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Rezeption

Folgende Zeitungsartikel illustrieren ausschnittsweise die Reaktionen nach der Herausgabe seiner letzen Erzählung.

 

Tagesspiegel, 1980 (Ingeborg Drewitz)

 

Andersch auf der Höhe der Meisterschaft, Andersch, zurückgetreten aus der täglichen politischen Diskussion, hat in den Geschichten von Franz Kien nicht auf Stellungnahme verzichtet, wie es dem oberflächlichen Leser erscheinen könnte, hat nicht resigniert und sich ins Privat- Biographische zurückgezogen, sondern hat immer genauer hinsehen geübt, um das feine, so überdehnbare Geflecht aus Macht und Ohnmacht, das Menschen zwischen sich ausspannen, wahrzunehmen und spürbar zu machen […]

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1980 (Walter Hinck)

 

Dennoch signalisiert der Titel der Erzählung, der auf den Direktor Bezug nimmt, ganz Außergewöhnliches. Kein „Traumulus“ und auch kein „Professor Unrat“ werden da angekündigt, sondern „Der Vater eines Mörders“. Der denunziatorische Titel ist der Hebel, mit dem ein ganz wesentlicher Moment dieser Erzählung erst ins Werk gesetzt wird, nämlich die nicht nur nachvollziehende, sondern produktive Eigenleistung des Lesers. Nachdenken über (nicht offen zutage liegende) politisch- historische und geistesgeschichtliche Zusammenhänge, Selbstbefragung. Keine Literatur also für Leser, die vom Autor eine eindeutige Aussage, eine positive, verlangen. Keine Schulgeschichte, die Nachhilfe- Unterricht in deutscher Geschichte erteilt. Eine für Leser, die sich ihre „Lektionen“ selbst wählen und selber geben.

 

Darmstädter Echo, 1980 (Jürgen P. Walmann)

 

Eine spannend und mit Gespür für dramatische Effekte erzählte Schulgeschichte, so könnte man meinen: Das Portrait eines Professors Unrat der zwanziger Jahre. Doch für Andersch war diese Geschichte mehr, nämlich die Befreiung von einem Alptraum.

 



Kritik der Mitschüler Alfred Anderschs


Leser Hanns Wunder fand Himmler senior gut getroffen, bemängelte aber, daß Andersch das damalige Schulgeld mit 90 Mark beziffert: "Es betrug um 1929/30 24 Mark, das weiß ich ganz genau."


Leser Ernst John kreidete Andersch an, ein griechischer Satz in seiner Erzählung enthalte "sechs mehr oder weniger schwere Fehler (vier grammatikalische, einen übersetzungs-, einen Wortstellungsfehler)".


Die schärfste Kritik an Anderschs Erzählung sandte der "SZ" ein - auch namhafter - Klassenkamerad des Autors. "Ich saß 1926/27 neben Alfred Andersch in der 3 b des Wittelsbacher-Gymnasiums, Fensterreihe, 3. Bank", so legitimierte sich Dr. Otto Gritschneder, bekannt als Rechtsanwalt und streitbarer Katholik, und fällte das Urteil: "Hier stimmt aber gleich gar nichts."


Niemals, so Gritschneder, habe Himmler, wie bei Andersch, "dem Klaßleiter den Unterricht aus der Hand genommen". Auch "hätte eine solche Prüfungsstunde ... schon aus schulrechtlichen Gründen ganz unmöglich dazu führen können, daß ein Schüler aus dem Humanistischen Gymnasium eskamotiert' wurde".

 


 Der Spiegel, 34/1980

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-24819016.html

 

 

Folgende Stellungnahme könnte als Antwort auf die zuvor beschriebenen Kritiken gesehen werden.

 

Eine Einschränkung muss allerdings gemacht werden. Andersch erzählt, obwohl es sich um Autobiographisches handelt, nicht in der ersten, sondern in der dritten Person. Held der Schulgeschichte ist Franz Kien, sein zweites Ich, Andersch-Kennern aus einigen früheren autobiographischen Erzählungen wohlbekannt. Diesen Franz Kien, zweifellos eine Kunstfigur, lässt Andersch jene Zustände und Ereignisse erleben, die ihm in seiner Jugend widerfuhren.