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Knabe mit Pfeiler und Äffchen

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai


Knabe mit Pfeiler und Äffchen, Inv. T I-32

Provenienz: unbekannt.

 

Vorderseite aus der Matrize. Rückseite einfach geglättet; rechteckiges Brennloch, H. 2,5 cm x B. 1,5 cm.

Hellbrauner (10YR 7/4-6/4) Ton. Reichlich weiße Engobe, keine Farbspuren.

Erhaltung: Abgesehen von kleinen Rissen an der Basis des Pfeilers intakt.

Maße: H: 13,8 cm; B: 7,5 cm; T: 3,3 cm.

Lit.: E. Neuffer, Griechische Terrakotten. Heimat im Bild 17, 1930, 68 Abb. 6; M. Recke (Hrsg.), Antike Kunst aus der Sammlung der Justus-Liebig-Universität (Gießen 2010) 23. 27 Abb. 48.


Beschreibung: Auf einer niederen rechteckigen Plinthe steht ein Knabe mit weit gespreizten stämmigen Beinen, das rechte leicht vorgesetzt, an einem Pfeiler, auf dem ein kleiner Affe sitzt. Der Knabe streckt den linken Arm nach oben zum Äffchen aus, der rechte hängt leicht angewinkelt  herunter. Abgesehen von einem kurzen Mäntelchen (Chlamys) und einer Kappe ist der Kleine nackt. Die Chlamys liegt bandartig auf seiner  rechten Schulter, läuft schräg über den Oberkörper und ist um den linken Arm geschlungen. Ein Zipfel fällt in schmalen Längsfalten herab. Zwischen dem Rippenrand und den Geschlechtsteilen wölbt sich ein runder Bauch.  

Der Knabe hat den Kopf angehoben, nach rechts geneigt und nach links gedreht. Eine flache runde Kappe, die über dem umlaufenden Rand eine Einziehung aufweist, ist in die Stirn gerückt. Kurze gewellte Strähnen fallen über die Schläfen und rahmen die Wangen. Aus dem pausbäckigen Gesicht tritt das Kinn spitz hervor. Neben den Mundwinkeln sitzen kleine Vertiefungen. Dicht an der Nase liegen schmale Augen.

Der glatte Pfeiler, der sich nach oben verjüngt, wird von einem Kapitell aus einem schmalen und einem breiteren plastischen Wulst bekrönt. Die ebenfalls glatten Seitenteile stehen vorn ein wenig über, sodass sie eine Art Rahmen um die Frontseite bilden. Oben hockt ein wenig nach rechts geneigt mit gekreuzten Hinterbeinen ein Affe, der sich mit beiden Armen auf die Unterlage stützt.

Kommentar: Bei der Kopfbedeckung handelt es sich um eine Kausia[1], eine makedonische Kappe, die sich nach dem Indienfeldzug Alexanders des Großen ungefähr ab 325 v. Chr. in Griechenland verbreitet. Etwa gleichzeitig werden Kinder nicht mehr als verkleinerte Erwachsene, sondern kindlich mit runden Wangen, dicken kleinen Bäuchen und stämmigen Oberschenkeln dargestellt. T I-32 zeigt ein kompliziertes Standmotiv mit zwei verschränkten Achsen. Die eine führt vom rechten Fuß her diagonal nach oben über den linken Arm zum Pfeilerkapitell. Die andere Achse verbindet den linken, leicht zurückgestellten Fuß über den zur rechten Seite gedrehten Körper mit dem nach links gewandten Kopf. Dieser ragt über die Konturlinie hinaus und unterbricht damit den pyramidalen Aufbau der Gruppe. Obwohl diese überwiegend auf Frontalansicht hin angelegt ist, verleihen ihr die verschränkte Beinstellung des Knaben, seine zurück genommene rechte Schulter und der nach hinten gerichtete Ellenbogen eine gewisse Tiefe. Auch die von vorn wahrnehmbare rechte Seite des Pfeilers unterstützt die räumliche Wirkung. Eine Gruppe in Hamburg[2], die aus einem kindlichen Eroten mit Hahn an einem Pfeiler besteht, ist in Aufbau und Stil vergleichbar. Auch hier unterbrechen der nach außen gereckte Hahnenschwanz und ein Flügel des Eros die im übrigen konvergierenden Konturlinien an der vom Betrachter aus linken Seite. Von Marmorwerken größeren Formats lässt sich die Statue eines Knaben aus Lilaia zum Vergleich heranziehen. Von T I-32 unterscheidet sie sich allerdings durch ihre eher geschlossenen Konturen und das Standmotiv mit überkreuzten Beinen[3]. So könnte die Gießener Terrakotta-Gruppe etwas jünger sein. Ihre hellbraune Tonfarbe weist nach Böotien.

Einordnung:  1. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr., Böotien?


 

 



[1] Dazu D. Burr Thompson, Troy. The Terracotta Figurines of the Hellenistc Period (Princeton 1963) 53-55. 86 Nr. 52-57 Taf. 61; U. Liepmann, Griechische Terrakotten, Bronzen, Skulpturen. Kestner-Museum (Hannover 1975) 91 Abb. T 97; E. Paul, Antike Welt in Ton (Leipzig 1959) 84 Nr. 194 Taf. 52; für Zypern s. z. B. H.-G. Buchholz – W. Wamser-Krasznai, Tempelknaben in Tamassos, RDAC 2007, 229-256 Taf. 255 a. c.-f. h-j.

[2] L. Frey-Asche, Tonfiguren aus dem Altertum (Hamburg 1997) 57 f. Abb. 33; dazu Winter 2, 1903, 279, 1. 3. 10; M. M. Kobylina, Terrakottastatuetten Pantikapaions und Phanagoreias. russ. (Moskau 1961) 4 Taf. 16; ferner L. Burn – R. Higgins, Greek Terracottas 3 (London 2001) 122 Nr. 2287 Taf. 51.

[3] H. Rühfel, Das Kind in der griechischen Kunst (Mainz 1984) 225 f. Farbtaf. 95.