Ludwig-Börne-Vorlesung 2018: "´68 - eine Revision"
Ludwig-Börne-Vorlesungen: "’68 – Eine Revision". Veranstaltungsreihe des Präsidenten in Kooperation mit Prof. Dr. Claus Leggewie
1968 gilt als Jahr des Aufbruchs und des Protests. Die Jugend lehnt sich auf, es wird demonstriert und rebelliert. Soweit bekannt – soweit so gut. In der diesjährigen Ludwig-Börne Ringvorlesung mit dem Titel "’68 – Eine Revision" soll es nun aber darum gehen, die Geschehnisse von 1968 in einem neuen Licht zu betrachten. Vor allem das, was nach der Revolte offen und unerfüllt geblieben ist, soll im Fokus stehen. Was ist aus der kritischen Universität geworden? Welchen Erfolg hatten die Geschlechterkämpfe? Wie pazifistisch war die Revolte, und wie weit trug der kulturelle Wandel? Diese und andere Fragen werden von vier Referenten und Referentinnen kompetent erörtert und diskutiert.
1.) Den Auftakt zur Vorlesungsreihe bildet ein Vortrag von Jürgen Kaube, dem Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), zu "Universitäten nach der Hochschulreform" am 18. April 2018.
2.) Am 2. Mai 2018 wird die Publizistin und Schriftstellerin Barbara Sichtermann in ihrem Vortrag "Un/Gleich. Geschlechterkämpfe seit den 1960er Jahren" auf Gleichheit und Verschiedenheit im Prozess der Emanzipation im Anschluss an die 1960er Jahre eingehen: Die Kategorien, von denen die Frauenemanzipation strukturiert wird, heißen Gleichheit und Verschiedenheit, Gleichheitspolitik und Differenzpolitik. Es sind immer beide gleichzeitig am Werk, aber der Schwerpunkt ruht mal hier, mal da. Heute haben wir es zu einer bemerkenswerten Mischung der Geschlechter im öffentlichen Raum und in den Berufen und Funktionen gebracht. Frauen gehen zu den Soldaten, und Männer sollen Väterzeit nehmen, weibliche Chefs werden immer selbstverständlicher, männliche Akzeptanz dieser Art Frauenpower wächst an. Aber nicht überall und nicht friktionslos, denn „Women's lib“, wie es früher hieß, bedeutet nicht nur, dass die Frauen einen Freifahrtschein in alle ehemals männlichen Domänen erworben haben und die Männer ihnen dort Platz machen müssen. Es bedeutet auch, dass sich gewachsene Strukturen und Verhaltensweisen in nahezu sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen – bis in die Sprache hinein – verändern oder sich gegen Veränderung sperren. Zu beobachten ist in jedem Fall, dass es eine stetige Verunsicherung gibt, wodurch der Dialog zum Thema der Geschlechterkämpfe nicht nur hochaktuell, sondern auch von essentieller Bedeutung ist.
3.) Dr. Wolfgang Kraushaar, Politikwissenschaftler und Mitglied der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, wird am 16. Mai 2018 in "Natürlich kann geschossen werden. Oder wie pazifistisch war die Revolte?" Fragen zur Opfer- und Täterrolle erörtern: Die Sichtweise der meisten 68er basiert auf einer grundlegenden Unterscheidung zwischen passiver und aktiver Gewalt. Sie sehen sich vor allem als Opfer staatlicher Repression. Im Verlauf der 68er-Bewegung hatte es insbesondere zwei Akte mörderischer Gewalt gegeben: Die Erschießung des Germanistikstudenten Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstration gegen den Schah von Persien am 2. Juni 1967 und ein am 11. April 1968 von einem Rechtsradikalen auf Rudi Dutschke verübtes Attentat. Angesichts der Tatsache, dass es davor und danach zu einer Vielzahl militanter Ausschreitungen kam, ist jedoch zu fragen: Wann waren die Teilnehmer der 68er-Bewegung bloß Objekte staatlicher Gewalt, wann wurden aus ihnen selbst Subjekte von Gewaltaktionen und welche Relation bestand zwischen diesen beiden Formen. Es geht vor allem darum zu hinterfragen, wie sich dieser Rollenwechsel erklären lässt. War er situationsbedingt oder ist bereits von vornherein eine bestimmte Disposition vorhanden gewesen und welche determinierenden Faktoren spielten dabei eine Rolle? Auch die Gießener Allgemeine hat über Kraushaars Vortrag zu gewaltsamen Widerstand berichtet.
4.) Mit dem vierten Vortrag der Ludwig Börne-Vorlesungen lädt das ZMI zur Abschlussveranstaltung der Vorlesungsreihe ein. Als Historiker für zeitgenössische Geschichte und Professor an der Universität Kopenhagen stellt uns Prof. Dr. Detlef Siegfried am 6. Juni 2018 den kulturellen Hintergrund einer Jugend vor, der die Dynamik der '68er-Protestbewegung maßgebliche prägte. Der mit dem Humboldt-Forschungspreis 2018 ausgezeichnete Historiker schließt mit seinem Vortrag über das Thema "Kultur und die linke Szene der 60er und 70er Jahre" an die vergangenen Vorträge an, welche die Protestbewegung der '68er kritisch hinterfragten.
Bekannt ist das Wissen über die Verbindung von Protest und Jugendkultur. Doch wie angespannt und wie konfliktgeladen war das Verhältnis zwischen Protestbewegung und Popkultur wirklich? Wie verlaufen die Spuren der '68er in der Popkultur? Detlef Siegfried geht dem nach, was das Selbstbild einer Generation in Fragen stellen könnte, wie etwa die Frage der Konsumkultur. War die populäre Musik nur der Soundtrack jener Bewegung oder wirklich Einflussfaktor für politisches Handeln und Wertewandel? Siegfried wird versuchen das Wechselverhältnis aufzudecken.
Alle Vorträge finden mittwochs um 19.15 Uhr (19 Uhr c.t.) in der Aula im Hauptgebäude der Justus-Liebig-Universität (Ludwigstraße 23) statt.
Das ZMI und die JLU laden Sie herzlich zur Teilnahme ein und freuen sich auf Ihren Besuch.
(27.03.2018, Jennifer Neumann/ 5. Juni 2018 Abdullah Erdogan)