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Über die Sammlung

Bereits 1826 wurde nach Bonner Vorbild das "Akademische Kunstmuseum" gegründet, das dann 1835 in "Kunst-, Münzen- und Antikenkabinett" umbenannt wurde. Der Bestand der frühen Sammlung ist allerdings nahezu unbekannt, da sämtliche Archivunterlagen im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Neben der ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Münzsammlung vereinigte das dem ersten Bibliothekar Johann Valentin Adrian unterstellte Kabinett eine Abgußsammlung plastischer Werke und – bis heute erhalten – die Lippert’sche Daktyliothek. Seit ihrer Gründung wurde die Sammlung stetig erweitert: Neben Ankäufen von Originalen und Abgüssen aus Paris erfuhr die Sammlung auch Wachstum durch etliche Schenkungen. So erhielt das Archäologische Institut bspw. im Jahre 1835 Abgüsse aus der Sammlung Erbach.

Seit Ende des 19. Jh. lässt sich die Sammlung genauer erfassen. Bruno Sauer, der sich in 1892 in Gießen habilitierte und als eigentlicher Begründer der hiesigen Klassischen Archäologie gelten darf, hat sich intensiv um die damals vorhandene Sammlung gekümmert, so dass sie ihm schließlich 1897 unterstellt wurde und seit 1898 den Namen „Archäologisches Institut“ trug. Neben einer planmäßigen Erweiterung der Abguss-Sammlung, die seit dem Umzug ins sogenannte „Neue Kollegiengebäude“ 1879 immerhin auf knapp 300 m² untergebracht war, hat Sauer auch die Originalsammlung systematisch aufgebaut.

 

Zu den wenigen „lehrreichen Scherben“, die Sauer vorgefunden hatte, gesellten sich seit 1897 komplette Vasen und Terrakotten, die er im Kunsthandel erwarb. Stücke der alten Sammlungen Margaritis, von Leesen und Vogell kamen so nach Gießen. Außerdem bekam Sauer bedeutende Originale aus Griechenland über seinen Schwager, den Archäologen Paul Wolters, und durch Hugo Hepding, den späteren Gießener Universitätsdirektor, studierter Altphilologe und Mitarbeiter der deutschen Pergamon-Grabung.

Daneben erweiterten während Sauers Ordinariat zahlreiche Schenkungen die Sammlung (Troja-Dubletten aus der Sammlung Schliemann, Material aus Beni Hasan durch J. Garstang und aus Abusir durch die Deutsche Orient-Gesellschaft).Wie die Rekonstruktion der Sammlungsgeschichte in den letzten Jahren gezeigt hat, wurde ein Großteil des Vorkriegsbestand durch Bruno Sauer erworben. Unter seinem Nachfolger Carl Watzinger gelangte die bedeutende Sammlung etruskischer Votivterrakotten des Königsberger Anatomen Ludwig Stieda nach Gießen.

Nach dem ersten Weltkrieg ist die Sammlung lange Zeit nur noch sporadisch durch einzelne Scherben ergänzt worden, welche die Lehrstuhlinhaber von ihren Reisen mitbrachten. Unter Margarete Bieber ist vor allem die Gipsabguss-Sammlung erweitert und intensiv zu Lehr- und Forschungszwecken genutzt worden. Erst 1939 konnte Willy Zschieztschmann die Originalsammlung durch mehrere attisch-rotfigurige Vasen und eine bedeutende faliskische Spitzamphora erweitern.

Zschietzschmann ist es vor allem auch zu verdanken, dass die Originalsammlung durch umsichtige Verwahrung die heftigen Kriegszerstörungen Gießens nahezu unbeschädigt überstanden hat. Auch die Münzsammlung blieb, obgleich nicht ausgelagert, komplett erhalten. Nur die Abguß-Sammlung wurde am 6. Dezember 1944 nahezu vollständig zerstört.

In den Wirren der Nachkriegsjahre - das Institut selbst wurde erst 1964 als „Professur für Klassische Archäologie" wiedereröffnet - wurde die Sammlung allmählich zerstreut. Erst in den 70er Jahren konnten die Antiken durch Hans-Günther Buchholz und seinen damaligen Assistenten W. Hornbostel wieder gesammelt und durch F. W. von Hase in einem Inventar erfaßt werden. Buchholz hat dann auch erstmals zahlreiche der Gießener Antiken veröffentlicht und die Sammlung wieder, seinen Forschungsschwerpunkten gemäß, erweitert: Zahlreiche zyprische Antiken bereichern seitdem die Sammlung, daneben spätklassische Gefäße und Prähistorisches. Auch die Scherbensammlung ist unter Buchholz beträchtlich angewachsen.

Wolfram Martini, von 1985-2007 Inhaber der Professur und Leiter der Antikensammlung, hat erreicht, dass die Sammlung heute mit ihren bedeutendsten Stücken im sogenannten Wallenfels'schen Haus des Oberhessischen Museums Gießen öffentlich zugänglich ist. Seit 1987 ist die Originalsammlung, seit 1991 ein Teil der Münzsammlung als Leihgabe dort ausgestellt.

Zahlreiche Neuerwerbungen sind seither dazugekommen, vor allem etruskische, unteritalische und attische Vasen, aber auch anatolische Keramik und Siegelsteine, die – da die Antikensammlung über keinen eigenen Etat verfügt – mit Hilfe von Mäzenen oder als Schenkungen in die Sammlung kamen. Sie bezeugen die enge Verbundenheit der Gießener Öffentlichkeit mit der Antikensammlung der Justus Liebig-Universität. Seit 2006 finden in regelmäßigem Turnus Sonderausstellungen statt – in der Regel zwei pro Jahr.

Seit 2009 verfügt die Universität über eine Kustodie, die die Antikensammlung betreut und die Ausstellungen kuratiert. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei auch der Einbindung der Studierenden in die Vorbereitungen, so dass die Gießener Antikensammlung im umfangreichsten Sinne eine „Lehrsammlung" ist, in der neben Fachwissen auch praktische Museumserfahrung und Öffentlichkeitsarbeit vermittelt wird.

 

Da digitale Interaktionstechnologien seit einigen Jahren eine zentrale Rolle in der Wissensvermittlung im musealen Bereich spielen, setzt die Klassische Archäologie unter der Leitung von Prof. Dr. Katharina Lorenz seit 2018 verstärkt auf den Einsatz digitaler Techniken im Ausstellungswesen.

Von dieser innovativen und zukunftsorientierten Herangehensweise an die öffentliche Präsentation der universitären Lehrsammlung profitieren einerseits die Museumsbesucher*innen, die nun auch remote auf eine wachsende Zahl digitalisierter Sammlungsobjekte und interaktiv gestalteter Lernangebote der Antikensammlung zugreifen können, andererseits aber auch die Studierenden an der Professur für Klassische Archäologie:

Angeleitet von Kustodin Dr. Michaela Stark erwerben Studierende in Seminaren und Übungen nicht nur solides Wissen über die Präsentation von Exponaten im musealen Kontext, sondern auch vertiefte Fähigkeiten im Einsatz von digitalen Werkzeugen im Rahmen der Gestaltung interaktiver Besuchererlebnisse. Praxisnahes Lernen und die Anwendung digitaler Methoden statten die Studierenden so mit Kernkompetenzen aus, die für den späteren Berufseinstieg essentiell sind.

Literatur zur Sammlungsgeschichte

  • W. Zschietzschmann, Die Antikensammlungen der Universität. Gießener Hochschulblätter 5, 1957.2, 46-51
  • H.-G. Buchholz, Archäologische Sammlung. in: N. Werner (Hrsg.), 375 Jahre Universität Gießen 1607-1982 (1982) 294-297
  • M. Recke, Die Klassische Archäologie in Gießen. 100 Jahre Antikensammlung. Studia Giessenia 9 (2000)
  • M. Recke, Von Pergamon nach Gießen. Hugo Hepding, Bruno Sauer und das Archäologische Institut der Ludoviciana. Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen 87, 2002, 351-374
  • M. Recke, Vom Nil an die Lahn - die Ägyptiaca der Ludoviciana. in: Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 37, 2004, 31-39 (als PDF öffnen)
  • M. Recke, Kasseler Apoll und Dresdener Schauspielerrelief. Margarete Bieber und die Gießener Antikensammlung. Mitteilungen des Oberhessischen. Geschichtsvereins 92, 2007, 351-367
  • A. Klöckner, Fern Sehen. Antike Kulturen im Blick archäologischer Forschung in: Gießener Universitätsblätter 41/2008, S. 57-62 (als PDF öffnen)
  • M. Recke, 200 Jahre Archäologie in Gießen. Erster Lehrstuhl für "Griechische Literatur und Archäologie in Deutschland". Spiegel der Forschung 26.2, 2009, 68-77 (als PDF öffnen)
  • M. Recke, 200 Jahre Archäologie in Gießen, Teil 2: Die Zeit von 1909 bis heute, Spiegel der Forschung 27.1, 2010, 24-33 (als PDF öffnen)
  • K. Lorenz/C. Schmieder/M. Stark, Neue Wege für die Lehre. Seit 1880: Materialität und Körperlichkeit im Prozess des Verstehens, uniforum 35/1, 2022, 10 (als PDF öffnen)

Jährliche Berichte aus der Antikensammlung finden sich in den Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins.