1997) 87 f. Abb. 58.

[7] Webster 1961, 102 f. Abb. 3.

[8] L. Bernabò Brea, Menandro e il teatro greco nelle terracotte liparesi (Genova 1981) 205 Abb. 339. 340; B. Vierneisel-Schlörb, Kerameikos 15. Die figürlichen Terrakotten 1 (München 1997) 97 Nr. 293 Taf. 56.

[9] F. Rumscheid, Die figürlichen Terrakotten von Priene (Wiesbaden 2006) 528 f. Nr. 378-381 Taf. 157 f.

[10] K. G. Kachler – S. Aebi – R. Brunner, Antike Theater und Masken (Zürich 2003) 28 mit Abb.; C. Robert, Die Masken der neuen attischen Komödie, 25. HallWPr 1911, 77, Abb. 94. 95; Rumscheid 2006, 529- 530, Nr. 381, Taf. 158, 1-2; Bieber a. O. 104 Nr. 405; P. C. Bol – E. Kotera, Bildwerke aus Terrakotta. Liebieghaus Frankfurt am Main (Melsungen 1986) 134-136 Abb. 69. S. 173 Abb. 86.

[11] Hamdorf 1996, 163 Abb. 194; S. Moraw – E. Nölle, Die Geburt des Theaters in der griechischen Antike (Mainz 2002) 132 Abb. 165. 166.

[12] Bieber a. O. 156 Abb. 566; ulostherápon, Bernabò Brea a. O. 137 Abb. 225.