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Fach-Tag Geschichte am 17. 11. 2016

Thema: Das Reformationsjubiläum 2017 als Herausforderung für den Geschichtsunterricht

Termin: 22. November 2016

Der Fachtag 2016 stand ganz im Zeichen des Reformationsjubiläums 2017 und dessen fachwissenschaftliche, interreligiöse sowie geschichtskulturelle Bedeutung für den Geschichtsunterricht.

In seinem Eröffnungsvortrag hob Prof. Dr. Vadim Oswalt  dieBedeutung gerade der Reformationsjubiläen für die Entstehung der Geschichtsjubiläen als inszenierte Ereignisse “der Geschichtsgegenwärtigungskultur“ hervor.Er betonte auch das ambivalente Verhältnis der Geschichtswissenschaft zum Jubiläum.  Sie versteht sie nicht mehr als Teil staatsbürgerlicher Erziehung und sieht die Gefahr der Überlagerung durch ökonomische Interessen, Eine zeitgemäße Geschichtsdidaktik sehe Jubiläen jenseits der „Magie der runden Zahlen“ als Chance für kritische Reflexionsansätze und eine Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft.

In den aktuellen Stand der historischen Forschung führte Prof. Horst Carl (Professur für Frühe Neuzeit, Gießen) ein. Jüngere Biographien von Heinz Schilling (2013), Thomas Kaufmann (2014) und Lyndal Roper (2015) unterstreichen, dass Martin Luther dank zahlreicher Fremd- und Selbstzeugnisse zu einer der am besten bekannten Persönlichkeiten des  16. Jahrhundert zählt. Über die Modernität von Luthers Vorgehen und Denken, die Bewertung seines Anti-Judaismus oder seine Einstellung gegenüber der obrigkeitlichen Gewalt existieren freilich immer noch zahlreiche Kontroversen, die sich in offizielleren Schriften zum Reformationsjubiläum erst zögerlich widerzuspiegeln beginnen. Insbesondere der mentalitätsgeschichtliche Ansatz Ropers wurde von Horst Carl als Chance für neue Erkenntnisgewinne bezeichnet. Von kirchengeschichtlicher Seite wurde in jüngerer Zeit die Forderung laut, Luther wieder stärker als Theologen zu sehen und sein kirchenpolitisches Handeln stärker in diesem Kontext zu betrachten. Als immer noch einflussreich wird der mediengeschichtliche Ansatz Johannes Burkhardts (2003) gesehen, welcher beiderseitige Wechselwirkungen zwischen der Ausbreitung der Reformation und der langfristigen Akzeptanz des frühneuzeitlichen Buchdrucks durchleuchtete. Die derzeitige Omnipräsenz der Person Luthers (weniger der Prozesse der Reformation oder gar der Konfessionalisierung!) in den modernen Massenmedien sah Carl als wohl langfristigste Folge von Luthers eigener Medienaffinität.

Die Darstellung der Reformation in der aktuellen Geschichtskultur in Form von Videoclips, Comics, Computerspielen und aktuellen Romanen wurde von Dr. Andreas Willershausen (Professur für Didaktik der Geschichte, Gießen) vorgestellt. Zunächst wurde das Thema innerhalb der geschichtsdidaktischen Konzepte der Geschichtskultur und der Kompetenzorientierung des neuen Hessischen Kerncurriculums Oberstufe (Q 4) verortet. Anschließend verdeutlichte Willershausen anhand der narrativen wie visuellen Struktur von Videoclips die bislang noch kaum näher untersuchte Gattungslogik eines ganz neuen Mediums der Geschichtskultur. Gerade im Hinblick auf ihre monoperspektivische und personalisierende, ironisierende sowie im Falle der Reformation zudem konfessionell standortgebundene Darstellungsweise bieten sie auch Chancen zur Entwicklung von Gattungskompetenz und geschichtskultureller Kompetenz im Sinne der Modells Hans-Jürgen Pandels. Differenzierte Strategien der Fiktionalisierung und unerwartete Quellennähe finden sich mittlerweile dagegen in graphic novels aber auch in klassischen Comics wie die Sonderreihe zur Reformation ‚Das Ende des Mittelalters‘ der Jugendzeitschrift ‚Mosaik‘. Seit der Eröffnung der Nationalen Sonderausstellung ‚Luther und die Deutschen‘ auf der Wartburg bei Eisenach ein halbes Jahr nach dem Fachtag kann der Wiederstreit zwischen plakativen Werbestrategien wie die mit einem Preis für gutes Design ausgezeichnete Kampagne ‚3x Hammer – die volle Wucht der Reformation‘(www.3xhammer.de) und dem durch die Kuratoren gleich im ersten Ausstellungsraum selbst dekonstruierten Mythos von Luthers angeblichem Thesenanschlag von jedem Besucher selbst nachvollzogen werden.

 

Mit dem von Herrn Prof. Oswalt erinnerten Zitat „Jeder Lehrer ist ein Religionsleherer“ (Diesterweg) und kurzen Impulsvorträgen von Frau Prof. Athina Lexutt (Institut für evangelische Theologie, Gießen) sowie von Herr Prof. Sarıkaya (Professur für islamische Theologie und Didaktik) wurde im Anschluss daran eine Podiumsdiskussion zur Frage der Behandlung religionshistorischer Themen in religiös heterogenen Lerngruppen eröffnet. Athina Lexutt verwies dabei auf die Herausforderung der nie selbstverständlichen Interdisziplinarität von Religions- und Geschichtsunterricht. Am Beispiel eines Feuilletonartikels von Volker Leppin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellte sich auch für die universitäre Erforschung der Reformation die Frage, inwieweit die Kulturwissenschaften von der Theologie lernen können.  Ein erkennbares Nachlassen theologischer Sachkenntnisse und Urteilsfähigkeiten bei SchülerInnen und StudentInnen steht dabei neben einer breiten aber oft nicht mehr als solche wahrgenommene Fundierung des Kultes Religion in der Gesellschaft.

Yaşar Sarıkaya bekräftigte die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Theologie und Kulturwissenschaften. Als für die Wahrnehmung und Dialogfähigkeit der Islamwissenschaften unverzichtbar benannte der Inhaber der Gießener Professur für islamische Theologie und  ihre Didaktik eine differenzierte Wahrnehmung des Islam als Weltreligion vor dem Hintergrund ihrer erkennbaren historischenWeiterentwicklung. Das Verhältnis zwischen Religion und Politik bzw. Religion und Staat ist dabei je nach Epochen stark unterschiedlich zu bewerten. Die größten Unterschiede lassen sich in der Gründungsphase des Islam im Vergleich zur Zeit der islamischen Expansion (7.-8. Jahrhundert) erkennen, in welcher Religion oftmals als Rechtfertigung für politisches Handeln instrumentalisiert wurde. Die Problematisierung  der gemeinsamen europäischen muslimisch-christlichen Geschichte in möglichen Projekten wird von Sarıkaya als beste Chance für einen Dialog an Universität und Schule herausgestrichen. Der hohe Anteil des Islam in Lerninhalten des aktuellen Kerncurriculum Geschichte ist bereits in aktuelle Schulbücher der E-Phase in Form deutlicher Gegenwartsbezüge eingeflossen.

In einer lebhaften Diskussion wurde erkennbar, dass Verständnisschwierigkeiten beim Unterrichten religionshistorischer Themen stärker bei Schülern mit atheistischem Hintergrund auftreten als in heteroreligiösen oder gar überkonfessionellen Lerngruppen, welche auf religiösen Grundkenntnissen aufbauen könnten. Ganz allgemein wurde der Beitrag der abendländischen Religion für kulturelle Bedeutungszusammenhänge betont. Zwischen erkennbaren Wissensdefiziten und religiöser Vielfalt wurde eine große Diskrepanz festgestellt. In einem Beitrag wurde eine Ablösung von ehemals politisierten jugendkulturellen Strömungen durch zunehmend religiös geprägte Gruppierungen festgestellt. Als Konsequenz religiöser Indifferenz wird dabei die für die Entwicklung von Lernzielen unproduktive Kaschierung religiöser Aspekte bei ansonsten nicht gut auf andere Weise erklärbaren historischen Phänomene benannt – und das nicht nur bei der Behandlung der Reformation. 

In einer allgemeinen Diskussion zur Situation des Faches in der Schule wurden Probleme der adäquaten Vermittlung von Interpretationskompetenzen im Hinblick auf Darstellungs- und Quellentexte angesichts sinkender Lesefähigkeiten und Textverständnisschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler angesprochen. Als gangbarer Weg wurden Quellenkürzung bis zu einem noch interpretierbaren Punkt, die Aufschlüsselung schwieriger Wörter sowie Übertragungen in ein modernes Deutsch aufgezeigt. Thematisiert wurde auch die Problematik fächerübergreifender Operatoren auf dem Gebiet des historischen Lernens.

Der thematische Schwerpunkt des Abschlussvortrages lag auf der digitalen Erschließung älterer und neuer Quellenbestände zur Erforschung regionalgeschichtlicher Aspekte der Reformation. In diesem Zusammenhang stellte die Leiterin des Staatsarchiv Weimar, Frau Dr. Dagmar Blaha, das von ihr selbst geleitete, bundesländerübergreifende ‚Digitale Archiv der Reformation‘ (Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) vor. Das Projekt wurde für eine breite Zielgruppe konzipiert (Schüler, Privatpersonen, Forscher) und befasst sich mit der Bearbeitung und digitalen Edition ausgesuchter Quellen zur Reformationsgeschichte zum Einsatz in Forschung und Bildungseinrichtungen. Auf der Homepage des Projektes (www.reformationsportal.de) präsentierte Frau Blaha sowohl ein ‚Ausstellungsmodul‘ für interessierte Bürger auf der Grundlage relevanter Schlüsseldokumente des Reformationsgeschehens als auch ein ‚Forschungsmodul‘ für Geschichtswissenschaft und Heimatforschung. In letzterem werden serielle Quellengattungen wie Visitationsprotokolle durch protestantische Kirchenregimenter erschlossen. Das Forschungsmodul bietet differenzierte Suchmöglichkeiten etwa nach bedeutenden historischen Persönlichkeiten, Lagerorten und inhaltlichen Betreffen. Die für Online-Editionen nicht selbstverständliche Besonderheit stellen historische Kontextualisierungen, Übertragungen in ein modernes Deutsch und sogar englische Übersetzungen ausgewählter Quellen dar. Dass eine solche Vorgehensweise vielfältige Möglichkeit zur Quellen- und Projektarbeit mit Schulklassen zulässt, wurde anschließend an dem Fallbeispiel eines Unterrichtsversuches deutlich. In diesem Rahmen konnten  Verständnisschwierigkeiten abgebaut, das Textverständnis gefördert und durch den Einbezug lokalhistorischer Fragestellungen motivierende Anreize zum Historischen Lernen geboten werden.

Eine lebhafte Abschlussdiskussion mit vielen Anregungen für kommende Fachtage rundeten den Fachtag 2016 ab.

 

Verantwortlich für die Zusammenfassung:

Andreas Willershausen