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Ist es selbstverständlich, Tiere zu essen?

24.11.2020: Laura-Marie Brandenstein hat in ihrer Bachelorarbeit untersucht, wie es dazu gekommen ist, dass Fleisch essen in der Gesellschaft als selbstverständlich wahrgenommen wird und inwieweit die mediale Kommunikation diese Selbstverständlichkeit stützt und damit zur Entstehung von Vorurteilen gegenüber Ernährungsformen beiträgt, welche die Selbstverständlichkeit des Verzehrs von Fleisch und tierischen Produkten nicht unterstützt.

In meiner Bachelorarbeit habe ich untersucht, wie es dazu gekommen ist, dass Fleisch essen in der Gesellschaft als selbstverständlich wahrgenommen wird und inwieweit die mediale Kommunikation diese Selbstverständlichkeit stützt und damit zur Entstehung von Vorurteilen gegenüber Ernährungsformen beiträgt, welche die Selbstverständlichkeit des Verzehrs von Fleisch und tierischen Produkten nicht unterstützt.

Der Frage, warum es so selbstverständlich ist, Fleisch zu verarbeiten und zu verkaufen, lässt sich mit dem Speziesismus und dem Karnismus erklären, die als herrschende Glaubens- und Begründungssysteme zu verstehen sind. Dem Speziesismus liegt die Annahme zugrunde, Menschen gegenüber allen anderen Lebewesen bevorzugen zu können. Der Speziesismus lässt zu, dass Menschen Tiere aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Spezies minderwertig behandeln und ihnen weniger Gefühle und Fähigkeiten zuschreiben. Diese Argumentation blendet aus, dass Tiere sich jedoch nicht aussuchen in welche Spezies sie hineingeboren werden. Sie haben eindeutig Gefühle und sind uns ähnlicher als viele denken oder wahrhaben wollen. Sie kommunizieren, besitzen vergleichbare und einzigartige Eigenschaften, sie bauen nicht nur Beziehungen untereinander, sondern auch zu Menschen auf und leben in Gemeinschaften. Die willkürliche Zuordnung verschiedener Bedeutsamkeiten zu unterschiedlichen Spezies und die bloße Zugehörigkeit zu einer Art sind keine hinreichenden Kriterien, die eine Benachteiligung und Gewalt gegenüber Lebewesen rechtfertigen und können als moralisch fragwürdig angesehen werden. Tiere besitzen ein intensives Leidens- und Schmerzempfinden. Ihre Instinkte, Empfindungen und der Drang zu leben sind ausgeprägt und sie verstehen weit mehr, als die Forschung in der Vergangenheit angenommen hat. Dennoch herrschen speziesistische Argumente in unserer Gesellschaft vor, werden als Normalität angesehen und sind Ausgangspunkt der Diskriminierung von Tieren und auch Vorurteilen gegenüber Ernährungsformen, die tierische Bestandteile ausschließen.

Der Karnismus ist als Erweiterung des Speziesismus zu verstehen und steht für die Überzeugung, dass es selbstverständlich ist, zumindest manche Tiere zu essen. Es wird postuliert, dass Fleisch essen 1. normal, 2. natürlich und 3. notwendig sei (drei N‘s). Diese Annahmen sind relativ fest verankert bei VerbraucherInnen und unterstreichen die Vorstellung von „Normalität“. Erziehung und Bildung, Politik und Kultur prägen und sozialisieren Menschen. Die Werte, die ein Individuum hinsichtlich von Traditionen besitzt, werden durch den Karnismus ebenfalls beeinflusst. Es entstehen Überzeugungen, in denen bestimmte Tiere zu bestimmten Jahreszeiten, Anlässen und Feiertagen zugeordnet werden und ohne zu hinterfragen verzehrt werden, damit die Kultur aufrechterhalten bleibt.

 

Wie äußern sich diese Glaubenssysteme in der Gesellschaft?

 

Stellen sie sich vor, sie bekämen bei einem Abendessen gesagt, dass ihr Geschnetzeltes auf dem Teller, das sie als schmackhaft empfinden, gar kein (wie vorerst angenommen) Rindfleisch, sondern Hundefleisch ist. An der Zutat (Geschnetzeltes Muskelfleisch eines Tieres) hat sich nichts geändert, dennoch ruft die unerwartete Information, dass es sich um Fleisch eines anderen Tieres handelt, Emotionen hervor, die unserer Wahrnehmung vermitteln, dass ebenjenes Geschnetzelte auf dem Teller nicht mehr weitergegessen werden kann.

Das Problem der Wahrnehmung liegt darin, dass sie das Empfinden der Wirklichkeit beeinflusst. Sie bestimmt, wie wir Situationen bewerten und welche Bedeutung wir ihnen zumessen und infolgedessen handeln. Das Wissen darüber, dass Hundefleisch auf dem Teller liegt, ruft eine andere Empfindung und Handlung hervor. Das hängt damit zusammen, dass Kühe keine anerkannten Haustiere sind, zu denen eine emotionale Bindung aufgebaut wird. Dennoch unterscheiden sich Kühe von Hunden nicht derart, dass der Verzehr ausschließlich einer Art gerechtfertigt werden könnte. Lediglich die Grenze, die Menschen ziehen, lässt einen Unterschied erkennbar werden. Sie ist den sozialen Kategorien geschuldet, die wir bilden, um unsere Außenwelt leichter zu erfassen und sich in ihr zurechtzufinden. Aus diesem Grund werden Tiere in verschiedenen, erlernten und konstruierten Kategorien zugeordnet, die sie in essbar oder nicht essbar einteilen. Die Zuschreibung des Rindes zu der Kategorie des Nutztieres stoppt weitere Emotionen, da es als Nahrungsmittel wahrgenommen wird. Das System des Karnismus steuert Menschen, bei einigen Tieren nichts zu fühlen. Da Tiere den Menschen von Grund auf etwas bedeuten, wird dabei die Empathie, die normalerweise an die Oberfläche kommen würde, unterdrückt.

 

 

Doch sollte etwas als selbstverständlich angesehen werden, nur weil es schon immer so gemacht wurde?

 

Ist die Art der Fleischbeschaffung, die Menge des Fleischkonsums und die damit einhergehende Behandlung der Tiere noch „normal“? Ist die manipulierte Geschwindigkeit der Fortpflanzung und des Wachstums sowie die Wegzüchtung von natürlichen Eigenschaften, die Nahrung, die Tiere unter unnatürlichen Bedingungen vorgesetzt bekommen, bestehend aus Hormonen und Medikamenten, eine Hinterfragung wert? Kann der manipulierte, frühzeitige und vermeidbare Tod von Lebewesen noch als selbstverständlich angesehen werden?

Das Wissen darüber, dass ein Überleben ohne tierische Produkte nicht nur möglich, sondern auch gesünder und nachhaltiger sein kann, herrscht bereits vor. Ist die Notwendigkeit des Fleischkonsums, in Zeiten der Vielfalt an leicht zugänglichen pflanzlichen Lebensmitteln und der Möglichkeit der freien Entscheidung des Einkaufs, nicht irrelevant geworden?

 

Die Glaubenssysteme Speziesismus und Karnismus werden von Werbung und Medien aufrechterhalten. In Medien werden Kadaver als Rohstoff, Produkt oder Lebensmittel dargestellt und Tiere dadurch verdinglicht und entindividualisiert. Mediale Darstellungen tierischer Lebensmittel lenken die Aufmerksamkeit auf Bilder und Produkte von glücklichen, lächelnden, auf der Wiese stehenden Tieren in Freiheit. Tierische Produkte werden als genussvoll, leidfrei, gesund und selbstverständlich inszeniert und führen zu einer Illusion, die die Fleischindustrie als vertretbar darstellt und den Verzehr tierischer Produkte weiterhin als selbstverständlich gelten lässt.

Die Reproduktion der Glaubenssysteme des Karnismus und Speziesismus in medialen Kommunikationsangeboten habe ich durch meine Analyse der Zeitschrift „BEEF!“ offengelegt und herausgestellt, wie diese die Entstehung von Vorurteilen gegenüber fleischloser Ernährungsformen und die Diskriminierung von Tieren begünstigen.

 

Was habe ich herausfinden können?

 

In die Analyse sind elf Ausgaben der Zeitschrift „BEEF!“ eingegangen, die seit der Erstauflage vor zehn Jahren erschienen sind (2009-2019). In einer qualitativen, inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse fand ich heraus, dass der größte Einflussfaktor für die Aufrechterhaltung der Glaubenssysteme des Karnismus und Speziesismus die Notwendigkeit des Fleischessens war. Auch die N‘s der Normalität und der Natürlichkeit spielten eine übergeordnete Rolle bei der Verankerung der rechtfertigenden Ideologien.

Ich konnte herausfinden, dass karnistische Einstellungen als zusammenhängendes Konstrukt vermittelt werden. Aufgrund der Überschneidungen der drei N‘s wurde die Stabilität des Systems sowie dessen grundlegende Überzeugung deutlich. Die Notwendigkeit des Fleischkonsums wird in dieser Zeitschrift als Synonym der Rechtfertigung und Legitimierung des Tötens verstanden, wodurch die Hinterfragung der drei N‘s verhindert und Emotionen wie Reue, Schuld oder Empathie gegenüber den Tieren nicht transportiert werden.

 

Die drei N‘s des Karnismus äußerten sich, indem Inhalte darauf ausgelegt sind, dass der Konsum von Tieren als wahr, feststehend und nicht zu hinterfragen dargestellt werden. Es wird nüchtern und stolz über Gerichte, Schlachtungen, Fleischzubereitungen und Haltungsformen berichtet. Dabei wird sich auf Traditionen und Routine verlassen. Die Inhalte des Karnismus rücken immer wieder in den Mittelpunkt, ohne ihn beim Namen zu nennen. Tiere zu essen wird als alltäglich, vertretbar, essentiell, männlich, kraftbringend und erfreulich vermittelt. Tiere zu töten wird als unausweichlich, üblich und traditionell dargestellt. Produkte von Kadavern werden ausnahmslos beschönigt und verharmlost. Der Geschmack des Tieres, die Qualität des „Produktes“, die Darstellung des Fleisches als Lebensmittel und die Umbenennung bestimmter Teile von Tierkadavern werden hier immer wieder angeführt und unterfütterten die drei N‘s.

Die Argumente des Speziesismus werden in den analysierten Ausgaben als Vorannahmen und geltende Norm vorausgesetzt. Die Überzeugung des Karnismus bestärkt sich durch die minderwertige Beschreibung von Tieren. Es wird vermittelt, dass Tieren das Recht zu leben nicht zusteht, der Mensch über ihnen steht. Tiere werden diskriminierend und entwürdigend beschrieben, wodurch der Anschein entsteht, dass sie wertlos sind. Sie werden als Eigentum, Rohstoff und Produkte dargestellt. Die Haltung von Tieren sowie das Verkaufen und Verzehren wird als unanfechtbarer Zustand beschrieben.

Besonders zentral lässt sich die Ausbeutung der Tiere in der Zeitschrift herauslesen, wenn tote Tiere zum Bestandteil von Vergnügen, Portionsgrößen und wirtschaftlichem Gewinn werden. Die Formulierungen der Zeitschriftinhalte stellen die Transformation der fühlenden Lebewesen zu Nahrungsmitteln als zweifelsfrei und obligatorisch dar. Es scheint, als seien Nutztiere dazu verpflichtet, sich für den Genuss der Menschen zu opfern.

In allen untersuchten Ausgaben wird eine herrschende und normentsprechende Ungleichheit zwischen den Tieren und Menschen transportiert. Keine Eigenschaft eines Tieres scheint auszureichen, um zu verhindern, dass es getötet wird. Einige Eigenschaften, in denen Tiere den Menschen ähneln, werden von der Berichterstattung des Geschmacks überdeckt. Die Art und Weise der Berichterstattung, die Bilder und Überschriften sowie die medialen Strategien verstärken den Glauben an die Ideologien des Karnismus und Speziesismus.

 

Wie stützt die mediale Reproduktion dieser Glaubenssysteme die Diskriminierung von Tieren und die Vorurteilsentstehung gegenüber fleischfreier Ernährungsweisen?

 

Die diskriminierende und verherrlichende Dokumentation in Zeitschriften wie der „BEEF!“ kann Konsequenzen für die Entstehung von Vorurteilen gegenüber Ernährungsformen haben, die die Glaubenssysteme des Karnismus und Speziesimus nicht teilen und Fleisch essen nicht als selbstverständlich ansehen. In meiner Bachelorarbeit habe ich die mediale Reproduktion dieser Glaubenssysteme als Gründe für die Entstehung von Vorurteilen über fleischfreie Ernährungsformen und die anhaltende Ausbeutung von Tieren diskutiert.

Die offensichtlich einseitigen Themen und Informationen der „BEEF!“ schränken die Ausbildung alternativer Einstellungen ein und verhindern eine Reflexion dessen, was als selbstverständlich reproduziert wird. Infolgedessen wird nicht nur das Hinterfragen des Fleischkonsums verhindert, sondern auch das Verständnis für andere Realitäten und Überzeugungen verringert. Die Zeitschrift kann als Schutzmauer angesehen werden, welche die Sicht auf die Wirklichkeit verzerrt und die Möglichkeit der Reflexion einschränkt. Aufgrund des flächendeckend ermittelten Vorherrschens des Speziesismus und Karnismus in der „BEEF!“ kann der Faktor der Medien als Quelle der Verbreitung und Verfestigung von diskriminierenden Einstellungen gegenüber Tieren angenommen und als ein Ausgangspunkt der Vorurteilsentstehung gegenüber Menschen, die den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten als nicht-normal empfinden, verstanden werden.

Eine Verringerung der Vermittlung von speziesistischen und karnistischen Einstellungen, eine Veränderung der Kommunikation und Reproduktion dieser Einstellungen sowie eine Überarbeitung der herrschenden Ideologien könnte zu einem Rückgang der Entstehung von Vorurteilen und der Unterdrückung von Tieren führen.

Eine Sensibilisierung und Aufdeckung der Glaubenssysteme könnte auf die Diskriminierung gegenüber Tieren aufmerksam machen, Einstellungen in Frage stellen und die moralischen und ethischen Errungenschaften in eine Richtung lenken, die auch Empathie und Gleichberechtigung für andere Lebewesen fördert. Zukünftig wäre es erstrebenswert, den Blickwinkel der gefestigten Selbstverständlichkeiten in Bezug auf den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten zu erweitern, indem die drei N‘s des Karnismus sowie die Grundannahmen des Speziesismus auf gesellschaftlicher Ebene zur Diskussion gestellt werden. Aufklärung im offenen Diskurs und die Reflexion der eigenen Wahrnehmung können in den Mittelpunkt gerückt werden, um den Umgang mit Tieren leidfreier und gerechter zu gestalten und eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu fördern.

 

Literatur

 

Aaltola, E. (2015). Leiden. In A. Ferrari & K. Petrus (Hrsg.), Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen (S. 220-222). Bielefeld: transcript.

Ach, J. S., Glock, H.-J., Richter, H., Sachser, N., Tietz, S. & Wild, M. (2018). II Philosophische Grundlagen der Tierethik. In J. S. Ach & D. Borschers (Hrsg.), Handbuch Tierethik – Grundlagen – Kontexte – Perspektiven (S. 29-74). Stuttgart: J.B. Metzler Verlag.

Akbar, P. & Hoffmann, S. (2019). Konsumentenverhalten: Konsumenten verstehen –Marketingmaßnahmen gestalten (2., aktualisierte Auflage). Wiesbaden: Springer Gabler.

Bartsch, A. & Schindler, J. (2019). Vorurteile – Medien – Gruppen – Wie Vorurteile durch Medienrezeption in Gruppen beeinflusst werden. Wiesbaden. Springer VS.

Bräuer, J. (2014). Klüger als wir denken: Wozu Tiere fähig sind. Berlin Heideberg: Springer Spektrum.

Busch, C. & Hamm, U. (2015). Ethischer Konsum gewinnt an Bedeutung - Ein Ausdruck gesellschaftlicher Kritik an den Produktionsbedingungen der Fleischwirtschaft. Fleischwirtschaft, 7, 34-39.

Deckers, J. (2016). Animal (De)liberation: Should the Consumption of Animal Products Be Banned? UK: ubiquity press.

Foer, J. S. (2010). Tiere essen (4. Auflage). Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Grabolle, A. (2012). Kein Fleisch macht glücklich - Mit gutem Gefühl essen und genießen. München: Wilhelm Goldmann Verlag.