Gießener Geschichtslesesommer 2017
Birgit Weyhe hat mit der Graphic Novel „Madgermanes“ auf ein wenig bekanntes historisches Thema und seine Auswirkungen bis heute aufmerksam gemacht. Ein Bericht über die Lesung aus studentischer Sicht gibt einen kleinen Einblick: „Madgermanes“ von Birgit Weyhe Eine Lesung im Rahmen des Geschichtssommers 2017 Von Usha Frenking und Anna Artarian
Am 20. Juni las die Autorin Brigit Wehye aus ihrer Graphic Novel „Madgermanes“. Dies fand im Rahmen des Geschichtssommers 2017(einer kooperativen Veranstaltung der Professur für Didaktik der Geschichte der JLU Gießen und des Literarischen Zentrums Gießen e.V.) statt, begleitet und moderiert von Monika Rox-Helmer (JLU) und Anna-Lena Heid (LZG). Birgit Wehye, geboren in Deutschland, aufgewachsen in Ostafrika, studierte Literatur, Geschichte und Illustration und arbeitet seit dem als freie Illustratorin und Comic-Zeichnerin. Von 1979-1991 beschäftigte die DDR ca. 20.000 mosambikanische Vertragsarbeiter. Mit dem Versprechen, eine Berufsausbildung zu erhalten, um anschließend am Aufbau eines sozialistischen Mosambiks mitzuarbeiten kamen sie nach Deutschland. Die Realität sah anders aus. Basierend auf den Erinnerungen und Erzählungen ehemaliger Vertragsarbeiter/innen entstand Wehyes Graphic Novel „Madgermanes“. Sie zeichnet diese stark abweichende Wirklichkeit nach und erinnert an einen weitgehend unbekannten Teil der deutschen Geschichte. „Madger-Madgerma-Madgerwas? Wie bitte, was soll das sein? Wie spricht man das überhaupt richtig aus? Und wieso schreibt jemand ein Buch darüber?“ Über das Schicksal der Madgermanes erfuhr ich zum ersten Mal durch die vorbereitenden Recherchen zur Lesung. Mein Unwissen darüber überraschte und schockierte mich gleichermaßen: wie konnte es sein, dass ich noch nie was von den mosambikanischen Vertragsarbeitern gehört hatten, die immerhin zwölf Jahre lang Teil der ostdeutschen Gesellschaft gewesen waren? Von der Lesung erhoffte ich mir einen tieferen Einblick in ihre Geschichte. „Was ist Heimat?“, „Was ist Erinnerung?“- mit diesen zentralen Fragen beginnt die Geschichte, durch die drei fiktive Protagonisten, Annabella, José und Basilio, führen. Die Bilder vorwiegend in verschiedenen Brauntönen gehalten transportieren die afrikanische Wärme, die Hoffnung und den Stolz der Drei, die, als „die Besten“ ihres Landes ausgewählt wurden, um im sozialistischen Bruderland eine erstklassige Ausbildung zu erhalten. Gleichzeitig stehen diese Farben in starkem Kontrast zur kalten und grauen Realität in Deutschland: Ablehnung durch die deutsche Gesellschaft, Ausführen von unqualifizierten Hilfsarbeiten, keine Integration der Mosambikaner und strenge rechtliche Auflagen, die mit dem Aufenthalt in der DDR verbunden sind. Basilio, Annabella und José berichten von ihrem Schicksal und geben dabei ganz unterschiedliche Antworten auf die eingangs gestellten Fragen. Anschließend an die Buchvorlesung fand ein Werkstattgespräch statt. Ausführlich wurde dabei das Schicksal der zurückgekehrten Mosambikaner thematisiert: Als Helden wurden sie erwartet, doch die Enttäuschung der Familien war groß, als sie begriffen, dass die erhoffte und dringend gebrauchte finanzielle Unterstützung ausblieb. Nachdem die Madgermanes in Deutschland ausgebeutet wurden, ist es umso trauriger, dass ihnen in ihrer Heimat kein Verständnis für ihre persönliche Lage entgegengebracht wurde. Der ohnehin schon hohe emotionale Grad der Lesung, intensivierte sich durch den vertieften Einblick in das Schicksal der Heimgekehrten. „Madgermanes“, wie die Mosambikaner die Vertragsarbeiter nennen, ist eine Wortschöpfung, die sich aus „Verrückte Deutsche“ und „Made in Germany“ zusammensetzt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine Geschichte von Täuschung, geplatzten Träumen und Desillusion. Einfühlsam führt Wehye in ihrer Graphic Novel durch das Schicksal 20.000 Mosambikaner und lässt dabei die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Für ihre Graphik Novel erhielt Wehye 2015 den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung und 2016 den Max & Moritz Preis für das "beste deutschsprachige Comic". |