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Fach-Tag Geschichte 2020

Protokoll des Fachtags ‚Sprung ins Digitale! – Erfahrungen mit einem Großexperiment historischen Lernens (und Denkens?)

Fachtag am 17.November 2020


 

Einführung(en)

Herr Professor Oswalt eröffnete den Fachtag Geschichte des historischen Instituts und hob in seiner Begrüßung hervor, dass dieser Fachtag der erste digitale sei. Im Anschluss begrüßte Professorin Hannah Ahlheim als Geschäftsführerin des historischen Instituts die Teilnehmenden. Sie machte deutlich, wie die Frage des historisch - digitalen Lehrens und Lernens gegenwärtig auch die Arbeit an der Hochschule bestimme. Schule und Universität eine die Erfahrung des ersten Lockdowns ebenso wie die Hoffnung, dass es sich bei der durch die Umstände erzwungenen Phase der vollständigen digitalen Lehre nur um eine vorrübergehende Maßnahme handele.

Professor Oswalt knüpfte daran an und bezeichnete den Sprung ins Digitale als Großexperiment an Schule und Hochschule. Dieses habe in kürzester Zeit einen Wandel im Verhältnis zum digitalen Lehren und Lernen bewirkt: aus den harten Fronten der Digitalitätsbefürworter und -verweigerer sei die Digitalität zur Notwendigkeit geworden. Dies biete die Möglichkeit der breiten erfahrungsbasierten Justierung des digitalen Lehrens und Lernens.  Für die Gestaltung des Fachtages sei das Ziel, im Austausch zwischen Schule und Universität über die domänenspezifischen und methodischen Akzentverschiebungen zu sprechen, welche die Coronakrise für den Geschichtsunterricht mit sich brachte. Man erhoffe sich, auf dieser Grundlage darüber zu diskutieren, wie eine nachhaltige digitale Lehre innerhalb des Geschichtsunterrichts auch in Nach-Corona-Zeiten aussehen könne. Als Diskussionsgrundlage dienten zwei Vorträge, die über digitale Projekte aus und für den Geschichtsunterricht informierten: 

 

Vortrag: Erfahrungen mit digitalen Lernplattformen (segu Geschichte) sowie mit einer Projektarbeit am Beispiel eines durch Schüler*innen erstellten virtuellen Rundgangs durch die Ausstellung ‚Jüdisches Leben in Braunfels‘ von Thomas Huber

 

Der Vortrag von Thomas Huber (z.Z. Stufenleitung 8-10 der IGS Braunfels) hatte zwei thematische Schwerpunkte. 

Zunächst berichtete Herr Huber über das Projekt ‚Jüdisches Leben in Braunfels‘, das an der IGS Braunfels als Wahlpflichtkurs ‚Geschichtswerkstatt‘ in den Jahrgängen 9 und 10 angeboten wurde. Dieses war zunächst als Projekt im Präsenzunterricht angelaufen und durchgeführt worden, bekam durch den Lockdown ab März 2020 aber eine digitale Umsetzung, die es für den Fachtag zum Thema ‚Sprung ins Digitale‘ interessant macht. 

Das Projekt selbst beruht auf einer Kooperation der Fächer Gesellschaftslehre mit dem Schwerpunkt des historischen Lernens mit Religion. Die erste Projektidee sah die Verlegung von Stolpersteinen vor. Diese Idee war allerdings aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft nicht umsetzbar. Deshalb wurde ein anderes Projektprodukt anvisiert: eine Ausstellung, die als Dauerausstellung in der Schule präsentiert und von allen Klassen zur Vertiefung anhand regionaler Themen nutzbar sein soll. Auch die Möglichkeit, die Ausstellung als Wanderausstellung in der Region an verschiedenen Orten zu zeigen, war angedacht. 

Zum Zeitpunkt des Lockdowns waren die Plakate weitgehend fertig erarbeitet und die Ausstellungseröffnung war geplant. Weil diese dann nicht möglich war, wurden die Plakate in digitaler Form und mit einigen E-Learning-Elementen verknüpft in einer Power-Point-Präsentation auf dem Schulserver hochgeladen. Folgende Themenschwerpunkte sind dabei berücksichtigt: Biographie von Bruno Meyer als lebensgeschichtliches Beispiel eines jüdischen Schülers der eigenen Schule, Schulalltag in Kriegszeiten, Auswanderung und Flucht sowie Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Braunfels. Ergänzt wird das Angebot durch einen fiktiven Tagebucheintrag, der eine reale Lebensgeschichte aufgreift, die aus Quellen erarbeitet wurde. Beispiele für E-Learning-Verknüpfungen sind: I-Buttons, die auf Orte, Fotos, Karten, Quellen oder Vergleiche zu heute verweisen, Verlinkungen zu Nachschlagewerken oder Museen, Archiven etc. und Audio-Versionen von Texten. Diese Umsetzung war in verhältnismäßig kurzer Zeit möglich, ein virtueller Rundgang, der sehr viel aufwändiger ist, wird zurzeit geplant. 

Die digitale Veröffentlichung über die Schulcloud ermöglichte in der Phase des reinen Homeschoolings, dass Lerngruppen darauf zugreifen und die Lehrkräfte die Materialien mit Aufgabenformaten verknüpfen konnten. Diese wurden im Aufgabenpool von i-serv abgelegt und können auch weiterhin genutzt werden. Die Ausstellung hat sich im Distanzunterricht als gut einsetzbar erwiesen. Sie soll im Präsenzunterricht zusätzlich zum Besuch der Plakatausstellung in der Schule auch in Zukunft verwendet werden, um die digitalen Zusatzmöglichkeiten auch weiterhin einzubinden und den Schüler*innen einen reflektierten Umgang mit diesen Recherchemöglichkeiten zu vermitteln. 

Als weiteren Aspekte stellt Herr Huber die Lernplattform segu vor. Sie wird an der Braunfelser IGS bereits seit zwei Jahren von einzelnen Lehrkräften genutzt. Während der Zeit des reinen Distanzunterrichts stieg der Einsatz stark an. Die Plattform ist für alle mobilen Endgeräte geeignet.

Zurzeit wird die Plattform intensiv für den Wechselunterricht verwendet, denn ihr größtes Potential entwickelt sie nach den Erfahrungen an der Braunfelser Schule, wenn der Präsenzunterricht die Arbeit anleitet und unterstützt. Gerade für die Methodenseiten reiche nach den Erfahrungen des reinen Homeschoolings die Selbstarbeit nicht aus, sie bedarf der unterrichtlichen Begleitung. Zur selbstständigen Erarbeitung der einzelnen historischen Themenseiten seien ältere Schüler*innen eher in der Lage als die unteren Jahrgänge der Sek. I. Als besonders attraktiv wird mit Blick auf den Distanz- und Wechselunterricht hervorgehoben, über den segu-Planer individuelle Anpassungen an Arbeitsgruppen vorzunehmen sowie die Möglichkeit, dass Schüler*innen dort direkt ein Portfolio anlegen können, was auch später als Lernleistung zur Bewertung eingereicht werden kann. 

 

Hier finden Sie die Präsentation von Thomas Huber zum Download.

 

Vortrag: „Stadtrundgang online?! Über den Einsatz von digitalen Ressourcen zur Schul-, Lokal- und Regionalgeschichte im schulischen Geschichtsunterricht am Beispiel von „DigAM - Digitales Archiv Marburg“ und „histodrom“ von Dr. Bernhard Rosenkötter

 

In seinem Vortrag ging Dr. Bernhard Rosenkötter, Lehrer am Marburger Gymnasium Philippinum und seit 2009 zusätzlich Archivpädagoge am Hauptstaatsarchiv Marburg (HStAM) am Beispiel klassischer wie neuer Projekte auf die Herausforderungen und Chancen digitaler Quellenarbeit ein. Während der Referent an der Wirkmächtigkeit der „Aura der Objekte“, welche Archivalien bei einem Archivbesuch auf SuS ausüben können, keinen Zweifel ließ, so kam er gleichwohl auf wichtige kognitive Lerneffekte zu sprechen, welche eine digital gestützte oder gar vollständig simulierte digitale Quellenarbeit durch Angebote des Staatsarchivs Marburg mit sich bringe:

 

Eine Besonderheit vieler Quellenaufbereitung durch das Staatsarchiv Marburg stellen aufwändige historische Kontextualisierungen, aber auch Transkriptionen schwer zu lesender Quellen dar, welche je nach gewünschtem Erkenntnisgewinn und Komplexitätsgrad ‚hinzugeschaltet‘ werden können.

So können seit dem Jahre 2000 durch das Projekt DIGAM Archivalien in Form digitaler Faksimile zu für den Unterricht relevanten Epochen der hessischen Regional- und Landesgeschichte eingesehen und im Rahmen thematisch zugeschnittener ‚Ausstellungsräume‘ verwendet werden. Zur Heuristik stehen unter anderem ausführliche Suchmöglichkeiten zur Verfügung. Auch sind anschauliche Einführungen zu den jeweiligen Ausstellungsräumen abrufbar. Zu einigen Seiten existieren auch Aufbereitungen als Lernumgebungen. Diese konzentrieren sich auf besonders aussagekräftige Archivalien und bieten bereits vorgefertigte Unterrichtsvorschläge an.  Ein prägnantes Beispiel sind etwa die Marburger Quellen zur Reichspogromnacht des Jahres 1938, aber auch zur Rekonstruktion von deren bewusst verschleppter Strafverfolgung durch die Behörden. Durch gezielte Quellenanalysen auf der Grundlage diachroner wie synchroner Quellenvergleiche ist somit eine quellenkritische Bewertung eines der Schicksalstage der Deutschen Geschichte auf regionaler Ebene möglich.

 

Ein jüngeres didaktisches Angebot ist das Modul ‚Stadtrundgang‘, mit dessen Hilfe die Marburger Stadtgeschichte auf der Grundlage historischer Fotos und Archivalien erforscht werden kann. Dabei sind für die historischen Orte die Veränderungen im baulichen Erscheinungsbild und der Funktionswandel jeweils durch nach Straßennamen und Hausnummer verschlagwortete Artikel nachvollziehbar. 

 

Die neuste digitale Projektarbeit des Gymnasiums Philippinum auf der Grundlage regionalgeschichtlicher Archivalien stellt die Plattform „Histodrom – Das Schulmuseum“ dar.  Die Besonderheit ist die Möglichkeit, freie Erkundungen und eigenständige Vertiefungen im Sinne des forschenden Lernens durchzuführen. Farbliche Reiter auf dem Homescreen der Anwendung erleichtern dabei die Orientierung. Wichtige Voraussetzung für das Gelingen und die Nachhaltigkeit eines solchen Projektes waren nicht nur die Schülerinitiativen, sondern auch die Unterstützung des Fördervereins der Schule, wodurch auch die Weiterentwicklung als Handy-App möglich waren und sind. Damit kann in Zukunft Stadtgeschichte auch ‚unterwegs‘ erkundet werden. Der Referent kam am Beispiel des Nationalsozialismus exemplarisch auf weitere digitale Möglichkeiten zu sprechen, wie z.B.  Schüleraktivitäten in Form von Videotutorials. 

 

Hier können Sie die Präsentation von Dr. Bernhard Rosenkötter downloaden.

 

Zusammenfassung der Diskussion der Beiträge:

 

Bei der Diskussion beider Beiträge wurde die Rolle der Archive sowohl als Lernort als auch als Lernpartner deutlich. Rosenkötter sicherte eine Unterstützung schulischer Forschungsprojekte auch an Orten zu, welche nicht im Sprengel des Marburger Staatsarchivs liegen. Im Falle handlungsorientierter Weiterbearbeitung von Archivalien wie etwa des Stadtrundganges durch Augmented Reality oder virtuelle Ortsbegehungen durch ‚Actionbound‘ wäre die rechtlich unproblematische Einbindung Marburger Archivalien prinzipiell möglich, so Rosenkötter. Einigkeit herrschte in der Diskussion über die positiven kognitiven Effekte einer elektronischen Quellenarbeit und -präsentation ebenso wie über die Tatsache, dass ein echter Archivsbesuch für direkte Erfahrungen am Objekt und dadurch mögliche Motivationsschübe und die Weckung des Forschergeistes unverzichtbar bleibt. 

Deutlich wurde weiterhin, dass Entscheidungen über die Lernaufgaben und insbesondere über Differenzierungen in erster Linie der Entscheidung der Lehrer*innen obliegen müssen, selbst wenn Angebote dazu schon mit den digitalen Aufbereitungen vorhanden sind. 

Huber betonte abschließen, dass eine bewährte Arbeitsform für fächer- und klassenübergreifender Projekte Portfolioaufgaben darstellen, welche eine Chance für nicht nur für leistungsorientierte, sondern auch für prozessorientierte Benotung bieten. 

 

                                                              

 

 

Protokoll der Abschlussdiskussion des Fachtags Geschichte 2020: Sprung ins Digitale

Am Abschluss des diesjährigen Fachtags stand ein offener Austausch der Erfahrungen mit der digitalen Lehre. Einen ersten Schwerpunkt bildete dabei die Diskussion über den Einsatz neuer Medien. Beispiele sind etwa „Webquests“, Lernaufgaben im digitalen Raum, welche  die Schüler*innen zum eigenständigen Arbeiten anleiten und neben fachlichen Lernzielen die Arbeit an überfachlichen Kompetenzen ermöglichen. 

Breit diskutiert wurden darüber hinaus Lernvideos und ihr Stellenwert für den Geschichtsunterricht. Die Teilnehmenden betonten die Notwendigkeit der Analyse und Kritik dieser Medien. Dementsprechend wurde mehrfach der Stellenwert der Konstruktion von Lernvideos für die Förderung von Medienkompetenz betonte. Angesichts der Vielzahl diverser Bildungsakteur*Innen erscheint es wichtig, das Bewusstsein der Schüler*innen zu schärfen gelte.  Neben der Dekonstruktion wurde insbesondere das Selbsterstellen von Lernvideos als produktiv bewertet. In der Mittelstufe wird dies als ein herausfordernder Prozess beschrieben, da die Schüler*innen zwar am Handy Digital Natives seien, es jedoch bei Umgang mit Programmen zur Videoerstellung erhebliche Hilfe vonseiten der Lehrkraft bedurft habe. Dies habe die Selbsterstellung von Lernvideos enorm zeitintensiv gestaltet, zeige aber auch die Undifferenziertheit der Kategorie Digital Natives.

Neben dem Einsatz neuer Medien bildeten Fragen zur Organisation des Geschichtsunterrichts zwischen Präsenz- und Distanzlehre einen zweiten Schwerpunkt der Abschlussdiskussion. Einen wichtigen Diskussionsgegenstand stellte die Teilung der Klassen in A- und B-Gruppen dar, die abwechselnd vor Ort oder digital unterrichtet werden. Mehrfach betonten die Teilnehmenden, es sei sinnvoller, den Präsenzunterricht zur Erarbeitung und den Distanzunterricht zur Vertiefung zu nutzen, als beide Gruppen parallel dasselbe machen zu lassen. Auf diese Weise hätten die Schüler*innen Zeit zum Üben, Lesen und Schreiben und damit zur Ausbildung von Basisfertigkeiten. Andere Teilnehmende stellten gleichzeitig jedoch fest, durch diese Entschleunigung den Lehrplan nicht im gegebenen Zeitrahmen durcharbeiten zu können. Man müsse hier inhaltlich „abspecken“ – gerade mit Blick auf das Zentralabitur stelle sich allerdings die Frage an welcher Stelle. Daneben trat die Frage nach der Möglichkeit der Leistungsbewertung abseits von Klassenarbeiten wie etwa das regelmäßige Erledigen von Aufgaben und deren Bewertung als Tests. 

Bereits zu Beginn der Diskussion stellt Prof. Vadim Oswalt fest, wie wichtig es sei, sich über die eigenen Erfahrungen mit der online-Lehre, über Aufgaben und Materialien auszutauschen. Dieser Eindruck bestätigte sich in der Diskussion, die stark von den vielfältigen Erfahrungen der Teilnehmenden profitierte. So zog Prof. Oswalt zum Abschluss des Fachtags ein positives Fazit der digitalen Veranstaltung, die den informellen Austausch bei Kaffee und Brötchen eines regulären Fachtags jedoch nicht ersetzen könne. Es gelte also – so schwer es angesichts der Notlagen einer globalen Pandemie falle – die Krise auch als Chance zu begreifen, eine Inventur des didaktischen Instrumentariums vorzunehmen, es zu erweitern und zu verbessern. Den Abschied vom Präsenzunterricht solle dies jedoch nicht darstellen.   

                                          Protokoll von Justus Grebe, Henning Tauche, Monika Rox-Helmer, Andreas Willershausen

 

Hier finden Sie einen Link auf ein WebQuest von unserer Teilnehmerin Anne Daniele Lenz zum Thema Absolutismus:

https://absolutismuswebquest.weebly.com/