Inhaltspezifische Aktionen

Weibliche Miniaturmaske aus den römischen Nordwest-Provinzen

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

TII-2

T II-2 Weibliche Miniaturmaske Inv. T II-2; alte Inv.-Nr. K 29

Provenienz: unbekannt.

 

Vorderseite aus der Matrize. Rückseite hohl. Sockelung mittels Drahtschlinge, die durch die antiken Aufhängelöcher geführt ist.

Harter rotbrauner (5YR 6/6) Ton mit wenigen dunklen Einschlüssen. Leicht versintert. Spuren rotbrauner Bemalung an der linken Schläfe und im Haar.

Erhaltung: Aus drei Fragmenten zusammengesetzt. Schräger Abbruch am oberen Rand.

Maße: H: 7,6 cm; B: 5,1 cm; T: 3,7 cm.

Lit.: Unpubliziert.

 

Beschreibung: Das breite, rundlich-ovale Gesicht ist von fein gesträhnten Haarbögen, die unten ein wenig aufspringen, eingefaßt. Die vollen glatten Wangen gehen in ein rundes Kinn über. Aus dem fliehenden Profil ragt eine große Nase hervor. Die leeren offenen Augenhöhlen sind oben fast horizontal, unten halbkreisförmig begrenzt. Der Mund ist geschlossen; die waagerecht angegebene Unterlippe wird von der geschwungenen Oberlippe knapp überschnitten. Auf der Stirn erkennt man zwei quadratische Eintiefungen mit abgerundeten Ecken und plastischen Randwülsten, darüber eine flache, leicht gebogene Rinne, sowie links  ein fragmentiertes schräg ansteigendes Element. Auf der Rückseite setzt ein dachähnlich gebogener Steg mit zwei Durchbohrungen an.


Kommentar: Aufgrund der ausgesparten Augenöffnungen und des Fehlens eines Halsansatzes[1] ist das Objekt als Maske, wegen ihrer geringen Größe als Miniaturmaske, anzusprechen. Weitere charakteristische Merkmale wie der geschlossene Mund und die ornamentale, eigentümlich bekrönte Haartracht ordnen sie einer Gruppe von bisher etwa 40 bekannten gleichartigen Exemplaren aus den nordwestlichen römischen Provinzen zu[2]. Die Vergleichsobjekte stammen aus Fundorten auf der linken Seite des Mittel- und Niederrheins, zwischen Bingerbrück und Nimwegen, sowie von den Ufern der Mosel[3]. Aus datierten Gräbern geborgene Stücke sprechen für eine Entstehung in der 2. Hälfte des 3. Jhs. und im 4. Jh. n. Chr.[4]. Einige von ihnen bewahren noch die Reste einer farbenprächtigen Bemalung, wobei die Verwendung von Gold, z. B. an den Haaren, besonders auffällt. Möglicherweise war auch goldener Ohrschmuck dargestellt[5], doch spricht die feine Strähnung, die sich am unteren Ende der Frisur neben den Wangen auch bei der Gießener Maske andeutet, für die Angabe von Haar[6].

Gut erhaltene Exemplare legen die Vermutung nahe, daß die plastischen Wülste um die runden bzw. quadratischen Eintiefungen herum ursprünglich aus ornamental angeordneten Haarsträhnen hervorgegangen sind[7]. Dazu kommt eine variable Bekrönung. Bei der Gießener Maske ist nicht mehr zu entscheiden, ob das ansteigende schräg begrenzte Element zu einer Stephane[8] oder einem in Längsrichtung zweigeteilten Aufsatz[9] gehörte.

Wie bei den Parallelen belegen die Durchbohrungen an der Rückseite, daß die Objekte zum Aufhängen vorgesehen waren[10]. 

Die Durchsicht der Miniaturmasken in Abbildungen und Originalen legt eine Gliederung in zwei Haupttypen nahe[11]. Während der erste Typus durch ein verhältnismäßig flaches, schmales Gesicht mit betontem Kinn und herabgezogenen Mundwinkeln, sowie eng an die Wangen geschmiegten dicken Lockenbündeln charakterisiert ist, zeichnet sich der zweite durch ein eher breites, stärker in die Tiefe orientiertes, Gesicht mit runden Wangen aus. Das Stirnhaar ist bei den beiden Typen ornamental eingerollt, doch sind beim zweiten keine Strähnen zu erkennen[12]. Das gilt auch für ein aus der Kölner Nekropole[13] geborgenes Stück, dem das Exemplar Gießen T II-2 am nächsten steht[14].

Bei Vertretern des ersten Typus dagegen ist das eingerollte Stirnhaar gesträhnt[15]. Zusammen mit dem in Längsrichtung zweigeteilten Kopfschmuck[16] erinnern sie an Mosaiken von Elis und Piazza Armerina. Hier bilden die Strähnen ornamentale, durch dünne Schnüre unterteilte vertikale Schlingen[17]. Das Mosaik in Elis zeigt den Gott Apollon und die inschriftlich benannten Musen, alle in Gestalt ihrer charakteristischen Attribute. Nur Polyhymnia, die Muse der Pantomime, ist als weibliche Maske mit kunstvollen, von einem Band gehaltenen Haarschlingen wiedergegeben[18].

Miniaturmasken spielen vermutlich auf größere, von Pantomimen beim Tanz getragene Masken aus anderen Materialien an. Text und Inhalt der Darbietung sind griechischen Tragödien entnommen und werden von einem Sänger bzw. einem Chor zu Gehör gebracht, begleitet von Flötenmusik und rhythmisierenden Instrumenten. Die Wirkung der wortlosen Tanzrollen beruht allein auf den Körperbewegungen und der Gestik. Nach Anfängen im Griechenland des 4. Jhs. v. Chr. erfreute sich diese Form der Unterhaltung besonderer Beliebtheit in der römischen Kaiserzeit. Ihr Erfolg hielt bis in das 6. Jh. n. Chr. an[19].

Obwohl die meisten Miniaturmasken im Raum Köln gefunden wurden, sind sie offenbar nicht dort hergestellt worden. In den Kölner Werkstätten verwendete man nämlich einen eisenfreien, im Brand auffallend weißen oder hellbeigen Ton[20], im Gegensatz zur rotbraunen Tonfarbe der Miniaturmasken. Außerdem ist die Produktion matrizengefertigter Terrakottaplastik nach dem Ende des 2. Jhs. n. Chr. in Köln nicht mehr belegt, wohl aber für das Zentrum Trier-Süd, wo sie bis in das 4. Jh. n. Chr. andauerte. Hier fanden sich auch die entsprechenden Matrizen, Abformungen und Fehlbrände aus gelbbraunem und -rotem Ton[21]. Auf den Wasserstraßen von Mosel und Rhein konnten die Miniaturmasken bequem an ihre Bestimmungsorte gelangen[22].

 

Einordnung: 2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr., Germania inferior, Belgica (römische Nord-Westprovinzen).
 
TII-2a TII-2b TII-2c


[1] L. Summerer, Hellenistische Terrakotten aus Amisos (Stuttgart 1999) 65.

[2] H. Rose, Spätrömische Miniaturmasken in Germanien und der Gallia Belgica, Xantener Berichte 13, 2003, 325-351.

[3] Dazu die Verbreitungskarte, Rose, Miniaturmasken 2003, 330.

[4] Andernach Inv. 785a. Inv. 785; Köln RGM 3646. Köln RGM Inv. 29/1113, Jakobstraße, Rose, Miniaturmasken 2003, 337. 340; Nimwegen Inv. 134/12. Ludwigshafen Inv. a 15 und a 1035, beide aus dem Gräberfeld Gondorf (Kreis Mayen-Koblenz), ebenda 340. 344.

[5] Rose, Miniaturmasken 2003, 326.

[6] G. M. E. C. van Boekel, Roman Terracotta Figurines and Masks from the Netherlands (Groningen 1987) 788 Abb. 132; Rose, Miniaturmasken 2003,  337 Nr. 1 Taf. 338.

[7] Van Boekel 1987,  789 Abb. 134. 135.

[8] Van Boekel 1987, 788 f. Abb. 132. 135.

[9] „ reminiscent of animal ears“, van Boekel 1987, 798, z. B. S. 789 Abb. 134.

[10] Zusätzliche Durchbohrungen am unteren Ende der Haarpartie führten beim Exemplar Ludwigshafen a 15 zu der Vermutung, daß die Maske auf einem Untergrund befestigt war [Kästchen?], Rose, Miniaturmasken  2003, 344.  

[11] Rose bezeichnet sie als Serien, dies., sum figuli lusus… Die römischen Terrakottamasken in den Nordwestprovinzen. Herkunft – Herstellung – Verbreitung – Funktion. Diss. Köln 2000, 85 mit Anm. 351; dies., Miniaturmasken 2003, 337-348. Zu Varianten mit abweichenden Haartrachten und Bekrönungen: van Boekel 1987, 788 f. Abb. 131. 133; Rose, Miniaturmasken 2003, 342 Nr. 12. 13 Taf. 341.

[12] Die oben beschriebenen fein gesträhnten kurzen Haarbögen, die das Gesicht rahmen, setzen erst unterhalb der ‚brillenartigen Gebilde‘ an, s. van Boekel 1987, 788 Abb. 132; Rose, Miniaturmasken 2003, 340 Nr. 7 Taf. 338.

[13] Inv. Nr. 29, 1113, Köln, Jakobstraße/Severinstraße Grab 66, Serie Andernach Version B, Rose, Miniaturmasken 2003, 340 Nr. 6 Taf. 338.

[14] Für Photos, Photokopien, Literaturhinweise und die Möglichkeit zum Studium der Originale danke  ich  Ágnes Adam, Friederike Naumann-Steckner und Hannelore Rose, RGM Köln.

[15] Van Boekel 1987, 789 Abb. 134. 135; Rose, Miniaturmasken 2003, 344 Nr. 19. 22 Taf. 343.

[16] Van Boekel 1987, 789 Abb. 134; Rose, Miniaturmasken 2003, 342 Nr.16 Taf. 341;  344 Nr. 22 Taf. 343; 346 Nr. 31 Taf. 347.

[17] Jory 1996, 13 f. Abb. 9. 10.

[18] Jory ebenda, 13 Abb. 9.

[19] M. Bieber, The History of the Greek and Roman Theater (Princeton 1961);  DNP 9, 2000, s. v. Pantomimos (L. Benz); van Boekel 1987, 786-799; H.-U. Cain, Chronologie, Ikonographie und Bedeutung der römischen Makenreliefs, BJB 188, 1988, 181; M.-H. François-Garelli, Danser le mythe. La pantomime et sa réception dans la culture antique. (Louvain – Paris – Dudley, MA 2007); E. J. Jory, The literary evidence for the beginnings of imperial pantomime, BICS 28, 1981, 147-161; ders. Ars Ludicra and the Ludus Talarius, in: A. Griffiths (Hrsg.), Stage  Directions. Essays in Ancient Drama in honour of E. W. Handley, BICS Suppl. 66, 1995, 139-152; ders., The Drama of the Dance: Prolegomena to an Iconography of Imperial Pantomime, in: W. J. Slater (Hrsg.), Roman Theater and Society. E. Togo Salmon Papers I  (Ann Arbor 1996) 1-27; ders., Some cases of mistaken identity? Pantomime masks and their context, BICS 45, 2001, 1-20; Rose 2000, 84-90.

[20] H. Rose, Fragmente römischer Terrakottamasken aus der Domgrabung, Kölner Domblatt 68, 2003, 329.

[21] Nr. 37. 38 und 40 (Fehlbrand) stammen aus dem Töpfereigebiet Trier-Süd am Pacelli-Ufer, Nr. 39 vom Gelände St. Matthias in Trier, Rose, Miniaturmasken 2003, 332. 334. 348; van Boekel 1987, 786 f. Abb. 130.

[22] Rose, Miniaturmasken 2003, 334.