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[Öffentliches Kolloquium] Wenn Kritik schlecht wird… Tribalismus und Antisemitismus als populäre Reste linker Gesellschaftstheorie

Organisiert vom Arbeitskreis Gastprofessur und Dennis Wutzke, Gastprofessor für Kritische Gesellschaftstheorie am Fachbereich 03.

Wann

13.04.2024 von 10:30 bis 20:00 (Europe/Berlin / UTC200)

Wo

Alte Universitätsbibliothek, Bismarckstraße 37, Raum 03

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Something is rotten - an den Attacken auf medialen »Mainstream«, Eliten und herrschende Wissenschaft, am Streit gegen den kapitalistischen »Westen«. Ein lautes Dagegen besetzt Bestsellerlisten und Onlinemedien, bestimmt private Dispute, spätestens seit der Pandemie. Kritik boomt. Doch irgendetwas an ihr scheint schlecht geworden, gerade in ihrem Erfolg.

Denn Begriffe und Sounds der großen sozialkritischen Traditionen schmücken nun schon länger ausgerechnet jene Bestseller, die besonders perfide gegen Virologinnen und deren »Staatswissenschaft« hetzen. Die eigenen kritischen Lieblingsautoren finden sich zitiert von Menschen, die Russland in antiimperialer Notwehr wähnen, das Entsetzen über die russische Aggression nach außen auch nur ein hegemonialer »Diskurs«, die Reportage über die mörderische Verfolgung jeder Opposition im Innern auch nur Teilhaber des imperialistischen »Narrativs«.

Und als nach den Massakern des 7.Oktober Juden und Jüdinnen auch hierzulande wieder bedroht, attackiert, vom Campus vertrieben wurden, da waren es ausgerechnet »kritische« Theorien, die die Rechtfertigungssprachen lieferten, um statt mit Empathie und Gegenwehr lieber mit geopolitischer Phraseologie zu reagieren. Der Antisemitismus ist der Fluchtpunkt, an dem die Linien schlechtwerdender Gesellschaftskritiken sich treffen - immer noch und immer wieder.

Autoritärem geistigen Verhalten ist das Vokabular mit antiautoritär kritischem Nimbus bestens zu Diensten. Was einmal Bewegung in betonierte Weltwahrnehmung bringen sollte, verpanzert nun » Position« und kräftiges Meinen. Nirgendwo sonst lässt sich das Geschriebene schon vor der Lektüre so gewiss vorhersagen wie bei erklärten Gegnern verengter Diskurskorridore. Narrativ, Diskurs, Mainstream, Positivismus, Kolonialismus, die Interessen »dahinter«: Ein eklektischer Sound sozialkritischer Allzuständigkeit ermöglicht die beschleunigte Deutungsproduktion in den wechselnden Krisen. Viele Kritiker des epidemiologischen R-Wertes konnten erstaunlich schnell umschulen auf Osteuropa- und Nahost-Expertise.

Was ist da passiert? Wie konnte Kritik oder ihr schlechter Rest so tauglich werden für die heutigen ideologischen und antisemitischen Nutzanwendungen? Das Kolloquium will mit sechs eher unabgeschlossenen Impulsen aus ganz unterschiedlichen Richtungen die ausführliche Diskussion darüber ermöglichen. Die Beiträge erkunden das Schlechtwerden von Kritik nicht zuvorderst als Problem eines jeweils anderen, konkurrierenden intellektuellen Lagers. Sie stellen Fragen auch an das eigene Lesen und Denken, an das eigene geistige Inventar.

Woher rührt die Attraktion der häufig manifest fehlschlüssigen Kritik am »Mainstream« mit ihrer Berufung auf die hohe kritische Klassik? Macht diese Attraktion Gefährdungen auch des eigenen Lesens, ja des kritischen Habitus kenntlich? Welche Funktion übernehmen die kritischen Traditionen aufmerksamkeitsökonomisch; warum harmonieren populäre Formate so glänzend mit der kritischen Phrase? Wie kommt es, dass das rebellisch Kritische heute meist epistemisch ansetzt, mit der Thematisierung von Wissen, seiner Produktion und Zirkulation? Und was verbindet die linken und die rechten epistemischen Rebellionen? Wann kippt Kritik in die bloße Darbietung von Signalen der Zugehörigkeit zu epistemischen Stämmen?

Womöglich bedarf es auch der Abständigkeit zur eigenen Gegenwart: Worin unterscheiden sich die jüngsten Gefährdungen kritischer Theorien von älterer Korrumpierbarkeit - von der in der Historie linker Intellektualität wiederkehrenden Rechtfertigung von Gewalt, Propaganda, Partei- und Gruppendisziplin? Hilft der Blick auf ideengeschichtliche Situationen, in denen KritischerWerden schon einmal ein AntisemitischerWerden bedeutete? Vor allem aber: Weshalb ist der Antisemitismus immer wieder der Fluchtpunkt des kritisch-manichäischen Dagegen?

Mehr als nur etwas ist faul im Staate der Kritik. Aber kein Ideenhimmel wird es richten, sondern allenfalls die Kritik der schlechten Kritik. Vielleicht beginnt sie im eigenen Kopf.

Gesamtes Programm als PDF

Anmeldung an: schlechtekritik
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