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Weibliche Gewandstatuette mit Schleifenfrisur, "Tanagräerin"

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

TI-11

Weibliche Gewandstatuette mit Schleifenfrisur, "Tanagräerin", Inv. T I-36

Provenienz: unbekannt. Erworben von Bruno Sauer mit Sondermitteln zum Universitätsjubiläum 1907

Hohl. Vorderseite aus der Matrize, Rückseite nicht ausgearbeitet, flachgeglättet, rechteckiges Brennloch.

Hellbrauner (10YR 7/5-7/6) Ton mit feinen Einschlüssen; reichlich weiße Engobe. Blaue Farbspuren am Gewand, im Haar schwarz. Versintert.

Erhaltung: Aus fünf Fragmenten zusammengesetzt. Verletzungen an der rechten Seite des Halses, Verlust von Haarsträhnen.

Maße: H: 21,5 cm; Breite in Höhe des Ellenbogens: 8,2 cm; T: 5,0 cm.


Lit.: E. Neuffer, Griechische Terrakotten, in: Heimat im Bild 17, 1930, 66 f. Abb. 4.

 

Beschreibung:  Auf einer flachen rechteckigen Plinthe erhebt sich eine jugendliche Frauengestalt in bodenlangem Chiton und einem Mantel, der eine Art niederen 'halsfernen Kragen' bildet, die Vorderseite einschließlich der Arme bedeckt und bis über die Knie reicht. Unter dem Chiton schaut der vordere Abschnitt des linken Schuhs hervor. Das stärker belastete rechte Bein deutet sich durch einen etwas breiter gewölbten Faltenrücken an. Der rechte Arm ist in die Seite gestützt, der linke angewinkelt nach vorn genommen. Die Hand ergreift von innen einen Stoffzipfel. Von dort laufen Schrägfalten bis zum leicht ansteigenden Saum oder verlieren sich in der Fläche des Mantels. Weitere Schrägfalten spannen sich zwischen dem rechten Ellenbogen und dem Oberkörper bzw. der Hüfte aus. 

Das gescheitelte Haar ist in welligen Strähnen über die Ohren frisiert und auf dem Kopf zu einer Schleife zusammen gefasst. Lange Lockensträhnen fallen auf die Schultern herab.

Der Kopf ist geneigt und nach links gewandt. Unterhalb des fliehenden Kinns deutet sich eine Venusfalte an. Im ovalen Gesicht dominiert die Nase. Die kleinen tiefliegenden Augen stehen weit auseinander. Volle Lippen bilden den geschlossenen Mund, dessen Winkel durch Grübchen betont sind.

Kommentar: Wie bei der Tanagräerin Gießen T I-18 ist auch bei der Statuette T I-36 der rechte Arm in die Seite gestützt und die Vorderseite vom Mantel vollständig bedeckt. Haltungsmotiv und Stoffqualität sind allerdings verschieden. Das feine Gewebe lässt die Körperformen deutlich hervortreten. Der Mantel fällt nun nicht lose über den rechten Ellenbogen; vielmehr läuft der äußere Rand unter leichter Spannung schräg auf die rechte Körperseite zu, wo die Konturlinie dann in die des Chitons übergeht. Mit ihrer herausgeschobenen rechten Hüfte, der eingezogenen Taille und dem nach links gewandten Kopf vermittelt T I-36 rhythmische Bewegung. In der Seitenansicht zeigt sich ein leichter S-Schwung.

Bisher liegt keine exakte Parallele vor. Ähnlichkeiten im Standmotiv und in der Drapierung der Gewänder bestehen vor allem mit Exemplaren aus Tanagra[1].

T I-36,dürfte im 3. Jh. v. Chr., allerdings deutlich später als T I-18, entstanden sein. Dazu passt auch die geordnete Schleifenfrisur. Nach der Tonfarbe könnte die Statuette aus einer böotischen Werkstatt stammen.

Einordnung: Fortgeschrittenes 3. Jh. v. Chr.; Tanagra?

 

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[1] S. Besques, Cat. Raisonné des Figurines et Reliefs enterrecuitegrecsétrusques et romains III, 1 (Paris 1971/72) 22 Taf. 23 c; L. Burn – R. Higgins, Cat. of Greek Terracottas in the British Museum 3 (London 2001) 47 f. Nr. 2051. 2052 Taf. 10; V. Jeammet, Tanagra (Paris 2003) 204 Abb. 137; E. Kountouri – A. Harami – V. Vivliodetis, Coroplastic Art from Thebes (Boeotia). Evidence from Terracotta Figurines Found in Graves, BCH Suppl. 54, 2016, 186 Nr. E 125 Abb.12. Aus Korinth, Jeammet a. O. 204 Abb. 137; mit vergleichbarer Haartracht, aus der Troas, Winter 2, 1903, 22, 4.