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Schauspieler der neuen Komödie in der Rolle der „Alten Schwätzerin“

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

 

TI-31

Schauspieler der neuen Komödie in der Rolle der „Alten Schwätzerin“, Inv. T I-31

Provenienz: unbekannt.

 

Vorder- und Rückseite aus Matrizen gewonnen und zusammengefügt. Nahtstelle rechts verstrichen, links unten Fuge zwischen den beiden Teilen der Statuette. An der Rückseite großes ovales Brennloch. Unterseite der Plinthe offen.

Erhaltung: Risse quer durch die Mundpartie sowie rechts neben der Nase  vom inneren Augenwinkel in die Wange hinein. Verletzung links neben dem Kinn. Nasenspitze bestoßen.

Heller gelbbrauner (7.5YR 7/4) kaum glimmerhaltiger Ton mit vielen dunklen Einschlüssen. Wenige Reste heller Engobe. Keine Bemalungsspuren.

Maße: H: 12,8 cm; B: 4,7 cm; T: 3,2 cm; Tiefe des Kopfes in Höhe der Nase: 2,7 cm.

Lit.: M. Recke, Antike Kunst aus der Sammlung der Justus-Liebig-Universität Gießen, 2010, 23 Abb. 46.

 

Beschreibung: Auf einer flachen, rechteckigen Basis steht eine Figur in Chiton und Mantel. Das lange Gewand reicht mit seinen dichten, ungleichmäßig breiten Falten bis zum Boden und zu den Schuhspitzen, auf denen Staufalten zu erkennen sind. Der Mantel bedeckt den Kopf und den Wulst über der Stirn, rahmt das Gesicht und verhüllt die angewinkelten Arme. Unterhalb der flachen Brust bildet der Stoff einen quer verlaufenden Bausch, der in einem dreieckigen, von einem Gewicht beschwerten Zipfel endet. Die linke Hand umfasst  das freie Ende des Mantels, das in Längsfalten bis zu dem in Höhe der Knie leicht nach rechts abfallenden Saum herab reicht. Die offene rechte Hand zeigt mit ausgestreckten Fingern und abgespreiztem Daumen nach oben.

Der Kopf ist nach vorn und zur linken Seite geneigt. Ebenso wie die erhöhte rechte Schulter zeigt er nach hinten eine ausgeprägte Wölbung, was vor allem in den Seitenansicht zur Geltung kommt. Kleine Augen mit plastisch hervortretenden Oberlidern liegen tief in den Höhlen. Die Brauen steigen neben der Nasenwurzel steil an, bilden dann jedoch flache Bögen. Das mächtige, dreieckige Kinn, die glatten Wangen und der große halb geöffnete Mund bestimmen das Untergesicht, dessen Dominanz gegenüber der niedrigen, gewölbten Stirn durch die Bruchstelle noch hervorgehoben wird. Die leichte Asymmetrie im Augen- und Wangenbereich ist wohl beim Herausnehmen aus der Form entstanden.

 

Kommentar: Die Statuette hängt vermutlich von derselben Matrize ab wie ein aus Capua stammendes Exemplar in Berlin[1], eine Schauspielerfigur der Neuen Komödie in der Maske der „ alten Schwätzerin“[2]. Als ehrbare Frau verhüllt sie sich sorgfältig, sobald sie das Haus verlässt. Nur die Hände sind so weit unbedeckt, dass sie die lebhafte Rede mit entsprechenden Gesten begleiten können[3]. Der große breit gezogene, halb offene Mund, die flache Brust und die buckelartig erhöhte rechte Schulter vermitteln den Eindruck einer  hässlichen Alten[4]. Nicht nur die überzeichneten Züge, auch die beachtliche Distanz zwischen Nase und Hinterkopf lassen darauf schließen, dass eine Maske getragen wird.

Die Beine sind von den Schuhspitzen abgesehen hinter vertikalen Chitonfalten verborgen[5]. Der relativ weit oben angegebene horizontale Mantelbausch und die herabhängende Stoffbahn unterhalb des linken Armes entsprechen einer Gewanddrapierung, die seit dem fortgeschrittenen 4. Jh. v. Chr. bei männlichen und weiblichen Figuren erscheint[6]. Das Mantelmotiv ähnelt dem der sitzenden Alten auf dem Mosaik des Dioskourides aus Pompeji[7]. Hier treten jedoch gebauschte Strähnen unter dem Tuch, das den Kopf bedeckt, hervor, während sich bei der Gießener Statuette kein Stirnhaar abgrenzen lässt.  

 

Einordnung:um 300 v. Chr., aus Capua.

 
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[1] Bürgerwelten. Hellenistische Tonfiguren und Nachschöpfungen im 19. Jh. Staatliche Museen zu Berlin (Mainz 1994) 138 f. Abb.  68; M. Bieber, The History of the Greek and Roman Theater (Princeton 21961) 97, Abb. 353; A. Pickard-Cambridge, The Dramatic Festivals of Athens (Oxford 31988) 229 Abb. 131; L Webster, Monuments Illustrating New Comedy (London 21969); Winter 1903  2, 428, 2.

[2] Vielleicht handelt es sich um Myrrhina, eine reiche korinthische Matrone aus der Komödie Perikeiromene („Herumschwätzerin“) des Menander, Bieber a. O. 1961, 97 Abb. 353; Pickard - Cambridge 31988, 228 f. Nr. 6,  Abb. 131; Webster 21969, 127, NT 12.

[3] Bieber 1961, 97.

[4] S. Pfisterer-Haas, Darstellungen alter Frauen in der griechischen Kunst (Frankfurt am Main 1989) 85, Anm. 319.

[5] G. Kleiner, Tanagrafiguren (Berlin 1942) 105.

[6] G. M. A. Richter, The Portraits of the Greeks (Oxford 1984) 42 f. Abb. 9.a. S. 46 f. Abb. 10. S. 203 Abb. 164; ohne Kolpos:  Partikularurkunde Ende des 4. Jhs. v. Chr., M. Meyer, Die griechischen Urkundenreliefs (Würzburg 1989) 309 A 156 Taf. 49, 2.

[7] Hier handelt es sich bei dem Wulst über der Stirn eindeutig um Haar, s. z. B. St. De Caro (Hrsg.), Il Museo Archeologico Nazionale di Napoli (Neapel 1994) 141 Nr. 9987.