Inhaltspezifische Aktionen

Interview mit Ingrid-Gabriela Hoven

Vorstandsmitglied, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

Foto: Thomas Trutschel/photothek.de
 

Werdegang

 

Ingrid-Gabriela Hoven, geboren 1960 in Setterich, studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und an der Université Paris IX/Dauphine. Nach ihrem Examen arbeitete sie zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Entwicklungsökonomik. Im Anschluss daran absolvierte sie die Post-Graduierten-Ausbildung am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Berlin. 

Von 1986 bis 1990 war sie als Referentin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die bilaterale EZ mit Sambia, Mosambik und Swasiland zuständig. Zwischen 1990 und 1995 arbeitete sie für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), zuerst als Regierungsberaterin für das nationale Planungssekretariat und das Finanzministerium in Guatemala, anschließend als Fachplanerin in der Abteilung „Wirtschafts- und Sozialpolitik, Recht und Öffentliche Verwaltung“ in der GTZ-Zentrale in Eschborn.

Nach Rückkehr in das BMZ bekleidete sie verschiedene Positionen. 1999 übernahm sie die Leitung des Umweltreferats und war Mitglied des Exekutivdirektoriums der Globalen Umweltfazilität. Als Leiterin der Unterabteilung „Planung und Grundsätze der Zusammenarbeit mit Ländern und Regionen“ beförderte sie ab 2003 u.a. zentrale Reformprozesse der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit und die Neuausrichtung der EZ-Portfolios in Schwellenländern. Während dieser Zeit war sie auch Lateinamerika-Beauftragte des BMZ. Drei Jahre später wurde sie Leiterin der Abteilung „Bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Asien und Lateinamerika, Vereinte Nationen, Friedenssicherung, Menschenrechte und gute Regierungsführung“.

Von 2010 bis 2014 vertrat sie die Bundesregierung im Exekutivdirektorium der Weltbankgruppe. In dieser Zeit beförderte sie die Verankerung von Klima- und Nachhaltigkeitszielen im neuen Reformkurs der Weltbank. Nach ihrer Rückkehr ins BMZ wurde sie zunächst Beauftragte für Klimapolitik und -finanzierung und später Leiterin der Abteilung „Globale Zukunftsfragen“ mit den Schwerpunkten Flucht und Migration, Governance, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. In dieser Funktion übernahm sie die Vertretung des BMZ in den Steuerungsgremien des Globalen Fonds (GFATM), der Globalen Impfallianz (GAVI), des Green Climate Fund und des Global Center for Adaptation. 

Ingrid-Gabriela Hoven ist Mitglied in verschiedenen Beiräten u.a. der Stiftung „Entwicklung und Frieden“, des Zentrums für internationale Friedenseinsätze und des Insurance Development Forums.

Quelle: https://www.giz.de/de/ueber_die_giz/90070.html

 

Sie haben an der JLU Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Wie kam es zu dieser Entscheidung und warum haben Sie sich für Gießen als Studienort entschieden?


Ich blicke sehr gerne auf meine Zeit an der JLU zurück.

Die Entscheidung für Gießen war nicht ganz zufällig. In einer Zeitschrift zur Studienorientierung war ich auf Gießen aufmerksam geworden, weil dort ein neuer Studiengang, der Sachfächer wie Recht, Ökonomie oder Geografie mit sprachwissenschaftlichen Studien kombinierte, pilotiert wurde. Das klang spannend und innovativ. Bereits vor meinem Abitur war ich durch meine spanische Familie und Studiensprachreisen nach Frankreich an internationalen Fragen interessiert gewesen und da erschien mir dieses Angebot wie für mich gemacht. Letztendlich habe ich mich aber dann nach dem Vordiplom ganz auf die Volkwirtschaftslehre fokussiert und das Sprachenlernen nebenbei und bei meinen Studienaufenthalten im Ausland, u.a. im Rahmen eines Stipendiums des deutsch-französischen Jugendwerkes in Paris, ausgebaut.

 

Was war die prägendste Erfahrung, die Sie im Studium gemacht haben?


Gießen ist eine Universitätsstadt mit vielen Möglichkeiten, weil sie mittelstädtisch geprägt ist, also übersichtlich bleibt, und ein grünes Umland hat.

Sicherlich gab es ganz viele Momente, die mich maßgeblich für mein späteres Berufsleben geprägt haben. Im Rückblick empfand ich die Möglichkeit, sich fachübergreifendes Wissen anzueignen als ausgesprochen gewinnbringend. Dazu zähle ich den hohen Anteil von rechtswissenschaftlichen Vorlesungen im Rahmen des wirtschaftswissenschaftlichen Grundstudiums, die meinen „Instrumentenkasten“ für das spätere berufliche Leben aufgrund des anderen methodischen Vorgehens erweitert haben. Oder auch meine politikwissenschaftlichen Vorlesungen, die allesamt Seminarcharakter hatten und daher von einer VWL-Studentin ganz andere Formen der Interaktion und Mitwirkung erforderten als ich sie von vielen Vorlesungen in großen Hörsälen gewohnt war. Diese verschiedenen „Welten“, aus fachlicher, methodischer und didaktischer Hinsicht, gleichzeitig erfahren zu können und sich flexibel darauf einstellen zu müssen, ermöglichte es mir zusätzlich neue Kompetenzen zu entwickeln.

Mit der prägendste Moment in meinem Studium aber war meine Teilnahme an den Veranstaltungen zur praktischen Entwicklungspolitik. An diesen Veranstaltungen habe ich bereits im Grundstudium teilgenommen, obwohl sie erst für das Hauptstudium vorgesehen waren. Dort habe ich meine Leidenschaft für die Entwicklungspolitik entdeckt, dann am Lehrstuhl „Entwicklungsökonomik“ bei Herrn Professor Dr. Hemmer als studentische Hilfskraft gearbeitet und so haben sich die Dinge eben weiterentwickelt. Es folgte mein Studienaufenthalt in Burkina Faso, den ich im Rahmen des ASA-Programms absolviert habe. Die Feldforschung dort zum dörflichen Handwerk von Frauen für ihre Einkommens- und Überlebenssicherung habe ich dann im Rahmen meiner Diplomarbeit verarbeiten können.

 

 

Unser Ziel ist es, nachhaltig bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Wo waren Sie in Gießen, wenn Sie nicht an der Universität waren?


Gießen ist eine Universitätsstadt mit vielen Möglichkeiten, weil sie mittelstädtisch geprägt ist, also übersichtlich bleibt, und ein grünes Umland hat. Alles ist gut erreichbar und beim Bummeln in der Stadt konnte ich oft zufällig Kommilitonen und Freunde treffen. Das wusste ich immer sehr zu schätzen – auch als Zugezogene konnte man sich sehr schnell zuhause fühlen. Während meiner Studienzeit habe ich zudem viel Sport getrieben, habe bei TC Rot-Weiß Gießen in der ersten Damenmannschaft Tennis gespielt und bin morgens um den Schwanenteich gejoggt. Ich bin gerne am Schiffenberg spazieren gegangen und habe mich dort im Grünen mit Freunden zu einem Stück Streuselkuchen und gespritzten Apfelwein getroffen.

 

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Studienzeit in Gießen?


Mit ihrer jahrelangen Präsenz vor Ort hat die GIZ ein enges Netzwerk in den Einsatzländern aufgebaut und genießt das Vertrauen ihrer Auftraggeber und Kooperationspartner.

Ich blicke sehr gerne auf meine Zeit an der JLU zurück. Die VWL-Fakultät liegt wunderschön inmitten eines parkähnlichen Geländes mit altem Baumbestand - der Campus lud immer zum Verweilen zwischen den Vorlesungen und Seminaren ein und gab einem das Gefühl von Geborgenheit. 

Freundschaften schließen war in Gießen nicht schwer. Mit Freunden und Kommilitonen habe ich viel unternommen und natürlich auch ganz intensiv gelernt; der Zusammenhalt war einfach toll, wir haben uns gegenseitig angespornt und inspiriert, aber uns zu guter Letzt auch durch die Prüfungszeit getragen.
Die JLU, insb. die VWL-Fakultät habe ich damals als sehr weltoffen, neugierig und teilweise auch experimentell empfunden, zumindest stand mir vieles offen. Das Angebot an zusätzlichen Kolloquien war spannend, so z.B. mit Experten aus der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu praktischen Fragen der Entwicklungspolitik, was den Student:innen nochmals ganz andere Einblicke in die praktische Relevanz des Gelernten erlaubte. Ich habe als Studierende auch viel Unterstützung für meine spezifischen fachlichen Anliegen erfahren und bin aktiv von meinen Professoren in meiner Absicht in der Entwicklungspolitik tätig zu werden, gefördert worden.

 

Seit mehr als 30 Jahren waren Sie in verschiedensten Institutionen der internationalen Zusammenarbeit tätig. Seit dem 01. Oktober 2020 sind Sie neues Vorstandsmitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Welche Ziele verfolgt die GIZ und mit welchen Herausforderungen haben Sie aktuell zu tun?


Unser Ziel ist es, nachhaltig bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dazu zählt auch der weltweite Klimaschutz und die Erreichung der Sustainable Development Goals. Als Dienstleister der internationalen Zusammenarbeit entwickelt und plant die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH gemeinsam mit ihren Auftraggebern und Partnern Strategien und Ideen für politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen und setzt sie mit ihnen um. Dafür arbeiten mehr als 22.000 Mitarbeitende der GIZ in 120 Ländern weltweit. Eine Herausforderung ist das Umfeld, in dem wir arbeiten: Wir sind auch in fragilen Staaten aktiv. Das bedeutet, dass die jeweilige Lage vor Ort ständig beobachtet und bei Bedarf darauf reagiert wird. Die Sicherheit unserer Mitarbeitenden hat grundsätzlich oberste Priorität.

 

Wie beeinflusst die Corona-Pandemie die Tätigkeit der GIZ?


Die ungewöhnlichen Umstände erfordern neue Ansätze der Zusammenarbeit und flexibel angepasste Arbeitsmodelle. Darauf hat sich die GIZ schon zu Beginn der Verbreitung des Coronavirus eingestellt und unternehmensweit geltende Standards festgelegt. Diese ermöglichen den Mitarbeitenden weltweit unter anderem vermehrt mobiles Arbeiten. Außerdem gibt es umfassende Hygienekonzepte, und der Einsatz digitaler Technik erleichtert die Zusammenarbeit mit Partnern auch unter den aktuell teils herausfordernden Bedingungen. Mit ihrer jahrelangen Präsenz vor Ort hat die GIZ ein enges Netzwerk in den Einsatzländern aufgebaut und genießt das Vertrauen ihrer Auftraggeber und Kooperationspartner. Das hat es erleichtert, auf digitale Formate umzusteigen – das berichten GIZ-Kolleg:innen weltweit.

 

Findet das Thema für das ihr brennt, in dem eure Leidenschaft liegt!"

Wie unterstützt die GIZ Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Bewältigung der Corona-Pandemie?


Die GIZ ist auch in Krisenzeiten in den Ländern vor Ort und setzt schnelle und effiziente Maßnahmen um. Selbst zu Hochzeiten der ersten Pandemie-Welle, als es viele Lockdowns und enorme Reisebeschränkungen gab, waren rund 60 Prozent der Auslandsmitarbeiter:innen in den Ländern; inzwischen sind es schon wieder über 80 Prozent. Weiterhin vor Ort waren und sind die nationalen Mitarbeiter:innen, die fast 70 Prozent der gesamten Mitarbeiterzahl der GIZ ausmachen. Ein Schwerpunkt der Anti-Corona-Aktivitäten liegt in Afrika südlich der Sahara, wo die GIZ allein für den Bereich Gesundheit bzw. Pandemiebekämpfung aktuell Vorhaben im Wert von rund 82 Millionen Euro im Rahmen der Corona-Response umsetzt. Die Pandemie trifft die Entwicklungsländer und die besonders verwundbaren Menschen besonders hart und wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus: auf die Gesundheit, auf den Zugang zu erschwinglichen Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser, auf die politische Teilhabe; viele Menschen haben während des lock-downs in unseren Partnerländern ihre Jobs und Einkommensmöglichkeiten verloren. Auch für die Zukunft bleibt nachhaltiges Leben und Wirtschaften eine große Herausforderung. So hat uns die Corona-Pandemie gezeigt, dass Mensch und Natur eng verbunden sind und daher der Schutz von Biodiversität und die nachhaltige Nutzung von Ressourcen weiterhin höchste Priorität genießen muss. In 2021 wird es weiterhin und noch stärker, darum gehen, die von der Pandemie bereits jetzt wirtschaftlich hart getroffenen Länder mittel- und langfristig zu stabilisieren und sie so widerstandsfähiger gegenüber künftigen Krisen zu machen, so z.B. gegen die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für Mensch und Wirtschaft.

 

Als Absolventin zu den aktuellen Studierenden: Welchen Rat würden Sie aktuellen Studierenden mitgeben, die sich für eine Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit interessieren?


Es ist ein wirklich spannendes und erfüllendes Berufsfeld, aber es ist mehr als nur das. Es ist ein Arbeitsgebiet, in dem Solidarität mit den Bedürftigen und Schwächeren und das Eintreten für mehr Nachhaltigkeit weltweit, ganz praktisch jeden Tag im Job gelebt werden kann. Jedem Einzelnen eröffnet sich die Möglichkeit, sich mit den Herausforderungen fachlich und beruflich weiterzuentwickeln.
Also mein Rat lautet:  Findet das Thema für das ihr brennt, in dem eure Leidenschaft liegt! Bleibt dran, bleibt neugierig und nutzt die zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten im Feld der internationalen Kooperation, um Euch einen ersten Eindruck zu verschaffen. Ich habe es immer als Privileg empfunden, in der internationalen Zusammenarbeit tätig sein zu können und ich habe es seit meinem Studienabschluss in Gießen noch nicht bereut.

 

Vielen Dank für das Interview!

(Das Interview wurde im Januar 2021 durchgeführt)

 

 

weiter zur Übersicht Wissenschaft