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Bericht: Zwischen Hetze und Meinungsfreiheit

Bericht: Veranstaltungsreihe Zwischen Hetze und Meinungsfreiheit im Sommersemester 2017

Die Grenze des Sagbaren in der Politik und Wissenschaft.text.image0

Der zunehmende Anstieg von verbalisierter Menschenverachtung durch die Nutzung digitaler Medien hat die Frage nach dem „Sagbaren“ in demokratischen Gesellschaften neu in eine öffentliche Debatte gebracht. Sie stellt nicht zuletzt auch in der schulischen und universitären Lehre eine große Herausforderung dar und war der Ausgangspunkt der Reihe Zwischen Hetze und Meinungsfreiheit. Die dreiteilige Veranstaltungsreihe mit Gastvorträgen und Debatten wurde von Dr. Tina Olteanu (Vertretungsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft) für die ZMI-Sektion 1 im Sommersemester 2017 organisiert. Ziel war es, das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dessen Grenzen kritisch zu reflektieren.

Die erste Veranstaltung am 9. Mai 2017 beschäftigte sich mit den rechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit. PD Dr. Alexander Thiele (Universität Göttingen) betonte in seinem Beitrag die hohe Relevanz der Meinungsfreiheit als zentrales demokratisches Recht. Allerdings bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass jede Form der Meinungsäußerung durch dieses Gesetz tatsächlich geschützt ist. Jedoch setzt die Einschränkung der Meinungsfreiheit ein kontextspezifisches Abwägen voraus, welches, laut Thiele, von den zuständigen Gerichten für jeden Einzelfall geklärt werden muss. Jegliche Einschränkung durch Dritte bewertete er sehr skeptisch, da hier das Recht auf Meinungsfreiheit potenziell Schaden nehmen könne. Sandra Niggemann (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz) hingegen präsentierte den Entwurf des inzwischen verabschiedeten „Netzwerk-Durchsetzungsgesetzes“, welches große Social Media Konzerne in die Pflicht nehmen soll, gegen Hasskriminalität entschieden vorzugehen. Sie skizzierte, inwiefern der vorherige Weg der freiwilligen Selbstverpflichtung durch Twitter, Facebook und Co. nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt habe. Das Gesetz sieht Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro bei Nichtlöschung klar strafbarer Inhalte vor. Es ist, laut Niggemann, eine Antwort der Politik auf den gesellschaftlich formulierten Wunsch der stärkeren staatlichen Regulierung und Sanktionierung. Insgesamt zeigten die Vorträge und die anschließende, lebhaft geführte Diskussion, dass zwar ein allgemeiner Konsens darüber besteht, Hasskriminalität im Netz Einhalt zu gebieten ist. Die Wege dahin und die bestmögliche Umsetzung wurden jedoch durchaus kontrovers diskutiert.

Die US-amerikanische Journalistin Dr. Sarah Kendzior, die am 28. Juni 2017 einen Vortrag zu Coping with social media under a post-truth president hielt, zeigte auf, inwiefern sich das Verhältnis von klassischen Medien und Social Media zur Politik geändert hat – teils als Resultat des medialen Hypes um Donald Trump vor seiner Kandidatur, teils aufgrund der Konzentration von (überwiegend weißen, männlichen) JournalistInnen auf ein paar Städte wie Washington, New York und San Francisco. Dadurch, so Kendzior, wurde zum einen der Aufstieg von Donald Trump befördert und gleichzeitig seine Bedeutung für potenzielle WählerInnen in ruralen Regionen falsch eingeschätzt. Kendzior, die lange zu Medienfreiheit in postsozialistischen Staaten Zentralasiens geforscht hat, zeigte auf inwiefern – bei allen augenscheinlichen Unterschieden – ähnliche Strukturen (Aufbau eines potenziell kleptomanischen Familienclans im Amt, Einschüchterungsversuche gegenüber JournalistInnen und KritikerInnen) und Argumentationsmuster (Medien als Feinde des Regimes) zwischen diesen Staaten und der „autokratischen“ Administration unter dem Präsidenten Donald Trump bestehen. Beklemmend und zugleich eindrucksvoll beschrieb sie die zunehmende verbale und physische Gewalt gegen Frauen, die zu politischen Themen Stellung beziehen. In der anschließenden Diskussion, moderiert von Prof. Dr. Greta Olson (ZMI-Sektion 1 / Institut für Anglistik der JLU) wurden weitere Facetten des amerikanischen politischen Systems unter Trump diskutiert, etwa seine Verbindungen zu evangelikalen Gruppierungen oder der Alt-Right Bewegung. Kendzior zeichnete das Bild einer US-amerikanischen Gesellschaft, die sich in einem tiefgreifenden Umbruchprozess befindet und in der viele der konstituierenden Elemente des amerikanischen Selbstverständnisses, wie etwa die Meinungs- und Pressefreiheit, starkem Druck ausgesetzt sind.

Sarah Kendzior hielt zudem auf der internationalen Konferenz Online-Vitriol: Advocacy, Violence, and the Transforming Power of Social Media einen Vortrag zu dem Thema Trump, Trolls, and the Truth: Digital Media in the Era of ,Alternative Facts’. Der Vortrag wurde aufgezeichnet und ist jetzt auch auf dem YouTube Channel des ZMI zu sehen.

Hergenhan, Schutzbach, Drüeke
Jutta Hergenhan (links) moderierte am 4. Juli die Diskussion mit Franziska Schutzbach und Ricarda Drüeke (rechts)

Am 4. Juli 2017 wurde die Veranstaltungsreihe mit Vorträgen zu dem Thema Die Grenze des Sagbaren in Politik und Wissenschaft – Antifeminismus, Sexismus, Homophobie und Rassismus beendet. Franziska Schutzbach (Universität Basel) und Ass. Prof. Ricarda Drüeke (Universität Salzburg) analysierten aus unterschiedlichen Perspektiven antifeministische Diskurse, die zunehmend nicht nur als (rechte) Randerscheinungen auftreten, sondern mehr und mehr eine Verankerung in der „Mitte“ der Gesellschaft finden. Schutzbach skizzierte zudem, inwiefern antifeministische Tendenzen in Umbruchs- und Krisenzeiten im Laufe der Geschichte immer wieder Konjunktur haben. Sie legte die dahinterliegenden Motive und Argumentationslinien am Beispiel der Romanfigur „Heidi“ von Johanna Spyri aus den 1880er Jahren dar. Zudem erläuterte sie, wie in den heutigen Diskursen die Idee der Meinungsfreiheit instrumentalisiert wird, um rassistische, antifeministische und homophobe Positionen zu legitimieren. Ricarda Drüeke analysierte unterschiedliche Kommunikationsräume und die dort verwendeten Strategien, antifeministische und rassistische Positionen zu platzieren. Dabei thematisierte sie nicht nur die neu entstandenen Räume in den Sozialen Medien, sondern auch traditionelle Medien. Drüeke kommt zu dem Schluss, dass hier ein Wissensvorrat geschaffen wird, der dann in Alltagsöffentlichkeiten in Handlungen umgesetzt wird (Hass Postings, Gewaltaufrufe etc.). Der Moderatorin Dr. Jutta Hergenhan (Geschäftsführerin des ZMI) gelang es in der Abschlussdiskussion, die unterschiedlichen Fragestellungen der Vortragsreihe nochmals zusammenzubinden und relevante Forschungsfragen nach Wandlungsprozessen in den gesellschaftlichen Diskursen durch soziale Medien bzw. lediglich deren Sichtbarmachung zu stellen. Insgesamt hat die Vortragsreihe damit verdeutlicht, dass das Spannungsverhältnis zwischen Hetze und Meinungsfreiheit uns in den nächsten Jahren weiterhin beschäftigen wird.

(Tina Olteanu)