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Das Ende einer islamischen Literatursprache?

 
  • Projektmitarbeiterin: Ruth Bartholomä, M.A.

 

Lexikalische Spuren von Kultur- und Sprachwandel bei den Wolga-Tataren 

Im Projekt „Das Ende einer islamischen Literatursprache? Lexikalische Spuren von Kultur- und Sprachwandel bei den Wolga-Tataren“ wurde am Beispiel der Sprache der Wolga-Tataren der Prozess der Loslösung von typischen lexikalischen Feldern einer klassischen islamischen Schriftsprache hin zu einer vom Russischen dominierten Nationalitätensprache in der Sowjetunion und schließlich die gelegentlich festgestellte partielle „Reorientalisierung“ des Tatarischen nach dem Ende der UdSSR untersucht. Im Zentrum der Betrachtung stand dabei die Funktion arabischer und persischer lexikalischer Elemente, die in ihrem systematischen Verhältnis zu russischen (und westlich-internationalen) Entlehnungen diachron und synchron untersucht wurden.

Das Material für die Untersuchung wurde tatarischen Schulbüchern seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in arabischer, lateinischer und kyrillischer Graphie entnommen. Dabei handelt es sich um eine Textsorte, die sich als in besonderem Maße offen für staatlichen Einfluss auf die Sprachentwicklung erweist. Da es sich bei dieser Entwicklung nicht um internen, „natürlichen“ Sprachwandel handelt, sondern um das massive und sehr bewusste Eingreifen gesellschaftlicher und politischer Faktoren in die Sprachgeschichte, wurden die linguistischen Resultate auf der Makroebene in Bezug zu den historischen, gesellschaftlichen Fakten gestellt. Im Vordergrund stehen die folgenden zeitlichen Schnitte: ausgehendes Russisches Reich, frühe Sowjetunion, Zeit des Stalinismus, Zeitraum vor der Perestrojka und nach dem Zerfall der UdSSR. Ausgehend von der sich stark an die großen islamischen Schriftsprachen (Arabisch, Persisch, Osmanisch und Tschagataisch) anlehnenden tatarischen Schriftsprache der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts wurde gezeigt, wie und in welchem Maße sich die (Fach-)Lexik des Tatarischen in der Zeit nach der Oktoberrevolution und besonders im Prozess der verstärkten Russifizierung ab den 1930er Jahren aus dem „orientalischen Bereich“ entfernt hat. Zu Beginn des Jahrhunderts kommt mit der Orientierung an osmanisch-türkischen Vorbildern eine weitere Komponente ins Spiel. Für spätere Zeiten sind auch verstärkte Neologismen auf der Basis autochthonen lexikalischen Materials anzufinden. Von aktueller Bedeutung ist die Untersuchung der vermuteten „Reorientalisierung“ des Tatarischen seit dem Ende der UdSSR. Tatarisch steht hier paradigmatisch für analoge Entwicklungen in einer Reihe von Türksprachen in der Region.

Im Projektverlauf wurden mehrere Phasen mit intensiven Studien in der russischen Teilrepublik Tatarstan durchlaufen. Hierbei konnte auf die inzwischen mehr als 15jährige intensive Partnerschaft zwischen der Staatlichen Universität Kazan (Russische Föderation, Tatarstan) und der Justus-Liebig-Universität Gießen zurückgegriffen werden. Daneben war das Projekt in dem „Interdisziplinären Zentrum Östliches Europa“ der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie der fächerübergreifenden Arbeitsgruppe „Educational Linguistics“ angesiedelt.

 

Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert.

 

  • Laufzeit: 2007-2009.
  • Zentrale Veröffentlichung:

Bartholomä, Ruth.

Tatarische Terminologie im Wandel. Lexikalische Umbrüche durch Kultur- und Sprachkontakt vom ausgehenden Zarenreich bis zum postsowjetischen Russland.

Turcologica Band 91. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2012.