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Geschichte

Back to the roots

Seit dem Wintersemester 2003/2004 haben wir, als StudentInnen des Fachbereichs 09, die Möglichkeit ein Lehrangebot im Bereich "Ernährungsökologie" zu nutzen. Um dies möglich zu machen, war viel Engagement, Geduld und Arbeit nötig. Dank der Unterstützung der Eden-Stiftung besteht nun eine Professur für Ernährungsökologie, die mit Frau Prof. Dr. Hoffmann besetzt ist.

Die Ernährungsökologie ist ein relativ neues Wissenschaftsgebiet innerhalb der Ökotrophologie bzw. der Ernährungswissenschaft. Die Gründung der Ernährungsökologie geht auf langjährige studentische Initiativen an der Universität Gießen zurück. Seit Mitte der 1970er Jahre beschäftigten sich einige Studierende der Ernährungswissenschaft aus Unzufriedenheit mit dem vorwiegend physiologisch, biochemisch und technologisch ausgerichteten Lehrangebot in studentischen Arbeitskreisen mit alternativen Ernährungsrichtungen sowie ökologischen und sozialen Fragen. Hintergründe waren die Umweltbewegung sowie die entwicklungspolitische Bewegung.

Bereits 1989 fand eine erste Arbeitstagung, die richtungsweisend für die Entwicklung der Ernährungsökologie war. Wir wollen nun zwei frühe Mitglieder zitieren, um anhand ihres Statements einen Blick zurück auf die Anfänge der Idee "Ernährungsökologie" zu werfen.

Statement des Studentischen Arbeitskreises Ernährungsökologie, Kathi Dittrich und Gesa Maschkowsk aus dem Jahr 1989: Unser Weg zu einer neuen Betrachtungsweise der Ernährung

 

Die Anfänge der Ernährungsökologie

Richtungsweisend für die Entstehung der studentischen Initiative Ernährungsökologie war sicherlich die Entscheidung für das Studium der Ökotrophologie. Sie erfolgte bei vielen Studienanfängern aus bestimmten Erwartungshaltungen und Motiven heraus, die sich aus einem Problembewusstsein für Ernährung ergeben. Besonders offensichtliche Widersprüche zwischen dem derzeitigen Lebensstil einerseits und den wachsenden Ernährungs- und Umweltproblemen anderseits prägte das Interesse für Ernährungsfragen.

 

Erwartungen an den Studiengang Ökotrophologie

Als StudienanfängerInnen erhofften wir uns, dass im Studium zu konkreten Fragen Stellung genommen wird, die die Öffentlichkeit und damit auch uns beschäftigen. Dazu gehören Fragen wie:

  • Welche Ernährungsweisen sind mit einem Bewusstsein von Lebensmittelqualität vereinbar?
  • Welche Stellung bezieht die Ernährungswissenschaft zu dem scheinbaren Widerspruch zwischen zunehmender Technisierung und der Umweltproblematik?
  • Welche langfristigen realisierbaren Ernährungskonzepte gibt es?

Die Antworten durch die Lehrangebote waren eher enttäuschend [Stand 1989, die Redaktion]. Geboten wurde uns ein Nebeneinanderstehen von Fachwissenschaften, die jeweils nur aus ihrem speziellen Wissenschaftsverständnis heraus Ernährungswissenschaft betreiben. Interdisziplinäre Ansätze schienen weder in der Lehre noch in der Forschung verwirklicht.

Neben der unzureichenden Ausgestaltung der Fächer wurden einige für die Ernährung wesentlichen Disziplinen gar nicht oder nur begrenzt angeboten.
Dazu zählen z.B.

  • Aspekte der Ernährungsmedizin
  • Ernährungsgeschichte
  • Ernährungspsychologie
  • Ökotoxikologie

 

Kritik an der klassischen Ernährungswissenschaft

Ausgehend von der inhaltlichen Mängeln des Studiengangs Ökotrophologie hat sich unsere Kritik immer stärker auf die Ernähungswissenschaft an sich bezogen. Wir begannen anzuzweifeln, ob mit den gängigen Methoden und Denkstrukturen der klassischen Ernährungswissenschaft wesentliche Fragen überhaupt beantwortet werden können, z.B.

  • Fragen zur Problematik der Erkenntnisfindung durch Grenzen der Messbarkeit: "Wie viele Analysemethoden müssen noch entwickelt werden, bis wir endlich alle lebenswichtigen Nahrungsmittelinhaltsstoffe gefunden haben, damit wir die richtige Ernährung proklamieren können?"
  • Fragen zum Widerspruch zwischen Einzelerkenntnissen der verschieden Fachwissenschaften: "Wie kann ernsthaft Ernährungsberatung zur Prävention betrieben und gefördert werden, wenn doch nur die Folgen der Zivilisationskrankheiten tausende von Arbeitsplätzen erhalten werden?"
  • Fragen zum Problem des Reduktionismus und der Bewertung "Wie lange kann noch verantwortet werden, eine Lebensmittelqualität zu definieren und zu fordern, die die Fragen des Primär-Energieverbrauchs und der Umweltbelastung nicht berücksichtigt?"

 

Entstehung des Studentischen Arbeitskreises Ernährungsökologie

Als 1986 der "Studentische Arbeitskreis Ernährungsökologie" gegründet wurde, gab es bereits studentische Initiativen, die sich mit ähnlichen Problematik beschäftigten. So finden sich seit 15 Jahren in Gießen immer wieder neue Gruppen zusammen, die sich mit der Vollwert-Ernährung befassen. Auch unser Arbeitskreis ging ursprünglich von der Vollwert-Ernährung aus, arbeitete dann aber weiterführend an einem übergeordneten Modell, welches versucht, alle wesentlichen Faktoren zu berücksichtigen, die die Ernährung des Menschen beeinflussen. Die Vollwert-Ernährung ist in dem Sinne eher eine konkrete Verwirklichungsform der Ansprüche der Ernährungsökologie, da die Zusammenhänge zwischen Ernährung und natürlicher und sozialer Umwelt in die praktischen Empfehlungen der Vollwert-Ernährung miteinbezogen werden.

Um unsere Ideen umzusetzen, war und ist es erforderlich, auch in der Öffentlichkeit aktiv zu werden. Besonders wichtig erscheint es uns, dass Themen der Ernährungsökologie in Studienangebote und Forschungsprojekte mit aufgenommen werden. Eines unsrer Anliegen ist deswegen, die Einrichtung einer eigenständigen Professur für dieses Themengebiet zu erreichen.

Autoren: Kathi Dittrich und Gesa Maschkowski, 1989

 

Seit 1989 hat sich vieles getan. Nicht zuletzt durch Mitarbeit studentischer Initiativen. Wir sehen uns in einer langen Tradition und hoffen, dass nun - da das Ziel einer eigenen Professur für Ernährungsökologie erreicht ist - das studentische Interesse an einem integrativen Ansatz der Ernährung nicht abklingt.

Das Statement ist aus dem Jahr 1989. Wir haben dieses Statement ausgewählt, um zu zeigen aus welchen Gründen der Arbeitskreis entstand und wo seine Wurzeln liegen. Kritik am Vorlesungsangebot sehen wir in diesem Maße nicht mehr als gerechtfertigt, da das stark interdisziplinär ausgerichtete Studienangebot des Fachbereichs Ökotrophologie, Agrarwissenschaften und Umweltmanagement an der Justus-Liebig Universität eines der breitgefächertsten in Deutschland ist. Trotzdem sehen wir es weiterhin als sehr wichtig an, die einzelnen Teilbereiche der Lehre verstärkt miteinander zu verknüpfen und nicht gegeneinander, sondern miteinander verschiedene Fragestellungen zu bearbeiten.

Mit der Organisation unserer Vorlesungsreihe können wir das Modulangebot dort erweitern bzw. ergänzen, wo besonderes Interesse besteht. Des Weiteren ist es möglich, den noch immer sehr theoretisch geprägten Inhalt des Studiums mit praxisnahen Berichten der eingeladenen Referenten zu verknüpfen.


Quelle:

Arbeitsgruppe Ernährungsökologie (Hrsg): Ernährungsökologie. Bericht der 1. Arbeitstagung Ernährungsökologie. Rauischholzhausen 17. - 18. 2. 1989, o.V.