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9. Kolumne: Ich bin dann mal weg - Anonymität im Netz

Ob sich die Spiegel-Autoren Henryk M. Broder und Erich Follath einen hitzigen Briefwechsel zum Thema Israel liefern oder Karl-Heinz Grantl im Leserbrief die Biegung der Trasse entlang seiner Rabatten beklagt: in den traditionellen Medien steht unter einer Meinung ein Name. Denn zu einer Haltung gehört auch eine Identität. Doch wie steht es mit der Meinung im Netz? Mit einem Blick auf Diskussionen in verschiedenen Internetformaten wird klar, dass häufig Pseudonym mit Anonym debattiert. Und das hat Folgen für die Qualität der Diskussion. Nicht immer zum Wahren, Schönen und Sachlichen, wenn man den Berichten aus Medienwelt und Blogosphäre glaubt.
So geriet dieser Tage Verlegersohn und Medienmanager Konstantin Neven DuMont in die Kritik, unter mehreren Pseudonymen im renommierten Blog des Medienjournalisten Stefan Niggemeier gepöbelt zu haben. Ein Medienblog, auf dem DuMont bereits vorher unter seinem 'richtigen Namen' kommentiert hatte. Was heißt das für den Ton einer Diskussion, wenn 'Ich' weg bin und ein Pseudonym wie 'ichglaubsnich' spricht? Stefan Niggemeier zumindest sah die Kommentarfunktion seines Blogs missbraucht und zeigte sich wenig beeindruckt von der sprachlichen Finesse, dass ein einzelner Kommentator ganze Dialoge simuliert, in denen sich seine verschiedenen Netz-Identitäten miteinander unterhalten.
Auch unter Wissenschaftlern, die im Internet ihre Forschungsergebnisse diskutieren, geht der Anonymus um. Nicht nur in einzelnen Kommentaren, sondern in ganzen Blogs bleibt die Identität hinter einem Pseudonym verborgen und führt nicht selten zum Abbruch der Diskussion, weil sich die eine Seite weigert, mit einem ‚Hüpfehasen’ über Ionenphysik zu streiten. So geschehen im Wissenschaftsblog rabett.blogspot.com. Es zeichnet sich jedoch ab, dass in den virtuellen Medien wieder mehr Beiträge mit einer Angabe von Namen und Institution eingefordert werden. Aus Gründen der Qualitätssicherung und Vertrauensbildung. Nicht umsonst ist da auch ein 'Mein' in 'Meinung'. (Kerstin Vieritz)

Diese Kolumne erschien am 29.10.2010 im Gießener Anzeiger.