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Fach-Tag Geschichte 2018

Ergebnisse des Fachtags Geschichte am 12.11.2018 mit dem Titel „Von 1648 bis 1918: Friedensordnungen als Schlüsselthema des Historischen Lernens"


Gemälde: Der Friede von Münster (1648) von Gerard ter Borch

Quelle: Wikimedia Commons


Der Fachtag des Jahres 2018 erinnerte mit dem Westfälischen Frieden (1648) sowie dem Versailler Vertrag (1919) an zwei bedeutsame Friedensschlüsse samt ihren folgenreichen historischen Nachwirkungen. ‚Friedensordnungen‘ stellen ein Schlüsselthema des Historischen Lernens dar, dem in den letzten Jahren breite Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Im Kernlehrplan Nordrhein-Westfalens ist etwa eines von sieben verpflichtenden Inhaltsfeldern „Friedensschlüsse[n] und Ordnungen des Friedens in der Moderne“ gewidmet. Dabei interessiert sich die moderne Geschichtsdidaktik und Fachwissenschaft weniger für juristische Winkelzüge und Regularien der Verträge, sondern zunehmend dafür, inwieweit diese Teile einer Ordnung des Friedens sein konnten und somit Quellenzeugnis des Bedürfnisses nach Sicherheit waren.

Vortrag: Kollektive Sicherheit - Frieden schaffen in der Neuzeit, von Prof. Dr. Horst Carl (Professur für Frühe Neuzeit, Uni Gießen)

Nach einer Begrüßung durch Herrn Prof. Dr. Oswalt den stellte Horst Carls Vortrag den inhaltlichen Auftakt in die Veranstaltung dar. Der Referent griff dabei auf die Ergebnisse des erfolgreichen Sonderforschungsbereiches „Dynamiken der Sicherheit. Formen der Versicherheitlichung in historischer Perspektive“ der Universitäten Gießen und Marburg  zurück.

 

Der Referent verglich die beiden erwähnten Friedensschlüsse 1648 und 1919 mit dem Ausgang des Wiener Kongresses der Jahre 1814/1815, mit welchem die föderative Ordnung Mitteleuropas in Gestalt des Deutschen Bundes restauriert worden sei. Horst Carl ging der These nach, dass auf dem Weg ins 20. Jahrhundert die Kunst des Schließens nachhaltiger Friedensordnungen verloren ging, wofür mehrere Faktoren verantwortlich waren: So wurden die Pariser Vorortverträge 1919 anders als die erwähnten vormodernen Friedensschlüsse von Zeitgenossen als das Werk revolutionärer neuer Regierungen verstanden, denen es an eindeutiger Legitimation mangelte und denen man nicht zutraute, die künftige Friedensordnung garantieren zu können. Der Westfälische Frieden oder die Wiener Kongressakte waren dagegen das Werk unangefochtener, hochadelig-europäischer Dynastien, die durch ihre enge verwandtschaftliche Verbundenheit die Friedensschlüsse auf Augenhöhe durchsetzen konnten. Der Verzicht des Westfälischen Friedens auf jegliches friedenshemmende, ideologische Substrat (z.B. auf an noch im 30jährigen Krieg vorherrschende konfessionelle Gegensätze) wurde, notfalls sogar unter Ausschluss widersprechender Parteien vom endgültigen Vertragswerk durchgeführt. Aus diesem Grund konnte in der Frühen Neuzeit das Papsttum keinen größeren Einfluss als Friedensstifter mehr geltend machen.

 

Auf der Ebene symbolischer Kommunikation wurde festgestellt, dass in der Vormoderne noch Rituale auf Friedenskonferenzen wirksam waren, die jede Demütigung des besiegten Gegners vermieden. Diese halfen dabei, die eigene Friedensbereitschaft und ein paritätisches Miteinander nach außen zu kommunizieren. In diesem Zusammenhang verwies Horst Carl auf die Vereidigungsrituale im Frieden zwischen Spanien und den Niederlanden hin, welche im Saal des Historischen Rathaus in Münster durchgeführt und in dem bekannten Historiengemälde ‚Der Friede von Münster‘ (1648) von Gerard Ter Borch festgehalten worden sind. Im Kontrast dazu wurden im Jahre 1919 etwa durch die  Unterzeichnung des Waffenstillstands und des Versailler Vertrags neue Rituale der Demütigung kreiert, die sich tief in das kommunikative Gedächtnis der Weimarer Republik brennen sollten.   

 

Auch wurden in vormodernen Verhandlungen anders als im Versailler Vertrag auch die Verlierer als gleichrangige Verhandlungspartner akzeptiert, welche die neue Friedensordnung mitgestalten durften. In der Schlussakte des Wiener Kongresses wurde das besiegte Frankreich etwa trotz umfangreicher Reparationszahlungen nicht so sehr geschwächt, als dass es zum Unsicherheitsfaktor der neuen Friedensordnung geworden wäre. Anders als im sog. ‚Westphalien-‘ bzw. ‚Vienna System‘ (Henry Kissinger) gab es nach Ende des Ersten Weltkrieges jedoch keinen Friedensschluss, der als „nicht-diskriminierend“ hätte erscheinen können. Weitere bedeutende Faktoren stellte das im Westfälischen Frieden beschlossene Vergessen jeglicher im Krieg begangener Gräueltaten und Sachbeschädigungen in Form einer „perpetua oblivio et amnestia“ dar, was im Zeitalter der Totalen Kriege zwischen den Kriegsparteien so nicht mehr möglich schien und einer eindeutigen Festlegung der Kriegsschuld wich.

 

Ein verstärktes Augenmerk wird in der Geschichtswissenschaft derzeit der Schrift „Vom ewigen Frieden“ Emmanuel Kants gewidmet. Die darin evozierte Vision eines Systems kollektiver Sicherheit von globaler Weltgeltung gilt als ebenso richtungsweisend wie Kants nüchterne Feststellung, dass Frieden kein Naturzustand ist, sondern getreu dem Motto „si vis pacem para pacem“ stets aufs neu geschaffen werden müsse.

 

PowerPoint-Präsentation des Vortrages von Horst Carl

 

Vortrag: Pariser Vorortverträge und Versailler Vertrag – Neue Perspektiven auf die Friedensschlüsse im Gefolge des Ersten Weltkriegs von Prof. Dr. Bettina Severin-Barboutie (Professur für Neuere Geschichte, Uni Gießen)

 

Frau Prof. Dr. Bettina Severin-Barboutie (Universität Gießen) ging zu Beginn ihres Vortrages „Erweiterung und Eingrenzung: Neue Perspektiven auf Friedensschlüsse im Gefolge des Ersten Weltkrieges“ vor allem auf die neuesten französischen Forschungsparadigmen ein, welche auch von der Deutschen Historiographie etwa in dem Werk „Die Büchse der Pandora“ von Jörn Leonhard aufgegriffen worden sind. Anstelle der Betonung klarer Zäsuren wie Kriegsende und Friedensbeginn tritt inzwischen die Hypothese einer phasenweisen Kriegsbeilegung („sortir de la guerre“). Gerade beim Ersten Weltkrieg (fr. „la grand guerre“) ergeben sich hier reichhalte Erkenntnischancen. Werden so doch etwa gewalttätige Übergangsphasen, der Folgekrieg zwischen Griechenland und der Türkei (1919–1922) und die gleichfalls bedeutsamen Folgeverträge wie der Vertrag von Lausanne (1923) in einen größeren Kontext gerückt. Entsprechend interessiert sich die Forschung deutlich stärker für den Nahen Osten mit seinen Territorialveränderungen (Besetzung Palästinas durch die Briten, Aufteilung Saudi Arabiens, Konflikte auf der arabischen Halbinsel etc.), was neue Blickwinkel aus dezentraler Perspektive zulässt.

Aber auch die Vorgänge auf den Konferenzen in Paris und Versailles werden inzwischen differenzierter nach neuen Fragestellungen hin untersucht. Durch eine stärkere Betrachtung jüngerer, nachgeordneter Diplomaten samt deren künftiger Karrieren findet derzeit eine Multiplikation der Akteure im Interesse multiperspektivischer Betrachtungsweisen statt. In räumlicher Hinsicht wird die hinter den Kulissen der Hauptverhandlungen stattfindende Geheimdiplomatie ebenso stärker gewürdigt wie die Aktionen an weiteren Verhandlungsschauplätzen in Paris selbst und den Pariser Vororten. Hierbei rücken auch Karten mit Darstellungen echter und vermeintlichen Konferenzziele etwa für Propagandazwecke als aussagekräftige Quellen ins Licht.

 

Insgesamt ging es der Referentin um eine Ent-Teleologisierung der Friedensschlüsse. Diese sollten stärker als Brennpunkt der auf diese gerichteten zeitgenössischen Hoffnungen und Erwartungshaltungen (selbst der deutschen Verhandlungsdelegation) interpretiert werden und weniger als erfolgloser ‚Vorspann‘ des Dritten Reiches und Zweiten Weltkrieges. So war bei vielen Akteuren beispielsweise die Überzeugung vorherrschend, lediglich an einem Präliminarfrieden, d.h. an einer vorläufigen Friedensordnung zu arbeiten, die letztlich noch geändert würde. Dieser neue Blickwinkel hilft dabei, die zum Teil rigorosen Grundhaltungen einzelner Akteure besser verständlich zu machen. Bislang kann in der Historiographie oder im Geschichtsunterricht eher eine Sichtweise auf die Versailler Friedensordnung vor dem Hintergrund ihres letztlichen Scheiterns beobachtet werden, was einem tieferen Verständnis des Friedensprozesses aber eher im Wege stand.

 

In einer abschließenden Diskussion wurde von den Lehrerinnen und Lehrern die deutlich zu einseitige Darstellung des Vertrags in Schulbüchern angesichts der skizzierten Forschungslage festgestellt. Diese Tatsache bringt nicht geringe Schwierigkeiten im Hinblick auf eine unvoreingenommene Problemorientierung und die Analyse der SuS mit sich.

 

PowerPoint-Präsentation des Vortrages von Bettina Severin-Barboutie

 

Vortrag: Ordnungen des Friedens in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht

von Prof. Dr. Bärbel Kuhn (Professur Didaktik der Geschichte, Uni Siegen)

 

Nach einer Mittagspause und einer Diskussion über die Situation des Faches an den Schulen erörterte Frau Prof. Bärbel Kuhn (Uni Siegen) in ihrem Vortrag „Ordnungen des Friedens in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht“ die Voraussetzungen einer zeitgemäßen wie epochenübergreifenden Implementierung von Friedensordnungen im Geschichtsunterricht.

 

Bärbel Kuhn skizzierte zunächst die bisher nur spärliche Einbettung des Themas ‚Frieden‘ in Geschichtslehrpläne – ganz im Gegensatz zur langen Tradition der Friedenserziehung im Religions- und Ethikunterricht.  Im Geschichtsunterricht habe dagegen lange Zeit ein Festhalten an einem chronologischen Durchgang der Vergangenheit als eine Abfolge von Kriegen vorgeherrscht. Dem jeweiligen Kriegsende sei mehr Aufmerksamkeit gewidmet worden als den anschließenden Friedenszeiten. Scheinbar gegenläufige Entwicklungslinien wie etwa die Geschichte der Friedensbewegung(en) im Deutschen Kaiserreich oder in der frühen Bundesrepublik Deutschland seien dagegen häufig marginalisiert oder ausgeblendet worden. Das mittlerweile stattfindende Umdenken muss vor dem Hintergrund der Historischen internationalen Friedensforschung gesehen werden. Deren Kernanliegen war in den USA der Wunsch nach einer Historisierung des Vietnamkrieges, in Deutschland dagegen das Bedürfnis sich aus der geistigen Vormachtstellung der preußischen Ära zu lösen. Ein tieferes Verständnis von Friedensbereitschaften und – Fertigkeiten waren das jeweilige Ziel. In einer zeitgemäßen Geschichtsdidaktik besteht dagegen die Möglichkeit, Friedenszeiten kulturhistorisch als Erfahrungsraum zu betrachten (Edgar Wolfrum). Auch der Wunsch aus der Vergangenheit Lehren ziehen zu wollen, hilft dabei, die Behandlung von Friedensschlüssen zu legitimieren.

 

Der Referentin zufolge, könnte als möglicher Paradigmenwechsel hermeneutisch eine Epochengliederung nach Phasen des Friedens in Betracht gezogen werden, bei der in einem übergreifenden Zugang Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Friedensschlüssen herausgearbeitet werden. Eine Chance für Erkenntnisgewinne und Fremdverstehen stellen dabei vermeintlich obsolet gewordenen, vormoderne Vorstellungen einer gegenseitigen Amnestie von Kriegsverbrechen im Westfälischen Frieden oder Kants erwähnte Schrift „vom ewigen Frieden“ dar. In dieser wird der Wunsch einer nachhaltigen Friedensordnung zwischen souveränen Staaten sowie ein international anerkanntes Weltbürgerrecht formuliert, was als zeitgenössische Vision ernst genommen werden sollte. Gerade Friedenshoffnungen und –Erwartungen entlang konkreter Biographien seien eine reizvolle Möglichkeit für mentalitätsgeschichtliche Erkenntnisgewinne. Frieden stellt zudem eher eine Verhältnisstruktur dar, welche nur gemeinsam mit allen übrigen ereignis- und ideengeschichtlichen Rahmenbezügen betrachtet werden kann. In dieser Sichtweise bedeutet Frieden das Bemühen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, nicht jedoch die Abwesenheit von Krieg. Denkbare Beurteilungskriterien von Epochen und deren Akteure durch die Schülerinnen und Schüler stellen auch die Gegensatzpaare Friedensfähigkeit bzw. Friedensunfähigkeit mit allen ihren Facetten dar.

 

Vorstellung der Ausstellung ‚Vernichtungsort Malyi Trostenez. Geschichte und Erinnerung‘ in der Kongresshalle Gießen (3.12.2018-18.1.2019) durch Prof. Dr. Thomas Bohn (Professur für Osteuropäische Geschichte, Uni Gießen).

 

 

 

Der Tag wurde beendet mit der Vorstellung einer Ausstellung in der Kongresshalle Gießen mit dem Titel „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung” (3.12.2018 - 18.1.2019) durch Herrn Prof. Dr. Thomas Bohn und der Studenten Madeleine Michel
und Dennis Müller.

In dieser wird aus einer regionalgeschichtlichen Perspektive den hessischen Opfern des Holocaust anhand einiger von den Studenten selbst gestalteter Stelen gedacht. So konnten durch umfangreiche Recherchen die Namen von 49 Opfern des Vernichtungslagers identifiziert werden, die einen biographischen Bezug zu Gießen hatten. Das Ghetto Minsk war das Ziel des Frankfurter Deportationszuges vom November 1941 mit über 1000 Juden. Diese und die Opfer weiterer Orte in Mittelhessen können mittels einer Datenbank des Bundesarchivs in Koblenz zugänglich gemacht werden. Zur Vorbereitung der Ausstellung wurde eine Reise der Referenten mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Weißrussland unternommen, der breite mediale wie politische Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Interessenten können die Wanderausstellung vom 3. Dezember 2018 bis 18. Januar 2019 in der Gießener Kongresshalle ansehen. Neben einem breiten Vortragsprogramm gibt es auch die Möglichkeit, 1-2 stündigen Führungen für Schulklassen durch geschultes Personal zu erhalten.

Weiterführende Informationen finden Sie auf der Homepage der Professur für Osteuropäische Geschichte.

https://www.uni-giessen.de/fbz/fb04/institute/geschichte/osteuropa/aktuelles/Ausstellung_trostenez/vernichtungsort-malyj-trostenez-geschichte-und-erinnerung

Verantwortlich für die Zusammenfassung:

Andreas Willershausen