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Vorschulsystem in Schottland- Bericht von Anne Köhler

Herzlich Willkommen zu einem kleinen Ausflug auf den nördlichen Teil Großbritanniens!Dem Land, in dem es nicht „Hello“ sondern „Heya“, nicht „Ladies and Gentlemen“ sondern „Folks“ heißt. Schottlands Position im Vereinigten Königreich ist keineswegs mit der eines Bundeslandes in Deutschland zu vergleichen. Schottland wurde vor gut 300 Jahren Teil des Vereinigten Königreiches, ist aber heute in einigen innenpolitischen Angelegenheiten selbstständig (vgl. The official gateway to Scotland (b)). So ist Bildung z. B., wie in Deutschland auch, Ländersache, und davon macht es Gebrauch (vgl. Dunlop 2010: 255). Schottlands Charakteristiken bringen einige Herausforderungen mit sich. Wegen der besonders in den Highlands und an der Westküste sehr kargen Landschaft wohnen in diesen Teilen nur wenige der ca. fünf Millionen Einwohner (vgl. The official gateway to Scotland (a)). Eine Vernetzung der Bildungsinstitutionen da ist also schwierig. Schottland hat die offiziellen Landessprachen Gälisch, Englisch und Schottisch (vgl. ebd.), die gesprochen (Wussten sie, dass der allseits bekannte Grüffalo wie seine Autorin Julia Donaldson schottisch ist?) und im Bildungsplan berücksichtigt werden wollen.


Welche Erfahrungen habe ich gemacht? Für mich als in Deutschland Aufgewachsene war zunächst der offensichtlichste Unterschied, dass die Schule mit der ersten Klasse bereits im vierten bis fünften Lebensjahr beginnt. Die Vorschule (Nursery School) startet dementsprechend noch eher, im dritten bis vierten Lebensjahr, und kann sich sehr verschieden gestalten. Grob kann in die drei Bereiche öffentlich, privat und Verein unterschieden werden. Erstens sichert der Staat mittels öffentlicher Schulen jedem Kind im Jahr vor der Schule pro Wochenarbeitstag 2,5 Stunden Bildung täglich zu. Dies kann in einer Regelvorschule oder in einer Klasse für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf stattfinden. Beide Varianten sind kostenfrei und an öffentliche Grundschulen angeschlossen. Zweitens existieren die privaten Einrichtungen, die ähnlich deutschen Kindergärten meist von morgens bis nachmittags oder abends geöffnet sind. Allerdings müssen die Eltern für die Betreuung des Kindes dort selbst zahlen. Als dritte Gruppe stellen die Playgroups kleine meist ortsgebundene Elternvereine dar, die vormittags für einige Stunden Kinderbetreuung anbieten. Die Eltern zahlen dies auch selbst. Diese drei Gruppen vertreten aus meiner Sicht unterschiedliche Interessen. Die öffentlichen Schulen verwirklichen den Auftrag jedem Kind vorschulische Bildung zu ermöglichen. Die Playgroups hingegen sehen eine zu zeitige Beschulung der Kinder kritisch und bieten eine spielerischere Alternative. Die privaten Einrichtungen wiederum finden eine Betreuungszeit von 2,5 Stunden zu kurz, für Kinder als auch arbeitstätige Eltern. Da dies aber dann in erheblichem Maße kostenpflichtig ist, wird Betreuung zu einem Luxus.

Was jedoch genau beinhaltet vorschulische Bildung in Schottland? Bis 2003 gab es ein Curriculum für die Schule ab dem fünften Lebensjahr, jedoch nicht für die vorschulische Bildung, für die erst nach und nach verschiedene Veröffentlichungen gemacht wurden (vgl. Dunlop 2010: 255).

 

2004 wurde das ‚Curriculum for Excellence‘ veröffentlicht, dass die vorschulische Bildung mit hineinnahm in einen umfassenderen Bildungsplan. Und dieser ist in der Tat sehr ganzheitlich strukturiert (vgl. The Scottish Government u. a. 2004: 3). Für jede Altersgruppe sind verschiedene Bildungsziele den acht Bildungsbereichen entnommen (vgl. ebd.). Die Bildungsziele wiederum werden durch Unterziele detailliert. Dieser Plan ist für den Vorschulbereich aber nicht nur eine Empfehlung, sondern verpflichtend. Zumindest für die Einrichtungen, deren Geldgeber der Staat ist, also die Öffentlichen, und die Privaten und Vereine, die den Bildungsauftrag des Staates im Sinne des Curriculums umsetzen und dafür ein Förderung für 2,5 Stunden täglich erhalten. Das vollständige Dokument existiert als Download unter:


http://www.educationscotland.gov.uk/Images/all_experiences_outcomes_tcm4-539562.pdf.


In ergänzenden Dokumenten zum Bildungsplan ist zusätzlich festgehalten, nach welchen Prinzipien frühe Bildung stattfinden soll. Es wird davon ausgegangen, dass das Lernen spielerischen und erfahrungsorientierten Charakter haben soll (vgl. Scottish Executive 2007: 5). Dies wird sehr strukturiert umgesetzt und da unterscheiden sich öffentliche und private Institutionen und Elternvereine nur wenig. In Wochen- und Monatsplänen werden Ideen für die Umsetzung der zu explorierenden Themen aufgeschrieben. Ein Projekt über Hell und Dunkel beispielsweise führt im Bereich Literacy zur Beschäftigung mit der Geschichte des Grüffalo. Der Vormittagssnack passt mit Fuchsschwanz (Süskartoffelsticks) dann zum Thema ebenso wie die Einrichtung von Grüffalohöhle und -sumpf, die es zu entdecken gilt – usw. Diese Struktur und dieses bewusste Planen haben mich begeistert. Die pädagogischen Fachkräfte überlegen gemeinsam mit den Kindern, es werden Ideen gesammelt und die Vorbereitungszeit und Dokumentationsmöglichkeiten intensiv genutzt. Jedoch scheint bei allem Geplantem und den kurzen Zeiten den Kindern nicht viel Raum zu bleiben, selbst zu entdecken. Außerdem ist zu merken, dass private vom Staat geförderte und die öffentlichen Einrichtungen auch unter dem Druck stehen dies zu tun und eventuellen Kontrollen, ob den Ansprüchen des Curriculums Genüge getragen wird, auch stand zu halten. Hingegen scheinen die Elternvereine oder private Einrichtungen ohne Förderung die Freiheit im Gestalten des Alltags zu genießen.

 

Vielleicht fragt sich der eine oder andere Leser, wie Inklusion in Schottland gehandhabt wird. Inklusion ist in Schottland ein aktuelles und vieldiskutiertes Thema. Momentan darf jedes Kind, insofern nicht von Eltern-, Kindes- oder Schulseite etwas dagegen spricht, in eine Regeleinrichtung gehen. Fördereinrichtungen sind meines Erachtens eher selten und werden nur von Kindern mit schwerwiegenden geistigen oder körperlichen Einschränkungen besucht. Für die inklusive Betreuung in Regeleinrichtungen stehen nur in wenigen Fällen zusätzliche Stunden für das Personal zur Verfügung. Inklusion ist für pädagogische Fachkräfte deshalb eine Herausforderung.

 

Ein Seminar an der Universität befasste sich unter anderem mit der Frage, ob Partizipation zu besserem Gelingen von Inklusion beitragen könnte. Die Diskussionen sind wie überall im Gange.
Es ist und bleibt spannend weitere Entwicklungen in Schottland zu verfolgen. Politisch stehen das Votum über Unabhängigkeit und sich daraus eventuell ergebende Veränderungen an. Speziell das Bildungssystem betreffend wird es interessant, ob sich das ‚Curriculum for Excellence‘ bewährt, oder weitere gesetzliche Veränderungen zur Inklusion auf den Weg gebracht werden.


Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass die von mir vorgestellten Erfahrungen auf Besuchen und Gesprächen in Einrichtungen in und um Aberdeen gemacht wurden. Ich habe also meine Eindrücke in eher städtischem Gebiet gemacht, denke aber, dass diese durch das Erleben von sechs Einrichtungen und Interviewpartnern darüber hinaus auf guter Grundlage stehen. Ob nun mit Blick auf das Schulsystem oder nicht: Schottland ist eine Reise wert, und ich hoffe das diese Einblicke aufschlussreich waren. Ich schließe mit einigen Bildeindrücken und dem Quellenverzeichnissen ab.

 

Der Kreativraum der privaten       Das Klassenzimmer der öffent-    Die Milltimber Community Asso-

Broomhill Nursery in Cults.            lichen River Bank Nursery            ciation Playgroup findet in der

                                                     School.                                         Gemeindehalle statt und wird jeden

                                                                                                          Tag neu aufgebaut.

 

Allen Räumen ist der werkstattartige Charakter gleich und bestimmte Tische oder Ecken sind bestimmten Betätigungen der Kinder zugedacht.

Wie Ideen zu Projekten wurden, konnte ich in der Milltimber Nursery School in mehreren Wochen zur Thematik Licht und Dunkel sehen.

 

Die Grüffalohöhle und ein             Kreativprojekt zum Diwali-           Mit-Bring-Themen-Tisch zu Tiere

Puppentheater mit Figuren           Lichterfest.                                  im Dunkeln.

der Grüffalo-Geschichte.

 

Literatur:
Dunlop, Aline-Wendy (2010): Das Kind Im Mittelpunkt: Frühpädagogische Curricula in Schottland. Fthenakis, Wassilio E.; Oberhuemer, Pamela (Hrsg.): Frühpädagogik International. Bildungsqualität im Blickpunkt. 2. Aufl. Verlag für Sozialwissenschaften, GWV Fachverlage Wiesbaden: 255-268.
Internetquellen:
Scottish Executive (2007): A curriculum for excellence. Building the Curriculum 2. Active learning in the early years. http://www.educationscotland.gov.uk/Images/Building_the_Curriculum_2_tcm4-408069.pdf (Akt.-Datum: 05.02.2014).
The official gateway to Scotland (a): Facts about Scotland. http://www.scotland.org/about-scotland/facts-about-scotland (Akt.-Datum: 18.01.2014).
The official gateway to Scotland (b): Scottish History. http://www.scotland.org/about-scotland/scottish-history (Akt.-Datum: 18.01.2014).
The Scottish Government u. a. (2004): Curriculum for Excellence. http://www.educationscotland.gov.uk/Images/all_experiences_outcomes_tcm4-539562.pdf (Akt.-Datum: 20.01.2014).