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Verfilmung

 

 

 

 

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Alfred Andersch war als Autor gegenüber dem Film sehr aufgeschlossen. Nicht zuletzt sah er im Genre der Literaturverfilmung die Möglichkeit, auch ein eher bildungsfernes Publikum mit literarischen Stoffen zu erreichen. Beständig hat sich Andersch deshalb auch für die Verfilmung seiner Texte eingesetzt. Nachdem sein Roman Sansibar oder der letzte Grund 1961 in einer gelungenen TV-Produktion adaptiert worden war, schwebt Andersch mit der Verfilmung von Die Rote vor, eine ideale Verschmelzung von Literatur und Film zu schaffen.


In diesem Sinn wird Andersch bereits im Erscheinungsjahr mit dem Europa- Filmverleih Hamburg über die Verfilmung von Die Rote vertragseinig. Als Regisseur wird Helmut Käutner bestimmt, einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Kinos im mittleren 20. Jahrhundert.

Andersch ist mit dieser Wahl sehr zufrieden. Euphorisch schreibt er am 11.6.61 in einem Brief an Käutner: „Wer denn sollte gerade diesen Film machen, wenn nicht Sie?“ Andersch und Käutner treffen sich, um Probleme der Verfilmbarkeit des Romans zu diskutieren. Voller Elan verfasst Andersch daraufhin in konzentrierter Arbeit einen ersten Drehbuchentwurf, der bereits im Oktober an Käutner zur Überarbeitung geht. 

 

Im Dezember 1960 erhält Andersch das fertige Drehbuch von Käutner – und ist enttäuscht.


Das von Andersch mit Notizen versehene Typoskript ist im Deutschen Literaturarchiv Marbach einzusehen. Aus Anderschs Anmerkungen lässt sich entnehmen, wie unzufrieden er mit vielen Veränderungen Käutners ist. Nur noch wenig von seinem eigenen Entwurf lässt sich in Käutners Fassung wieder finden, vieles scheint ihm von Käutner „verkitscht“ worden zu sein. Einzig „das allernotwendigste Stangengerüst der vordergründigen Handlung“ sei erhalten geblieben, schreibt er an Käutner: „Das ist mir zu wenig.“ Besonders negativ überrascht ist Andersch von der verfälschenden Stilisierung seiner Hauptfigur Franziska.


Die in seinem Roman starke Protagonistin, die sich als Lebenskünstlerin zeigt, wird im Drehbuch zu einem verunsicherten und verlorenen Mädchen. Ihr Verhalten ist den Männern, die sie in Venedig trifft, untergeordnet und gerade von Fabio erhofft sie sich, gerettet zu werden. So erzählt sie ihm aufgebracht, dass sie mit „einem Mörder“ zu Abend gegessen hat.

Ihre Dialoge werden teilweise überflüssig und nahezu lächerlich. Ein Beispiel hierfür ist ein im Drehbuch vorgesehener Gedankengang Franziskas:

„Ich sollte mir einen Mann suchen. Eine Rote hat doch Chancen“. Diese Passage kommentiert Andersch mit: „Viel zu direkt.“ Aus seiner Sicht fehlt es der Franziska im Film an Klasse. Im Gegensatz dazu wird sie im Drehbuch als impulsiv, mithin auch als dümmlich dargestellt. So kommentiert Andersch Käutners Regieanweisung „trinkt einen langen Zug [Whisky]“ mit:

„Nein, das tut sie natürlich nicht!“. 



Die Protagonisten:

Ruth Leuwerick als Franziska Lukas, Rossano Brazzi als Fabio,

Gert Fröbe als Kramer, Giorgio Albertazzi als Patrick O'Malley


Ein weiterer Punkt, der Anderschs Vorstellungen nicht entspricht, ist die frühe Einführung Fabios. Daraus entwickelt das Drehbuch ein Verhältnis zwischen Franziska und Fabio, das von Andersch so nicht vorgesehen war.

Die Dialoge zwischen den Figuren sind nicht mehr am Roman orientiert, da eigentlich nur am Ende und innerhalb des Schlusskapitels der Erstfassung überhaupt eine Interaktion zwischen ihnen stattfindet. Fabio zeigt Franziska „das Ende der Welt“, indem er sie zu einer vor Jahrhunderten entstandenen Weltkarte führt, die noch der Auffassung nach entstanden ist, dass die Welt eine Scheibe sei. Fabio wünscht sich, alleine mit Franziska dort am Rande der Welt zu stehen. Er wird hier als ihr Retter stilisiert. Es kommt außerdem zu einer körperlichen Annäherung zwischen den Figuren, die auch so von Andersch weder vorgesehen noch erwünscht war. Durch ihre frühe Begegnung stehen sich die Figuren so deutlich näher.


Es stellt sich jedoch die Frage, ob es dem Film nicht noch mehr geschadet hätte, Anderschs Vorstellungen umzusetzen. Hätte man tatsächlich zunächst nur Franziska verfolgt und die restlichen Charaktere erst später eingeführt, wäre der Film äußerst langatmig geworden. Auch die Interaktion zwischen Franziska und dem Iren Patrick wurde von Andersch kritisiert. Er kommentiert einen der Dialoge mit: „Warum kann man für die erste Begegnung Patrick/Franziska eigentlich nicht die Dialoge aus dem Roman verwenden? Sie sind genau gearbeitet und allgemein verständlich“.

 

Franziska und Fabio am "Ende der Welt"



Zuletzt stößt sich Andersch an von ihm nicht intendierten sexuellen Konnotationen. In einem Brief an Walter Koppel schreibt er: „Persönlich möchte ich dafür plädieren, die prekäre Bettszene Joachim/ Franziska gänzlich zu eliminieren; sie ist überdeutlich und im jetzigen Handlungsfluss nicht von zwingender dramatischer Notwendigkeit. Der Film ist einfach schöner, wenn das Verhältnis Joachim/ Franziska ein bisschen schwebend gelassen wird.“


Die Inszenierung Kramers ist als gelungen zu betrachten. Der Charakter wird zum ersten Mal innerhalb der Erzählung O’Malleys gezeigt. Er wird durch eine Glasscheibe abgebildet, sodass der Zuschauer keinen klaren Blick auf ihn erhält. Während dieser Einspielung ist für den Zuschauer die Erklärung O’Malleys zu hören, dass er noch nie etwas so paradoxes gesehen hätte: „Ein Gesicht, das hart wird, wenn es sich entspannt.“


Dem Zuschauer wird also von Beginn an die Gefahr versinnbildlicht, die von Kramer ausgeht. Auch als dieser das Lokal betritt und zum ersten Mal auf Franziska trifft, sieht man ihn zunächst durch eine Glasflasche, bevor die Kamera auf sein Gesicht schwenkt. Dies soll die Dramatik der Darstellung steigern. Auch das Ende des Films stellt eine neue Variante dar. Franziska flieht nach dem Mord an Kramer an den Bahnhof, wo sie sich wieder ein Ticket nach „irgendwohin“ kauft. Fabio trifft sie dort und redet mit ihr, sie wendet sich letztendlich jedoch von ihm ab, um in Richtung der Züge zu verschwinden. Es handelt sich hierbei um ein offenes Ende, das jedoch an das Schlusskapitel Anderschs angelehnt ist, da Franziska einen Zug nach Mestre nimmt.


Alles in allem findet der Autor seinen Roman nicht genug wiedergespiegelt und seinen Drehbuchentwurf nicht gewürdigt. Entrüstet mahnt Andersch gegenüber Käutner den angestrebten ideellen Mehrwert der Produktion an, wenn er schreibt, „dass mit diesem Projekt die deutsche Filmindustrie meines Wissens zum erstenmal an die Realisation eines Werkes der von der Kritik ernstgenommenen zeitgenössischen deutschen Literatur gegangen ist. Damit haben Sie, lieber Herr Käutner, eine Verantwortung gegenüber diesem Werk, gegenüber der Literatur, auf sich genommen.“


Venedig im Film

 

 

Trotz dieser Gegensätze wird die Filmproduktion an den Originalschauplätzen weitergetrieben; teilweise im Beisein des Autors.

Am 30.06.1962, im Rahmen der 12. Berlinale erfolgt die Uraufführung. Die Reaktionen der Kritiker sind überwiegend negativ. Der Filmkritiker Ulrich Gregor schreibt beispielsweise:

Mit Anderschs Unterstützung beschreite Käutner –„den konventionellen und grundfalschen Weg, die Handlung des Romans in ihren Grundzügen, wenn auch stark komprimiert und in einigen Punkten abgeändert, zu erhalten, und ihr eine ‚literarische‘ Qualität auf dem Umweg über das Wort mitzuteilen. So wird in diesem Film ununterbrochen monologisiert und dialogisiert – mit einem durchweg katastrophalen Ergebnis.“


Auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Aufführung distanziert sich Andersch öffentlich von der Produktion. Neben dem Autor nehmen Herbert Käutner, Produzent Walter Koppel, die Hauptdarstellerin Ruth Leuwerick und Giorgio Albertazzi, der den Patrick O’Malley spielt, daran teil. Als Andersch in die Redebeiträge Käutners mit einbezogen wird, erklärt er: „Ich finde es nicht richtig, dass von der ersten Antwort an der Versuch gemacht worden ist, den Eindruck eines absoluten monolithischen Blocks von Produktion, Regie und Autorschaft zu erwecken. Das ist nämlich einfach nicht wahr.“


Noch deutlicher wird Andersch in einem Brief, den er nach dem Debakel der Aufführung an seinen Freund, den italienischen Komponisten Luigi Nono, schreibt. Dort heißt es: „Eines der schrecklichsten Erlebnisse meines Lebens. Alles Kitsch, Kitsch, Kitsch! Käutner und die Dame Leuwerick haben alles kaputt gemacht. Ich hätte mich nie auf eine Zusammenarbeit mit diesen Leuten einlassen dürfen… Ein Jahr verloren!“


Helmut Käutner bewertete den Film dagegen sehr viel positiver. In einer Stellungnahme von 1972 betont er: „[Der Film] ist von der Machart und vom Sujet her besonders reizvoll und scheint mir gelungen. Ich habe nur ein paar riesige Fehler gemacht […] Einer der Fehler war, dass ich eine der besten deutschen Schauspielerinnen für diese Rolle genommen hatte, die bereits abgestempelt war, dass das Publikum sie in dieser Figur nicht sehen wollte.“



Sekundärliteratur:

Reinhardt, Stephan: Alfred Andersch. Eine Biographie. Zürich: Diogenes 1990.

 

Durzak, Manfred: Alfred Andersch und Helmut Käutner. Zur Verfilmung des Romans „Die Rote“. In: Alfred Andersch. Perspektiven zu Leben und Werk. Hrsg. von Irene Heidelberger und Volker Wehdeking. Opladen: Westdeutscher Verlag 1994. S. 188-200.