Gießener Geschichtslesesommer 2011
J.van Laak eröffnet den GELESO 2011 in der Stadtbibliothek Gießen |
Geschichte wird in Geschichten transportiert und fiktionale Verarbeitungen von Geschichte prägen das Geschichtsbewusstsein oft weit stärker als der Geschichtsunterricht. Deshalb sind fiktionale Verarbeitungsformen von Geschichte an der Professur für Didaktik der Geschichte seit einiger Zeit ein Schwerpunkt in Forschung und Lehre. Im Sommersemester 2010 wurde dieser Schwerpunkt erstmals in den Seminaren des Moduls Pragmatik I mit einer Lesereihe verbunden. Diese richtete sich an Studierende und Lehrende der Universität, an Schülerinnen und Schüler sowie an die interessierte Öffentlichkeit. Im Sommersemester 2011 beschäftigen sich zwei Projektseminare unter der Leitung von Dr. Jeannette van Laak und Rita Rohrbach sowie ein Exkursionsseminar unter der Leitung von Monika Rox-Helmer mit historischen Jugendromanen. Als Manifestationen der Geschichtskultur stellen sie Herausforderung für den Geschichtsunterricht dar, bieten aber auch eine besondere Chance, Vergangenheit in Geschichten zu vermitteln. |
In diesen Seminaren werden die Einsatzmöglichkeiten im fächerübergreifenden Lernen sowie beim Lernen an historisch-literarischen Orten ausgelotet und diskutiert sowie an Beispielen konkretisiert.
Integraler Bestandteil dieser Seminare ist der Gießener Geschichtslesesommer (GELESO). Die Jugendbuchautoren Uschi Flacke und Klaus Kordon lesen aus ihren Werken vor und stehen für ein Werkstattgespräch zur Verfügung; in einer dritten Lesung wird der Antikriegsklassiker „Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß“ von Rudolf Frank in einer gemeinsamen Lesung mit dem Schauspieler Dominik Breuer und Studierenden vorgestellt.
Die Lesereihe wird in Zusammenarbeit mit dem Literarischen Zentrum Gießen konzipiert. Das Zentrum für Medien und Interaktivität, die Stadtbibliothek Gießen, Gießen Marketing, die Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen, das Kulturamt der Stadt Gießen sowie der Ricker´schen Universitätsbuchhandlung unterstützen die Veranstaltungsreihe finanziell.
1. Lesung: Uschi Flacke „Die Nacht des römischen Adlers“
Die erste Lesung des Geschichtslesesommers 2011 fand am 2. Mai in der Stadtbibliothek Gießen statt. Uschi Flacke las vor einem gemischten Publikum aus Schülerinnen und Schülern, Studierenden, Lehrkräften und weiteren Literaturinteressierten aus ihrem Jugendbuch „Die Nacht des römischen Adlers“. Zwischen einzelnen Passagen des Romans kam es zu intensiven Gesprächen der Zuhörer mit der Autorin. Darin zeigte sich, wie stark die Romanhandlung um ein Germanenmädchen, das sich als Küchenhilfe im Kastell der Römer verdingt, Jugendliche anspricht und zum historischen Denken anregt. Damit hat sich die der Lesereihe zugrunde liegende Idee, Universität, Schulen und Stadt über Literatur und Geschichte ins Gespräch zu bringen, bereits in der ersten Lesung als tragendes Konzept erwiesen.
Die Lesung war der Auftakt eines gemeinsamen Projektes von Studierenden eines Exkursionsseminares und einer 6. Klasse der Freiherr-vom-Stein-Schule Wetzlar, das in einen gemeinsamen Aktionstag an der Saalburg, dem Haupthandlungsort des Romans, münden wird.
Uschi Flacke liest aus |
Uschi Flacke signiert Bücher |
2. Lesung: Rudolf Frank „Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß“
Die zweite Lesung des diesjährigen Geschichtslesesommers wurde in das Begleitprogamm der Ausstellung „… ein sehr lebhaftes Vielerlei – Erinnerungen an Rudolf Frank“ aufgenommen. Sie fand am 16. Mai 2011 im Biologischen Hörsaal im Universitätshauptgebäude am Ludwigsplatz statt. Nach einer Begrüßung durch Prof. Dr. Vadim Oswalt und einleitenden Worten von Rita Rohrbach, die mit ihren Studierenden die Lesung vorbereitet hatte, las der Schauspieler Dominik Breuer aus dem Jugendbuch von Rudolf Frank „Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß“. Nachdem Breuer verschiedene Passagen des Antikriegsromans sehr eindrücklich dargeboten hatte, wurde eine Schlüsselszene des Jugendromans szenisch gestaltet. Hierfür hatten die Studierenden die Lazarettszene aus Franks Buch ausgewählt, in der einige im Ersten Weltkrieg verwundete Soldaten verschiedener Länder zusammentreffen, über ihre Motive für den Krieg, ihre Vorurteile gegenüber dem Feind und über ihre Erfahrungen debattieren. Eine besondere Wirkung entfaltete das Zusammenspiel der verteilt im Hörsaal sitzenden Studierenden, als diese aus ihrem Zuhörerstatus heraus traten und die Lesung aktiv mit gestalteten. Dies barg zum einen einen Überraschungseffekt unter den Zuhörern, zum anderen bot es allen Anwesenden einen Einblick in das Potential szenischer Lesungen. Im Anschluss diskutierten die Studierenden über Funktion und Wirkung historischer Jugendromane. Eine Ausstellung mit didaktischen Materialien vor dem Hörsaal rundete die Veranstaltung ab.
3. Lesung: Klaus Kordon „Im Spinnennetz“
Zur dritten und letzten Lesung des Geschichtslesesommers 2011 kam Klaus Kordon aus Berlin, um aus seinem neuen All-Age-Roman „Im Spinnennetz“ zu lesen. Mit diesem Roman beendete Klaus Kordon die Trilogie um Jette und Frieder, die er mit dem inzwischen als Klassiker bezeichneten Roman „1848“ begann und mit „Fünf Finger hat die Hand“ fortsetzte. Der neue Roman nun handelt in den Jahren 1890 und 1891 und erzählte über die Enkelgeneration von Jette und Frieder, nämlich über Anna und David. Im Mittelpunkt des Romans stehen neben der Liebesgeschichte zwischen Jette und Frieder die Folgen des 1878 von Bismarck erlassenen Sozialistengesetzes, das der sich langsam formierenden sozialdemokratischen Partei eine aktive Teilnahme am politischen Geschehen im Kaiserreich erschwert hatte, da u. a. ein Plakatierungsverbot für Veranstaltungen und Parteiwerbung damit verbunden waren. Diejenigen, die sich von solchen Verboten nicht abhalten ließen, mussten mit langjährigen Gefängnisstrafen rechnen, so auch Frieders Großvater. Dieser wird im Roman aus dem Gefängnis Plötzensee entlassen, nachdem 1890 das Sozialistengesetz aufgehoben wurde. Seine Hoffnung, mit seiner Frau zusammenleben und seine politische Arbeit fortsetzen zu können, erfüllt sich jedoch nicht, da seine Frau wenige Monate vor seiner Entlassung verstirbt. Im anschließenden Werkstattgespräch erzählte Kordon, wie er zu seinen Geschichten kommt, wie er sich für die historischen Details in den Bibliotheken vergräbt, es dort aber kaum länger als drei Wochen am Stück aushält, weil es ihn dann ‚in den Fingern jucke‘ und er wieder schreiben müsse. Ein von zwei Studentinnen im Anschluss an die Lesung geführtes Interview soll Grundlage eines Features sein, das im Begleitseminar entstehen soll.
Interview mit Klaus Kordon