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Weibliche Büstenprotome, Inv. T I-6

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai


Weibliche Büstenprotome, Inv. T I-6, alte Inv.-Nr. 163.

Provenienz: unbekannt.

Vorderseite des Kopfes aus der Matrize, Rückseite nicht ausgearbeitet,  glattgestrichen.
Feiner, hellbrauner (7,5 YR 7/5) Ton; hellgelbe Engobe. Reichlich schwarze Bemalung am Haar und an den Pupillen.  

Zustand: Vorderer Abschnitt der Büste verloren. Abbruch an der Rückseite unterhalb des Nackens, mit scharfkantigem Vorsprung. Verletzungen der Ohren und im Haar.

Maße: H: 7,3 cm; B: 4,9 cm; T (in Höhe der Nase): 2,5 cm.

Lit.: unpubliziert.

Beschreibung: Der hoch rechteckige Kopf verjüngt sich nach unten trapezförmig. Das Haar bildet einen leicht nach rechts verschobenen Giebel über der Stirn, die es in kurzen Bögen umrahmt. Unterhalb der Schläfen fällt es in breiter werdenden plastischen Stufen auf die Schultern und geht in aufgemalte vertikale Strähnen über[1].
Glatte, kantig umbrechende Wangen enden in einem wuchtigen Kinn, das sich durch eine horizontale Einkerbung vom geschlossenen Mund absetzt. Die vollen Lippen sind gerade geschnitten. Zwischen großen vorquellenden Augen springt eine wuchtige Nase hervor; sie bildet eine gerade Linie mit der Stirn. Die Augen liegen unter hohen Orbitalen und sind von wulstigen Lidern begrenzt. Das Unterlid ist annähernd waagerecht angegeben, das Oberlid hoch geschwungen. Innerhalb des Augapfels ist die Iris durch eine kreisförmige Vertiefung angedeutet. Ein dunkler Punkt markiert die Pupille.

Kommentar: Die Protome T I-6 gehörte vermutlich als figürlich gestalteter Griff zu einer Pyxis, und zwar wegen der konvexen Wandung zu einer runden Pyxis[2]. Wie die scharfe Kante an der Rückseite des Gießener Exemplars[3] und die vollständig erhaltenen Vertreter von Frauenkopf-Pyxiden[4] zeigen, applizierte man derartige Büsten auf der Gefäß-Schulter, so dass der Hinterkopf die Lippe der Pyxis stützte. An der Rückseite sind die Figuren im mittleren Abschnitt meist frei geformt, nicht ausgearbeitet, aber gelegentlich bemalt. Der Gefäß-Typus war Ende des 7. /Anfang des 6. Jhs. v. Chr. in korinthischen Werkstätten entstanden und gehörte zum Formenrepertoire archaischer Keramik bis in spätkorinthische Zeit[5]. Wie die übrige Tonware aus Korinth verbreiteten sich auch die Kopf-Pyxiden über das griechische Kernland hinaus nach Ostgriechenland und auf die Apenninenhalbinsel, nach Etrurien, Großgriechenland und Sizilien[6].
Gut erhaltene Kopf-Pyxiden kommen aus Selinunt, andere werden z. B. in New York, San Simeon/CA, Okayama aufbewahrt[7]. Der Kopf T I-6 ähnelt einem Exemplar in Kopenhagen und Pyxiden-Köpfen in New York sowie im Louvre[8]. Ebenso wie bei jenen reflektiert er das in flache Stufen gegliederte Schulterhaar der Frisuren dädalischer Zeit. Stilistische Details wie das additive Verhältnis der Vorder- und Seitenansichten zu einander, das wuchtige Kinn und die kugelig vorgewölbten Augäpfel zwischen flachem Unterlid und dem hohen Bogen des Oberlides erinnern an die Zeit großplastischer Statuen wie die des Kuros New York[9]. Bei den aus Matrizen gewonnenen Terrakottaköpfen ist jedoch zu bedenken, dass sie bereits im Mittelkorinthischen, d. h. im 1. Viertel des 6. Jhs. v. Chr. vorliegen konnten, als Pyxiden-Köpfe aber erst zu einem späteren Zeitpunkt, der sich z. B durch die Bemalung der Gefäße und die Buchstabenform der Inschriften in das Spätkorinthische datieren lässt, Verwendung fanden[10].       

Einordnung:  Mitte des 6. Jhs. v. Chr., aus Korinth.

 

 



[1] Dagegen plastisch angegebene vertikale Haarsträhnen, s. K. Wallenstein, Korinthische Plastik des 7. und 6. Jahrhunderts vor Christus (Bonn 1971) 67-68 Taf. 12, 1.

[2] Frauenkopf-Pyxiden sind mit zwei oder drei Henkeln versehen, Chr. Dehl-von Kaenel, Die archaische Keramik aus dem Malophoros-Heiligtum in Selinunt (Berlin 1995) 169 f. 188-191 Taf. 32 f.

[3] Dazu Wallenstein a. O. 114 Taf. 8, 5.

[4] St. Böhm, Korinthische Figurenvasen. Düfte, Gaben und Symbole (Regensburg 2014) 22 f. 121-123. 130 f. 133. 136. 145; Dehl-von Kaenel a. O. 188-191 Taf. 32 f.; auch "Protome pyxis", E. Simon, The Kurashiki Ninagawa Museum Okayama (Mainz 1982) 34-36 Abb. 15; "Female Protome, pyxis handle", F. Johansen, Greece in the Archaic Period (Copenhagen 1994) 155 f.; „Head-Pyxis“, D. A. Amyx, Corinthian Vase-Painting of the Archaic Period (Berkeley – Los Angeles – London 1988) 224 Taf. 93. 451-453; "Pyxides with Handles in the Form of Female Heads or Busts", H. Payne, Necrocorinthia (Oxford 1931) 306 f. Taf 47 f.; V. Karageorghis, Ancient Art from Cyprus.The Cesnola Collection in The Metropolitan Museum of Art (New York 2000) 102 Abb. 162.

[5] Amyx a. O. 452.

[6] Auch bis in die Kyrenaika, Dehl-von Kaenel a. O. 188-191 Nr. 1203. 1204 1206 Taf. 32 f. Zu den Gründungsdaten griechischer Kolonien und ihre Bedeutung für die Chronologie der korinthischen Keramik: B. Bäbler, Archäologie und Chronologie (Darmstadt 2004) 72-82; J. Boardman, Kolonien und Handel der Griechen (München 1982) 195-247.

[7] Dehl- von Kaenel a. O. 188 f. Nr. 1203 Taf. 33; Karageorghis a. O. 102 Abb. 162; Amyx a. O. 224 Taf. 93 1 B; Simon a. O. 34 f. Abb. 15.

[8] Johansen a. O. 156 Abb. 117; Karageorghis a. O. 102 Abb. 162; F. Croissant, Tradition et innovation dans les ateliers corinthiens archaïques: Matériaux pour l'histoire d'un style, BCH 112, 1988, 112 f. Abb. 39. 42.

[9] W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990) 4 f. Abb. 1. und S. 175.

[10] Böhm a. O. 131 Anm. 339; Dehl-von Känel a. O. 189 Anm. 416; F. Lorber, Inschriften auf korinthischen Vasen (Berlin 1979) 92 f. Nr. 153 Abb. 60; Karageorghis a. O. 102 Abb. 162.