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Kleiner weiblicher Kopf mit dekoriertem Polos

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

TI-11

Kleiner weiblicher Kopf mit dekoriertem Polos, Inv. T I-11; alte Inv.-Nr. 27

Provenienz: unbekannt.

Vorderseite aus der Matrize, Dekorelemente extra geformt und angesetzt. Rückseite hohl, flüchtig geglättet.

Hell-rotbrauner (5YR 7/5), im Kern grauer (5Y 7/1) Ton; Spuren weinroter Bemalung am Schulterhaar links.

Erhaltung: Schräge Bruchfläche unterhalb des Kinns. Abbrüche am oberen Rand des Polos und an den Dekorscheiben.

Maße: H: 5,6 cm; B: 4,3 cm; T: 3,0 cm

Lit.Unpubliziert.

 

Beschreibung: Ein Polos mit scheibenartigem Dekor schmückt den kleinen Kopf. An dessen rechter Seite schließt ein weiteres stark fragmentiertes  Schmuckelement an. Auch vorn in der Mitte saß vermutlich ein entsprechendes Element. Ein dünnes Band schlingt sich um das Haar, das die Stirn mit einem Bogen aus gleichmäßig breiten Strähnen rahmt. Hinter den Ohren – das rechte ist auf die Angabe der Helix, das linke auf eine Vorwölbung in Höhe des Ohrläppchens reduziert – fallen lange Haarsträhnen senkrecht herab.

Das Gesicht, das sich vehement nach unten verjüngt, hat die Form eines gleichseitigen, auf der Spitze stehenden Dreiecks, akzentuiert von der großen Nase und einem prägnanten Kinn. Die geschlossenen Lippen sind halbmondförmig nach oben geschwungen. Flache Einziehungen neben den Mundwinkeln beleben die straffen Wangen. Schmale plastisch gearbeitete Lider fassen die leicht vortretenden Augäpfel ein. Auch die Brauen über den niedrigen Orbitalen sind plastisch angegeben.

 

Kommentar: Scheibenförmige Elemente schmücken vornehmlich die Poloi weiblicher Terrakottafiguren aus den Heiligtümern von Metapont[1]. Beim Gießener Köpfchen könnte es sich allerdings auch um blattartige Schmuckelemente handeln; dafür spricht der bis zur Abbruchkante eher geradlinige Verlauf der bestoßenen Appliken. Wie eine vollständiger erhaltene Metapontiner Statuette zeigt, dekorierte man den Polos außer mit Scheiben (-Rosetten) auch mit Blättern und Knospen[2].

Das Gesicht der Inv.-Nr. T I-11 wirkt knochig und spitz. Die Haut scheint sich förmlich um das Kinn herum zu spannen. Darin ähnelt der kleine Kopf einer Statuette aus dem Votivdepot „Favale“ bei Metapont sowie einer Reihe weiblicher Terrakottaköpfe aus anderen Metapontiner Heiligtümern[3]. Ähnlich knapp formulierte Gesichter mit vorspringendem Kinn begegnen bei Statuetten aus dem Gebiet von Siris/Herakleia[4].

Während sich die Schmuckhaftigkeit des Polos allem Anschein nach auf Metapont beschränkt, sind stilistische Details wie die von schmalen Lidern gerahmten, leicht vortretenden Augäpfel, das straffe Untergesicht und das spitze Kinn auch bei archaischen Frauenköpfen aus Herakleia und Sybaris anzutreffen[5]. Über die Koroplastik hinaus erinnert die Inv.-Nr. T I-11 auch an großplastische Werke, wie an den Kopf der Kore 654 auf der Athener Akropolis[6].

 

Einordnung:Zweite Hälfte des 6. Jhs. v. Chr., aus Metapont

 

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[1] Olbrich 1979, 147  Kat.-Nr. A 99 Taf. 21; zu Blüten und Knospen am Polos, Scheiben unterschiedlicher Größe, verschiedenen Schulterdekors sowie Flügeln: ebenda 151  Kat.-Nr. A 106 Taf. 24 a. S. 158  Kat.-Nr. A 124 Taf. 30; D. Adamesteanu – D. Mertens – F. d’Andria, Metaponto I, NSc Suppl. 29, 1975 (Rom 1980), 184 Abb. 195 a.

[2] Olbrich 1979, 150 f. Taf. 24 a; als Schulterappliken ebenda, Taf. 28 b. Mit Knospen am Polos ebenda 157 Taf. 29 a.

[3] M. G. Liseno, Metaponto. Il deposito votivo favale (Rom 2004), 38 f. Taf. 6 a; Adamesteanu – Mertens – D’ Andria 1980,  264 f. Abb. 280; San Biagio, Olbrich 1979, 151 Taf. 24 b. 156 Taf. 27 e. 157 Taf. 29 a.

[4] Neutsch 1968, 783 Abb. 33 a; S. Bianco – M. Tagliente, Il Museo Nazionale della Siritide di Policoro (Bari  21993) 111 Abb. 6.

[5] B. Neutsch, Neue archäologische Entdeckungen in Siris und Herakleia, AA 1968, 782 f. Abb. 33 a „Hades (?)“; mit abweichender Haartracht: Bianco – Tagliente 1993, 111 Abb. 61; ebenso G. Olbrich, Verwandtes und Benachbartes zu den archaischen Terrakotten aus dem Demeter-Heiligtum von Herakleia, in: B. Otto (Hrsg.), Herakleia in Lukanien und das Quellheiligtum der Demeter (Innsbruck 1996), 187 Taf. 4, 1; Sybaris: Olbrich ebenda 187 Taf. 4, 2. S. 189 Taf. 6, 2.

[6] Mit  Polosfragment und Zungenhaar: G. Richter, Korai (ND NewYork  1968), 49 Nr. 654 Abb. 212. 213; ferner ebenda S. 73-75  Nr. 116  Abb. 366.