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Sirene

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

 

 

Sirene, Inv.T I-3, alte Inv.-Nr. 36, auf der Unterseite in roter Farbe die Zahl 19.

Provenienz: erworben von Bruno Sauer, aus der Sammlung Margaritis.

 

Rundplastisch. Vorder- und Rückseite aus der Matrize. An der Unterseite kleines Brennloch.

Harter, hellbrauner (10 YR 7/2-3) Ton mit feinen Einschlüssen. Weiße Engobe. Reiche Bemalung: Vorderteil des Vogelkörpers hellrot, Halsschmuck ziegelrot; um den Schwanz herum ein breiter und ein schmaler Streifen in dunklerem Rot, ein weiterer läuft um den Vogelrücken herum. Dunkles Rot auch für ein Band zwischen den beiden Lockenregistern über der Stirn, das schräg über die Seiten hinweg und um den Hinterkopf herumläuft. Lippen weinrot. Spuren schwarzer Farbe auf dem herabfallenden Haar, vor allem an den Seiten. Kurze schwärzliche Linien am Sockel zur Angabe der Krallen.


Erhaltung: intakt..

Maße: L: 10,7 cm; H: 8,9 cm; T: 4,4cm.

Lit.: Chr. Habrich (Hrsg.), Frankenstein. Symbolgestalt biotechnischer Grenzüberschreitung, Katalog des Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 29, 2006, 133. 171 Abb. 22; D. Graen – M. Recke, Herakles & Co. Götter und Helden im antiken Griechenland (Gießen 2010) 188 Abb. 109.

 

Beschreibung: Der rundliche Frauenkopf ist dem Betrachter zugewandt und gegen den gedrungenen Vogelkörper um 90 Grad gedreht. Im Bereich der Flügel und des Schwanzes geben flache Querrillen das Gefieder an.
Zwei Reihen Buckellocken rahmen die Stirn in flachem Bogen, ansonsten fällt das Haar in einer kompakten Masse auf Schultern und Rücken herab.
Das Gesicht ist in Höhe der Augen am breitesten und verjüngt sich kontinuierlich bis zum runden, vorspringenden Kinn. Stirn und Nase bilden eine gerade durchgehende Linie. Die großen weit auseinander stehenden Augen sind flach gewölbt. Der breite geschlossene Mund ist leicht in das Inkarnat eingesenkt und zeigt das archaische Lächeln. Die Ohren tragen scheibenförmigen Schmuck, um den Hals liegt eine Perlenkette.

KommentarDas Vogelwesen mit dem weiblichen Kopf gehört zur Gruppe der Sirenen[1], die in Form von Terrakotta-Statuetten in Heiligtümer geweiht und im Grabkult verwendet wurden[2]. Die nächsten Parallelen zu T I-3 stammen einerseits aus der Nekropole von Kamiros auf Rhodos[3], andererseits aus Böotien[4]. Ikonographisch folgen sie vermutlich ionischen Vorbildern, nämlich Vogelstatuetten und figürlichen Gefäßen in Sirenengestalt[5].
Der helle Ton des Gießener Exemplars weist eher auf böotische Fertigung hin; auch steht die ausgeprägte Kinnpartie im Gegensatz zu der geradlinigen Stirn-Nasen-Region, sodass nicht von einem ionischen Profil gesprochen werden kann.
In stilistischer Hinsicht weisen das archaische Lächeln, die Wölbung der Augäpfel und der weite Augenabstand, ebenso wie die 90-Grad-Drehung des Kopfes gegenüber der Körperachse – in frühklassischer Zeit drehen die Sirenen den Kopf nur um 45 Grad[6] – auf eine Entstehung von T I-3 am Ende des 6. Jhs. v. Chr. hin. Dazu passt die Datierung einer Parallele aus Kamiros durch ihren Fundkontext[7].

Einordnung: 510/500 v. Chr.; rhodischer Typus, aus Böotien (?)

 

 

     

 

 



[1] E. Buschor, Die Musen des Jenseits (München 1944); von den Sirenen sind die Keren und die Hapyien ikonographisch unterschieden, E. Hofstetter, Sirenen im archaischen und klassischen Griechenland (Würzburg 1990) 33-35.

[2] Hofstetter a. O. 24-32.

[3] Clara Rhodos IV, 1929/30, 286. 289 Abb. 319. 320.

[4] S. Mollard-Besques, Cat. raisonné des figurines et reliefs I (Paris 1954) 23 Nr. B 136 Taf. 17; B. Schmaltz, Terrakotten aus dem Kabirenheiligtum bei Theben (Berlin 1974) 136 182 Nr. 368 Taf. 29.Ferner: N. Breitenstein, Cat. of Terracottas (Copenhagen 1941) 19 Nr. 165. 166 Taf. 18; U. Gehrig, Antiken aus Berliner Privatbesitz 1975, Nr. 149; F. W. Hamdorf, Die figürlichen Terrakotten der Staatlichen Antikensammlungen (München 2014) 80 Nr. C 157, I. Jucker, Aus der Antikensammlung des Bernischen Historischen Museums (Bern 1970) 77 f. 120 Taf. 51.

[5] Chr.Blinkenberg, Lindos (Berlin 1931) 583-585 Nr. 2414. 2418. 2420. 2423. 2425 f. Taf. 113; J. Ducat, Les vases plastquerhodiens (Paris 1966) 54 f. Taf. 8, 3. 4; U. Liepmann, Griechische Terrakotten, Bronzen, Skulpturen (Hannover 1975) 39 f. Abb. T 9; E. Simon, The Kurashiki Ninagawa Museum (Mainz 1982) 201 Abb. 135; U. Sinn, Antike Terrakotten (Kassel 1977) 26 Nr. 17 Taf. 6.

[6] Schmaltz a. O. 136.

[7] Clara Rhodos a. O. 289 Abb. 319.