Inhaltspezifische Aktionen

„Die Gespräche sind in vollem Gange“ – wie an der Universität Gießen Entwicklungen fortgeführt werden sollen [4. Juli 2023]

Auch wenn mit dem Ende der zweiten QLB-Förderphase die Gießener Offensive Lehrerbildung (GOL) Geschichte sein wird, sind in den vergangenen Jahren an der Justus-Liebig-Universität Gießen die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, möglichst viele Errungenschaften der GOL zu verstetigen. Der Sprecher der GOL-Steuerungsgruppe, Prof. Dr. Ludwig Stecher, erklärt, welche Voraussetzungen für nachhaltige Veränderungen erfüllt sein müssen und welche Projekte besonderes Verstetigungspotenzial haben.

Ein Interview mit Ludwig Stecher aus dem Newsletter der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" 3 | 2023

Die GOL ist 2016 mit dem Ziel angetreten, die Qualität der Lehrkräftebildung an der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen und in Hessen allgemein zu verbessern. Wo sah die GOL zu diesem Zeitpunkt Optimierungsbedarf?
An der JLU Gießen hat die Lehrkräftebildung immer schon einen hohen Stellenwert, allein schon deshalb, weil rund ein Fünftel der Studierenden, also ein hoher Anteil, Lehramt studiert und die JLU Gießen in Hessen als eine der größten Bildungsstätten für Lehrkräfte alle Lehramtsstudiengänge und nahezu alle Fächerkombinationen anbietet – das heißt Lehramt für Grundschule, Haupt- und Realschule, Gymnasium und Förderschule. Hinzu kommt, dass das Präsidium die Lehrkräftebildung stark unterstützt.

Im Antrag zur ersten Bewilligungsphase haben wir uns ausführlich mit den Stärken und Schwächen der Lehrkräftebildung in Gießen zum Zeitpunkt 2015 auseinandergesetzt. Neben den vielen Vorzügen und Pluspunkten der Lehrkräftebildung in Gießen haben wir Entwicklungsbedarf unter anderem in der Erhöhung von Schulkooperationen, im Ausbau der Fort- und Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte, in verstärkten Anstrengungen zur Gewinnung von Studierenden sowie in der systematischen Verbesserung der Lehre, nicht nur im Hinblick auf die Dimensionen des Inputs und Outputs, sondern auch im Hinblick auf die hochschuldidaktische Ausgestaltung der Lehr-Lernprozesse gesehen. Aufbauend darauf – und auf der Basis weiterer Überlegungen – haben wir unser Konzept entwickelt.

Die GOL verfolgt dabei einen doppelten Ansatz: Sie nimmt sowohl die Hochschule in die Verantwortung als auch die Lehrkräfte. Warum ist es für nachhaltige Veränderungen wichtig, neben der wissenschaftlichen auch die schulische Praxis mitzudenken?
Das Lehramtsstudium ist per se ein Studium, das wesentlich darauf beruht, wissenschaftliche und schulische Praxis zusammenzubringen bzw. zusammenzudenken. Gerade hier wird die Relationierung von Theorie und Praxis immer wieder intensiv diskutiert. In der schulischen Praxis gilt es, das Wissen und die Kompetenzen, die sich die Studierenden im wissenschaftlichen Diskurs an der Uni aufgebaut haben, im Sinne der bestmöglichen Förderung aller Schülerinnen und Schüler „auf die Straße zu bringen“, hier entsteht das pädagogische Potenzial. Es wäre also sehr kurz gegriffen, wissenschaftliche und schulische Praxis nicht gleichermaßen einzubeziehen.

Als Strukturentwicklungsprojekt zielt die GOL auf die Reorganisation von Prozessen sowie den Ausbau und die Entwicklung vorhandener Strukturen innerhalb der Lehrkräftebildung an der JLU, aber auch phasenübergreifend mit den Studienseminaren und der Fort- und Weiterbildung ab. Inwiefern ist das gelungen?
Betrachtet man die Leistungen der GOL, so finden wir sie auf der Ebene der Prozesse und Produkte, wie auch auf der Ebene der Strukturen. Hinsichtlich jeder dieser Perspektiven hat die GOL in den letzten Jahren vieles geleistet.

Um hier wirklich alles aufzuzählen, fehlt leider der Platz. Aber vielleicht so viel: Ich sehe es als einen der großen Erfolge der GOL an, dass es ihr gelungen ist, die Vernetzung der Universität mit den außeruniversitären Partnern – den Studienseminaren, den Schulen und anderen Akteurinnen und Akteuren der Lehrkräftebildung – strukturell zu verbessern und eine intensive Kooperation deutlich unterstützt zu haben. Die GOL ist in der gesamten Region bekannt. Zu diesen Kooperationsstrukturen zählt unter anderem unser Netzwerk von Campusschulen. Das sind ausgewählte Schulen, die über ihr Engagement im Rahmen der schulpraktischen Studien hinaus eine engere, inhaltlich fokussierte sowie partnerschaftlich verstandene Zusammenarbeit mit der JLU eingehen. Zu den Erfolgen gehört es auch, dass wir uns über die Jahre mit dem Kollegium an unserer Hochschule im Rahmen von gemeinsamen Foren intensiv über aktuelle und drängende Fragen der Lehrkräftebildung ausgetauscht haben. Es war ein sehr intensiver Austausch, der auch einschloss, den Kolleginnen und Kollegen Einblick in das eigene Vorgehen in Seminaren und Vorlesungen zu geben und gemeinsam über die Praxiserfahrungen zu diskutieren. Es ist uns darin zum Beispiel gelungen, erste Verständigungsprozesse zu Professionalisierungszielen und Kompetenzen anzuregen, die sich auf das zweite schulische Praktikum in den Unterrichtsfächern beziehen. Ich erhoffe mir, dass mindestens diese drei Dinge, interne und externe Vernetzung mit Akteurinnen und Akteuren der Lehrkräftebildung sowie das Netzwerk von Campusschulen, die GOL überdauern werden.

Zu den weiteren Erfolgen gehört, dass wir ein Online Self Assessment aufgebaut haben, das Studienwilligen hilft, über ihre Interessen und Motivationen hinsichtlich eines Lehramtsstudiums zu reflektieren. Wir haben im Sektor der Fort- und Weiterbildung Ansätze für die Qualifikation von Mentorinnen und Mentoren sowie Ansätze für die Unterstützung von Schulen bei der Entwicklung eines schulischen Fortbildungsplans erprobt und evaluiert. Und wir haben Workshops und Veranstaltungen konzipiert, die dazu geeignet sind, Schülerinnen und Schüler für ein Lehramtsstudium zu gewinnen und im Studium zu halten.

Das vielleicht deutlichste Zeichen für einen nachhaltigen Strukturaufbau durch die GOL ist die Besetzung und Verstetigung zweier neuer Professuren. War es schwierig, diese Verankerung durchzusetzen?
Nein, die Hochschulleitung hatte sich ja von Anfang an zur Verankerung der Professuren verpflichtet. Das Verfahren war bei einer Professur etwas zeitaufwändiger, jetzt aber sind beide Professuren besetzt. Damit sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Lehrkräftebildung nicht nur stattfindet, sondern auch Gegenstand der Forschung ist.

Gemäß der beiden Leitlinien für die GOL „Auf die Lehrkraft kommt es an“ und „Auf die Uni kommt es an“ haben die Professuren unterschiedliche Schwerpunkte. Prof. Dr. Edith Braun nimmt an der Professur für Hochschuldidaktik mit dem Schwerpunkt Lehrkräftebildung die akademische Ausbildung von Lehrkräften in den Blick. Prof. Dr. Jan-Hendrik Hinzke hingegen widmet sich mit seiner Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Lehrerbildungsforschung empirischen Forschungsarbeiten zur Lehrkräftebildung mit nationalem und internationalem Fokus. Warum diese beiden Schwerpunkte?
In den beiden genannten Leitlinien der GOL kommt, kurz gefasst, die Auffassung zum Tragen, dass Lehrkräftebildung die Studierenden hinsichtlich ihrer später notwendigen Kompetenzen zielgerichtet professionalisieren muss: Nur eine gut ausgebildete Lehrkraft kommt ihrer Verantwortung erfolgreich nach. Wir als Lehrende an den Hochschulen müssen uns selbst an die Nase fassen und den Blick auf die Qualität unserer eigenen Lehre richten. Aus unserer Sicht gibt erst beides zusammen ein vollständiges Konzept. Beide Professuren bilden deshalb auch in ihrer Ausrichtung die beiden Leitlinien ab.

Warum ist es wichtig, die Forschung in der Lehrkräftebildung mit unterschiedlichen Schwerpunkten an den Hochschulen zu verankern?
Das ergibt sich aus unserem Konzept, dem die Überzeugung – wie eben dargestellt – zugrunde liegt, dass wir den Professionalisierungsblick nicht nur auf die Studierenden beziehungsweise (angehenden) Lehrkräfte richten sollten, sondern auch auf die Hochschule selbst, das heißt auf die Qualität der Hochschullehre und unserer Fort- und Weiterbildungsangebote. Und: Wie zur medizinischen oder juristischen Aus- und Fortbildung gehören auch zur Lehrkräftebildung die forschungsbasierte Orientierung, Ausrichtung und Entwicklung.

Die GOL hat zudem auf der inhaltlichen Ebene neue Angebote geschaffen. Sowohl für Lehramtsstudierende als auch für Lehrkräfte. Inwiefern ist der Fortbestand dieser Angebote bereits gesichert beziehungsweise gehen Sie davon aus, dass er gesichert werden kann?
Die GOL besteht, wie ich oben beschrieb, aus Strukturen, Prozessen und Produkten. Hinsichtlich jeder dieser Perspektiven hat die GOL in den letzten Jahren vieles geleistet und ich hoffe, dass ein bisschen davon eben schon sichtbar geworden ist. Für die noch verbleibende Projektlaufzeit wird es gerade darum gehen, gemeinsam mit der Hochschulleitung und den relevanten Akteurinnen und Akteuren zu entscheiden und zu überlegen, welche dieser Strukturen, Prozesse und Produkte auch zukünftig in der Lehrkräftebildung in Gießen fortgeführt werden sollen. Sicher gehören hierzu die beiden Professuren, über die wir bereits gesprochen haben, die die Lehrkräftebildung in Gießen prägen. Es geht aber auch hinsichtlich anderer Aspekte um Nachhaltigkeit. Die Gespräche dazu sind in vollem Gange, mit allen internen wie externen Akteurinnen und Akteuren, insbesondere natürlich mit unserem Zentrum für Lehrerbildung und dem Präsidium.

Ein Hauptanliegen des Projekts war, die Vernetzung aller Phasen der Lehrkräftebildung zu stärken. Dies ist etwa in der Maßnahme Campusschulen gelungen, bei der Schulen der Region mit der JLU kooperieren. Doch Netzwerke brauchen Pflege. Hat die Projektlaufzeit ausgereicht, um aus Initiativen wie den Campusschulen einen Kooperationszusammenhang zu machen, der sich nach dem Ende der Betreuung durch die GOL weitgehend selbstständig am Leben erhalten wird?
Ja, Netzwerke brauchen Pflege, das heißt letztlich auch dauerhafte Strukturen. Wir haben mit dem Kooperationsrat, ein regionaler Zusammenschluss von Institutionen sowie Akteurinnen und Akteuren in der Lehrkräftebildung, ein Gremium, das auch die angesprochenen Campusschulen im Blick hat. Hier gibt es großes Potenzial für die Fortsetzung und Intensivierung der Vernetzung in der Lehrkräftebildung und der Zusammenarbeit mit Schulen.

Was bleibt von der GOL?
Jetzt müsste ich nochmals über unsere Erfolge sprechen, auch nochmals über die Nachhaltigkeitsdiskussion, die wir derzeit an der Uni führen. Ich will das nicht wiederholen. Vieles haben wir erreicht, was aus unserer Sicht weitergeführt zu werden sich lohnt. Wir sind aber nicht naiv. Ohne die Projektfinanzierung lässt sich nicht alles, was die GOL erreicht hat, auf Dauer stemmen, schon gar nicht, wenn es um Fragen der Personalressourcen geht. Am besten, Sie stellen mir diese Frage nochmal in zwei oder drei Jahren.


Ludwig Stecher ist Professor für Empirische Bildungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Gießen und Sprecher der Steuerungsgruppe der Gießener Offensive Lehrerbildung.