Inhaltspezifische Aktionen

Nachruf auf Klaus Zernack

Nachruf Klaus Zernack

(1931-2017)

 

Die Abteilung Osteuropäische Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen trauert um Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Zernack (1931-2017). Er war einer der ersten Historiker, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Geschichte in Gießen lehrte, habilitierte sich dort 1964 und war zeitweise Inhaber der Professur für Osteuropäische Geschichte. Besondere Verdienste besitzt er als Gründungsmitglied der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission (seit 1972), er war aktiv an ihrer Arbeit über 45 Jahre beteiligt und von 1987 bis 2000 Vorsitzender. Durch seine Konzepte einer Neubewertung der Rolle Preußens für die deutsch-polnischen Beziehungen und einer Beziehungsgeschichte, mit der er spätere modische Ansätze einer „Verflechtungsgeschichte“ und einer „histoire croisée“ vorwegnahm, weiterhin als Initiator der stärkeren Berücksichtigung des frühneuzeitlichen Schwedens im Rahmen der Osteuropäischen Geschichte und als Schöpfer des Begriffs „Nordosteuropa“, hat er die deutschsprachige universitäre Beschäftigung mit Osteuropa geprägt.

Zernack, dessen Familie aus der Neumark stammte und der in Berlin aufwuchs und studierte, war biographisch durch die katastrophale deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt. Als Mitarbeiter und Schüler von Herbert Ludat erwarb er 1956-1966 in Gießen eine breite Ausbildung der Osteuropäischen Geschichte vom Mittelalter bis zur Zeitgeschichte, die er in der Folge auf Professuren in Frankfurt a.M. (1966-1978), Gießen (1978-1984) und Berlin (1984-1999) einem wachsenden Schülerkreis vermittelte und die in eine große Zahl von akademischen Qualifikationsschriften mündete.

Zentrales Anliegen Zernacks war eine wissenschaftliche deutsch-osteuropäische, vor allem eine deutsch-polnische Annäherung, wobei er in beiden Historiographien zentrale Kompetenzen für eine moderne europäische Geschichte sah. Er legte auf das Erlernen gerade der damals exotischen slavischen Sprachen viel Wert (sein Motto: „Sprachen lernen. Viel lesen. Gründlich nachdenken“) und bemühte sich den nach dem Krieg abgebrochenen Wissenschaftsaustausch zu beleben. Zu diesem Zweck lud er Dutzende von Wissenschaftlern und Doktoranden nach Gießen, Frankfurt und Berlin ein, wo er seit den 1980er Jahren mit der „Historischen Kommission zu Berlin“ und dem „Forschungsschwerpunkt Ostmitteleuropa“ (heute GWZO Leipzig) Institutionen prägte und mitbegründete. Zahlreiche Gelehrte und Historiker wurden durch diese Aufenthalte und Austauschprogramme in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit geformt.

Klaus Zernack besaß großes Ansehen unter polnischen Wissenschaftlern, was durch zwei Ehrendoktorwürden (Adam Mickiewicz-Universität Poznań 1989, Universität Warschau 1997) zum Ausdruck kam. Innerhalb der deutschen Osteuropaforschung spielte er durch seine fundierten Kenntnisse der polnischen Geschichtsschreibung, seine Liberalität und seine Sensibilität für die osteuropäischen Perspektiven eine zentrale Vermittlerrolle. Wir betrauern unseren langjährigen akademischen Lehrer, Kollegen und Freund und werden sein Werk fortsetzen.