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Infinite Invisibilisierungsprozesse durch das theatrale Dispositiv am Beispiel der Sauberen Folter

 

Promotionsprojekt von Carola Hilbrand.
Erstbetreuer: Prof. Dr. Gerald Siegmund (ATW Gießen).
Zweitbetreuerin: Prof. Dr. Irmela Schneider (Köln).

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Kurzdarstellung des Promotionsprojekts
Das Promotionsprojekt geht der Vermutung nach, dass die Konstitution der vielfach diskutierten Unsichtbarkeit struktureller Gewalt in westlich-demokratischen Gesellschaften in Formen von Theatralität wurzelt. Als paradigmatisches Beispiel und Konzentrationspunkt der Arbeit wird das Phänomen der Sauberen Folter untersucht. Der Begriff bezeichnet Folterpraktiken in von Demokratien verwalteten und weitgehend unbekannten Gefangenenlagern, die am Körper keine Spuren hinterlassen und im Diskurs nicht existieren.

Angesichts der multidimensionalen Spurlosigkeit dieser Folter, die nicht gesehen, nicht gesagt und nicht gewusst werden kann, fragt das Projekt zunächst nach den (Un-)Möglichkeiten der Vermittlung Sauberer Folter. Dabei gerät die leiblich-körperliche Foltererfahrung in den Blick, die sich nicht am Medium des Körpers, sondern durch das Medium des Körpers vollzieht. Die Dissertation unternimmt hier Suchbewegungen nach einer Annäherung an das Trauma der Foltererfahrung, die sich nicht im ‚markierten’ Körper manifestiert, und betritt dabei den theaterwissenschaftlichen Pfad. Schließlich lebt die Sprache des Theaters aus einer Abwesenheit, die auf spezifische Weise präsent ist, aus einer anwesenden Abwesenheit, die sie fruchtbar macht und die etwas zeigt, auch wenn sie nichts zeigen kann. Im methodischen Dialog zwischen Folterhandbüchern und Zeugenaussagen erkennt dieser theaterwissenschaftliche Ansatz die spezifische Ausdrucksstärke der Sprache des Theaters als Begriffsinstrumentarium an. Begriffen wie Performance und Inszenierung werden für die Suche nach einer Sagbarkeit Sauberer Folter und ihrer mannigfaltigen Foltertechniken produktiv – ohne in die Uferlosigkeit des theatralen Dispositivs etwa in den Sozialwissenschaften zu gleiten. Vielmehr soll diesen Begriffen im Rahmen eines Konzepts (negativer) ‚analytischer Theatralität’ ihr originäres Gestaltungspotential zurückerstattet und zugleich eine Dimension von Theatralität eröffnet werden, die nicht Produktion, sondern Destruktion zum Inhalt hat.

Anschließend werden die Prozesse der Invisibilisierung auf der Diskursebene diskutiert, die massenmedialen, juridisch-politischen und auch akademischen Diskursszenarien, die sich um die Saubere Folter versammeln, sie dabei gleichsam einschließend ausschließen und auf struktureller Ebene unsichtbar werden lassen. Ferner wird – bislang unterrepräsentierten – visibilisierenden Diskursen ein interdisziplinärer Aufmerksamkeitsraum gewährt. Zu nennen sind hier etwa reinszenierenden Diskurse des Körpers in der Psychosomatik, Diskurse um primäre und sekundäre Zeugenschaft durch technische Medien oder künstlerische Diskurse, die kreative Wege der Vermittlung erproben. Es fällt auf, dass sich auch hier Theatermodelle finden lassen, die es in das Konzept analytischer Theatralität zu integrieren gilt.

In einem Ausblick kann die Saubere Folter schließlich als kulturelles Symptom gelesen werden. Die Dissertation fokussiert hier die Strukturmerkmale der Sauberen Folter und fragt nach strukturellen Wurzeln ihrer Ausdifferenzierung. Um Ergebnisse zutage zu fördern und diese zugleich zu untermauern, werden Annäherungen an weitere Phänomene vorgenommen, die ähnliche Strukturmerkmale wie die Saubere Folter aufweisen. Die Arbeit ist somit auf eine Struktur hin angelegt, die sich durch die ‚nahe’ phänomenologische Betrachtung, Diskursanalyse und symptomatische Abstraktion vom Phänomen hin zu dessen Einbettung in kulturelle und gesellschaftliche Kontexte bewegt.


Kurzbiographie von Carola Hilbrand (Jg. 1986)
Forschung:
Seit 04/2012 EDV-Koordinatorin am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) in Gießen

Seit 10/2011 Stipendiatin am GCSC; Promotion am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft bei Prof. Dr. Gerald Siegmund

2006-2011 Studium der Medienwissenschaften (Medienkulturwissenschaft,
Medienrecht, Philosophie), Abschluss: Diplom

Sonstiges:
Seit 02/2011 Gründung und Leitung des Doktoranden-Netzwerks „Medien|Projekt“ sowie den Doktoranden-Ringvorlesungen vom SoSe 2011 bis SoSe 2013 an der Universität zu Köln

Seit 2005 Freie Journalistin