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Rezeption

 

Die Reaktionen der Kritiker auf Alfred Anderschs zweiten Roman „Die Rote“ fielen gemischt aus. Zwar wurde „Die Rote“ zu einem der erfolgreichsten Romane des Jahres 1960, dennoch wurde der Text in zahlreichen Besprechungen u.a. als kitschig bewertet. Nachdem Andersch 1972 die Neuauffassung des Romans mit einem offenen Schluss auf den Markt brachte, vielen die Urteile positiver aus. Einige wichtige Rezensionen sollen im Folgenden aufgeführt werden.

 

Eine Rezension, die sowohl den Autor Andersch und seinen Schreibstil, als auch sein Werk positiv beurteilt, stammt von Jean Améry. Er äußert sich im St. Galler Tagblatt wie folgt:

„Manches wäre über Andersch als den Meister des Schriftstellerischen Handwerks zu sagen. […] Die Prosa ist straff, gerafft und dabei doch in feiner Sprachmelodie sanft hinfließend. Kaum ein Bild, das nicht der Aussage wie angegossen säße, kein Satz, der schwerfällig wird und seinen Sinn vernebelt, keine Füllsel, keine Verlegenheitsphasen.

 

Auf die politische Dimension eingehend, schreibt Améry weiter:

Andersch gehört jener Minorität in Deutschland an, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Hitler-Vergangenheit, wie das Schlagwort es sagt, zu ‚bewältigen‘: Dies begann mit den ‚Kirschen der Freiheit‘ und erstreckt sich auf das jüngste Buch ‚Die Rote‘.



Im Kontrast dazu äußerste sich Marcel Reich-Ranicki sowohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, als auch 50 Jahre später durchgehend negativ zum Roman:

Das Urteil über ‚Die Rote‘, die ich vor fünfzig Jahren (leider!) ausführlich besprochen habe, lautet auch bei mir (damals und heute) ‚grauenhaft und kitschig‘. Dass der Roman ‚ein wichtiges Werk der deutschen Nachkriegsliteratur‘ sei, ist Mumpitz und Humbug.“

 

 

Ein deutlicher Kontrast dazu findet sich in der Hannoverschen Rundschau von 1960:

Ein außerordentliches Buch, eine Dichtung von Rang, brillant erzählt und erfüllt von der Erfahrung, der Erlebniskraft und dem Wissen eines Mannes, der mehr als einmal Gelegenheit gehabt hat, dieser unserer Zeit ins Notizbuch zu schauen. […]. Eine Geschichte von nahezu klassischer Einfachheit der Motive. Schauplatz ist das winterliche Venedig und es gehört zu den literarischen Ereignissen dieser Saison, von Alfred Andersch in die seltsame Atmosphäre der hier sonnenlosen, trüben, fast greisenhaften Stadt geführt zu werden. […]. Übrigens spricht es doch sehr für die Reife des heutigen literarischen Publikums, daß so ein anspruchsvoller Roman zum Beststeller werden kann.

 

Die umfangreiche Rezension von Walther Schmieding diskutiert die zentralen Motive und das intertextuelle Bezugsnetz des Romans:

Andersch variiert in ihm [dem Roman] sein altes Thema der Flucht zeitgemäß. […] Franziska läuft nur vor ihrer Liebe davon. Aber nach drei Tagen Venedig, nach ihrer Bekanntschaft mit dem ehemaligen RAF-Piloten Patrick O’Malley und seinem Peiniger Gestapo-Inspekteur Kramer, findet Andersch die Verbindung zu seinen früheren Büchern. […]. Andersch macht jeden Fetzen inneren Monologs sichtbar. Er bedient sich der Technik moderner Romane mit Pedanterie.

Das erleichtert die Lektüre, erschafft aber den Eindruck, als sei ‚Die Rote‘ in der literarischen Retorie erschaffen worden. Die Vorbilder stehen gleichsam mit im Text. An der Spitze Thomas Manns ‚Tod in Venedig‘ und Koeppens ‚Tod in Rom‘. […]. Übrigens hat Andersch sich nicht nur von der Literatur, sondern auch vom Film inspirieren lassen.

 

Ein Beispiel für eine Rezension der Neufassung des Romans ist Heinz Pionteks Kommentar aus der Welt:

Wenn man den Roman – in seiner überarbeiteten Fassung – nach zwölf Jahren wieder liest, so wird einem deutlich, wieviel der Erzähler Andersch in diesen Jahren dazugelernt hat, wie sehr er seine künstlerischen Ansichten entwickeln, seine sprachlichen Mittel differenzieren konnte.


Dennoch: So raffiniert wie hier hat Andersch wohl niemals wieder eine Geschichte eingefädelt, die Effekte sind genau kalkuliert, die Szenen zuweilen reißerisch[…].