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Stehender Jüngling im Mantel, "Reisender"

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai


Stehender Jüngling im Mantel, „Reisender“. Inv. T I-26. Alte Inv.-Nr. 160?

Zugehöriger Kopf: Inv. T I-27.

Provenienz: Erworben von Bruno Sauer mit Sondermitteln zum Universitätsjubiläum 1907.

Hohl. Vorderseite aus der Matrize, Rückseite nicht ausgearbeitet, leicht gerundet, grob geglättet, mit großem, rechteckigem Brennloch. Kopf: Vorder- und Rückseite aus Matrizen, zusammengefügt.
Hellbrauner (7.5YR 6/4) Ton. Reste von weißer Engobe. Rosa Farbspuren am Chiton. 

Zustand: Kopf aus mehreren Fragmenten zusammengesetzt, wieder angepasst, Erosionen auf dem Scheitel. Schräge Bruchlinie durch den Hals. Bestoßungen am Mantel und an der Plinthe. Stark versintert.

Maße: H: 25,0 cm; B: 9,1 cm; T: 6,3 cm.

Lit.: unpubliziert.

Beschreibung: Der junge Mann steht auf einer zweistufigen Plinthe, die vorn rechteckig, hinten gerundet ist. Er trägt einen kurzärmeligen, bis zu den Knien reichenden gegürteten Chiton, und einen auf der rechten Schulter geknüpften langen Mantel. Dieser bedeckt den linken Arm, umfängt den rechten und fächert an beiden Seiten in Falten auf. Mit der linken Hand umfasst der Jüngling den schräg über die Brust verlaufenden Mantelsaum. Die Füße mit ihren hohen Stiefeln sind leicht nach außen gewendet.  
Der lange schlanke Hals trägt einen rundlichen, nach rechts geneigten und nach links gedrehten Kopf. Er ist mit anliegenden kurzen gewellten Haarsträhnen bedeckt. Eine Querfalte teilt die Stirn. Kleine von plastisch modellierten Lidern eingefasste Augen liegen unter hohen Orbitalen tief in den Höhlen und weit auseinander. Die straffen Wangen enden in einem runden Kinn. Unter der geraden Nase bilden volle Lippen den geschlossenen Mund.

Kommentar: T I-26 vertritt den Typus des Epheben, eines jungen wehrfähigen Mannes. Wie die Verletzungen am Scheitel andeuten, trug er wohl eine Kopfbedeckung, den Petasos[1]. Varianten des Typus konnten als Krieger[2] gestaltet sein, auch als Knaben, jeweils mit den entsprechenden Abweichungen in Standmotiv und Tracht[3].
Der Kopf des Gießener Epheben zeigt mit seinen kurzen, asymmetrisch frisierten aufgelockerten Haarsträhnen, den kleinen tiefliegenden Augen und der gewölbten, von einer Querfurche durchzogenen Stirn die Merkmale des späten 4. Jahrhunderts v. Chr.[4]. Die Parallelen entstanden zumeist in Böotien. Zu dieser Entstehungslandschaft passt auch die Tonfarbe des Exemplars T I-26.


Einordnung:  Um 300 v. Chr.; Böotien (Tanagra).

 

 



[1] L. Burn – R. Higgins, Cat. of Greek Terracottas in the British Museum III (London 2001) 65 Nr. 2120 Taf. 22, Petasos verloren; F. W. Hamdorf, Die figürlichen Terrakotten der Staatlichen Antikensammlungen München (Lindenberg im Allgäu 2014) 214 f. D 184-186, mit Varianten in Haltung, Drapierung und Kopfbedeckung; E. Jastrow, Abformung und Typenwandel in der antiken Tonplastik, OPArch 2, 1941, 25 Abb. 10 c, Kopf nach rechts gedreht; Winter 2, 1903, 237, 1.

[2] Im Panzer und mit erhobenem Arm, der durch einen Speer zu ergänzen wäre, R. Higgins, Tanagra and the Figurines (London 1987) 148 f. Abb. 180

[3] P. Leyenaar-Plaisier, Les terres cuites grecques et romains (Leiden 1979) 109, Nr. 219. 221 Taf. 38; mit Herme: E. Paul, Antike Welt in Ton (Leipzig 1959) 85 Nr. 201 Taf. 55.

[4] z. B. Apoxyomenos, B. Sismondo Ridgway, Hellenistic Sculpture I (Bedminster 1990) 73-75 Taf. 35; M. Weber, Zum griechischen Atheletenbild, RM 103, 1996, 31-49 Taf. 14 f.