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Kleiner weiblicher Kopf mit Polos

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

TI-10

Kleiner weiblicher Kopf mit Polos, Inv. T I-10; alte Inv.-Nr. 30

Provenienz: unbekannt.

 

Vorderseite des Kopfes aus der Matrize, Rückseite plan, geglättet. Polos von Hand angesetzt.

Gelbbrauner (7,5YR 7/5) Ton mit dunklen Einschlüssen. Wenige Reste weißer Engobe, rötliche Farbspuren an der linken Seite des Polos.

Erhaltung: Abbruch unterhalb des Kinns. Ritzlinien am Übergang zum Haar.

Maße: H: 5,2 cm; B: 3,9 cm; T: 2,7 cm.

Lit.: Unpubliziert.

  

Beschreibung: Ein hoher Polos, der sich nach oben mäßig verbreitert, schmückt den kleinen Kopf. Das länglich-ovale Gesicht rundet sich im Bereich der Wangen und verjüngt sich allmählich gegen das vorspringende Kinn. In der Seitenansicht erkennt man das fliehende Profil. Unter dem Polos treten waagerecht endende Strähnen hervor, die hohe Stirn in einem flachen Bogen rahmend. Langes Haar fällt dicht gebündelt in dünnen Strähnen herab. An der linken Seite des Kopfes ist das Ohr, stilisiert als ein vom Schulterhaar abgesetztes bogenförmig-längliches Gebilde, zu erkennen[1]. Die vollen, geschlossenen Lippen sind an den Winkeln kaum angehoben. Sie setzen sich durch halbkreisförmige  Falten vom Kinn und von den glatten Wangen ab. Hohe Orbitale von geringer Tiefe liegen über den leicht vortretenden Augäpfeln, die nach oben bogenförmig, nach unten waagerecht  begrenzt sind.

 

Kommentar: Im Gegensatz zu den eher hoch rechteckigen Silhouetten lokrischer Kopfprotomen zeigt die Inv.-Nr. T I-10 eine Konturlinie, deren Verjüngung allmählich in Augenhöhe beginnt und im unteren Wangenabschnitt deutlich zunimmt. Darin gleicht das Köpfchen Exemplaren aus Heiligtümern in Paestum/Poseidonia[2], mit denen es in der Bildung der Augen und in der Form des Polos übereinstimmt. Ähnlich ist die Gesichtsform einzelner Köpfe in San Biagio/Metapont[3]. Auch ein Kopf aus dem Demeterheiligtum von Herakleia zeigt die längliche Form des Exemplars T I-10. Er unterscheidet sich jedoch von diesem durch den ausladenden Polos, die plastisch angegebenen Augenlider und Brauen, sowie durch sechs verkürzte Mittelsträhnen über der Stirn.    

In stilistischer und ikonographischer Hinsicht ähnelt T I-10 vor allem Exemplaren aus Paestum[4]. Gegen das dunklere Rotbraun der Statuetten von Poseidonia setzt sich das Exemplar in Gießen freilich durch seine etwas hellere Tonfarbe ab.

 

Einordnung:3./4. Viertel des 6. Jhs. v. Chr., aus Lukanien (Paestum?)

 
TI-10a TI-10b TI-11c


[1] Ähnliche Stilisierungen bei lokrischen Köpfen, Barra Bagnasco 1986, 81-83 Nr. 126. 129 Taf. 23.

[2] R. Miller Ammerman, The Naked Standing Goddess: A Group of Archaic Terracotta Figurines from Paestum, AJA  1991, 203-209 Abb. 1, aus dem urbanen Heraion, Abb.  3 und  6, aus dem Heiligtum von Santa Venera; aus Tarent ebenda 214 Abb. 14; in der farbigen Abbildung wird die reiche Bemalung deutlich, A. Dell’Aglio – A. Zingariello (Hrsg.), MARTA. Il Museo Nazionale Archeologico di Taranto (Tarent 2009), 38.

[3] Olbrich 1979, 207 Nr. C 22 Taf. 51; 288 Nr. C 189 Taf. 85; an matrizengleichen Statuetten aus den Heiligtümern von Poseidonia und Metapont zeigt R. Miller Ammerman die enge Beziehung zwischen den Werkstätten, dies. 1991, 212 f. Abb. 11 und 12.

[4] Vgl. die Konturen der Gesichter, Form und Position der Augen, das markante Kinn und die von ringförmigen Falten belebte Mundpartie, R. Miller Ammerman ebenda 1991, 209 Abb. 5. 6.