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Symposium 1.5: Neue Herausforderungen und Perspektiven der Sozialepi-demiologie

 

Raum: 201

Vorsitz:

Irene Moor

Jens Hoebel

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14:45 Uhr: Nico Vonneilich: Ein intersektionaler Ansatz zur Beschreibung depressiver Risiken in Deutschland – Analysen auf Basis der NAKO Gesundheitsstudie

 

15:05 Uhr: Niels Michalski: Der German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD) – Ein Tool zur Verkleinerung „blinder Flecken“ der Sozialepidemiologie in Deutschland?

 

15:25 Uhr: Anja Knöchelmann: Akkumulations- oder Anpassungs-effekte bei einer längerfristigen Belastung durch materielle und psychosoziale Faktoren. Untersuchung von Einkommensunterschieden mit Daten des SOEP.

 

15:45 Uhr: Ibrahim Demirer: Difference-in-Difference Erweiterung der mediational g-Formula zur Ermittlung der Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf bereits bestehende Prozesse gesundheitlicher Ungleichheiten

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Ein intersektionaler Ansatz zur Beschreibung depressiver Risiken in Deutschland – Analysen auf Basis der NAKO Gesundheitsstudie

Vonneilich N 1, Lüdecke D 2, von dem Knesebeck O 1

 

1 Institut für Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf UKE, Hamburg

2 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg

 

Hintergrund: Zunehmend stärker wird der Ruf nach intersektionaler theoretischer Verortung und entsprechenden Analysestrategien in der sozialepidemiologischen Forschung. Bisherige Analysen zu Ungleichheiten bei Depressionen haben bisher insbesondere die singulären Effekte von Ungleichheitsdimensionen analysiert, ohne deren Interaktionen und Zusammenhänge zu berücksichtigen. Welche Intersektionen sind in Bezug auf depressive Risiken besonders bedeutsam und welche Statusmerkmale zeigen sich für depressive Risiken als besonders bedeutsam?

Methoden: Die Analysen basieren auf den Daten der Basiserhebung der NAKO Gesundheitsstudie (N=204.878). Dabei wurden Migrationshintergrund (eigenes Geburtsland und Staatsangehörigkeit; Geburtsland der Eltern), Alter, Geschlecht und Bildung (Klassifikation nach ISCED-97) als Ungleichheitsindikatoren verwendet. Depression wurde erfasst auf Basis des PHQ-9 und als bivariates Outcome in die Analysen aufgenommen (PHQ-9 score >10 = depressive Symptome). Zur Analyse der Intersektionen wurde ein MAHIDA Modell (multilevel analysis of individual heterogeneity and discriminatory accuracy) berechnet. Dieses Modell ermöglicht gleichermaßen Unterschiede zwischen den Intersektionen, deren Zusammenhang mit depressiver Symptomatik und die Bedeutung einzelner Intersektionsmerkmale zu untersuchen.

Ergebnisse: Überdurchschnittliche Risiken für Depressionen zeigen sich häufiger für Frauen, häufiger für untere Bildungsgruppen und für Migrant:innen der ersten Generation. Die vulnerabelste Gruppe sind Migrantinnen der ersten Generation mit geringer Bildung. In der Mehrebenenanalyse zeigt sich, dass Bildung am stärksten zur Erklärung der Ungleichheiten beiträgt, während die Erklärungsbeiträge von Geschlecht und Migrationshintergrund vergleichbar sind.

Diskussion: Hinter dem sozialen Gradienten, gemessen anhand singulärer Ungleichheitsmerkmale, verbergen sich differenzierte Risikomuster, die durch eine intersektionale Perspektive sichtbar werden. Ebenfalls kann eine Wertigkeit der Ungleichheitsindikatoren herausgearbeitet werden. Für eine Interaktion im Sinne eines multplikativen Anstiegs von Risiken bei gleichzeitigem Vorliegen mehrerer Ungleichheitsdimensionen finden sich jedoch keine Hinweise. Auf Basis dieser Arbeiten möchten wir zur theoretischen und empirischen Diskussion von intersektionalen Ansätzen beitragen.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

 

Der German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD) – Ein Tool zur Verkleinerung „blinder Flecken“ der Sozialepidemiologie in Deutschland?

Michalski N 1, Tetzlaff F 1, Hoffmann S 2, 3, Spallek J 2, 3, Hoebel J 1

 

1 Fachgebiet soziale Determinanten der Gesundheit, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin

2 Fachgebiet Gesundheitswissenschaften, Brandenburgische TU Cottbus-Senftenberg, Senftenberg

3 Lausitzer Zentrum für Digital Public Health, Brandenburgische TU Cottbus-Senftenberg, Senftenberg

 

Hintergrund: Die Sozialepidemiologie in Deutschland konnte in den letzten Jahrzehnten in wichtigen Fragen zur internationalen Forschung aufschließen. Dennoch bestehen hierzulande im Vergleich zu vielen anderen Ländern weiterhin einige Datenlücken und „blinde Flecken“, z.B. hinsichtlich sozialer Unterschiede in der ursachenspezifischen Mortalität oder dem Zusammenspiel von individuellen und sozialräumlichen Einflüssen auf Gesundheit. Diese hängen u.a. mit fehlenden Verknüpfungsmöglichkeiten von Gesundheits- und Sozialdaten auf Individual- und Raumebene zusammen. Der German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD) des Robert Koch-Instituts stellt ein Maß zur Verfügung, mit dem ein Beitrag zur Bearbeitung dieser Fragen geleistet werden kann.

Methoden: Anhand von Anwendungsbeispielen werden Analysepotentiale des GISD für die Sozialepidemiologie in Deutschland aufgezeigt. Dafür wird der GISD mit Daten 1) der amtlichen Statistik (z.B. Todesursachenstatistik), 2) der Schuleingangsuntersuchung sowie 3) der Studie Corona-Monitoring bundesweit (RKI-SOEP-2) auf kleinräumiger Ebene verknüpft. Zur Anwendung kommen epidemiologische Methoden wie die Berechnung altersstandardisierter Raten und relativer Risiken, u.a. mittels (Mehrebenen-)Regressionsmodellen.

Ergebnisse: 1) Für nahezu alle häufigen Todesursachen zeigt der GISD regionale sozioökonomische Gradienten in der Mortalität. Bei Krebserkrankungen beispielsweise weisen Frauen und Männer, die in sozioökonomisch hoch deprivierten Kreisen leben, eine bis zu dreimal höhere Lungenkrebssterblichkeit auf als jene in wohlhabenden Kreisen. 2) Hinsichtlich des allgemeinen Entwicklungsstandes von Kindern bei der Schuleingangsuntersuchung werden bei Kindern aus höher deprivierten Gemeinden häufiger Entwicklungsverzögerungen festgestellt, selbst nach Kontrolle für den familiären sozioökonomischen Status. 3) Die niedrigste COVID-19-Impfquote zeigte sich unabhängig von der regionalen sozioökonomischen Deprivation bei Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen. Stratifiziert nach GISD-Quintilen wird ersichtlich sich, dass diese Bildungsunterschiede in der Impfquote mit steigender sozioökonomischer Deprivation der Wohnregion zunehmen.

Diskussion: Der GISD bietet für die sozialepidemiologische Forschung ein breites Analysepotenzial. Insbesondere bei der Analyse gesundheitlicher Ungleichheit kann er für verschiedene Gesundheitsoutcomes und Lebensphasen zur Erschließung bislang ungenutzter Routinedatenquellen (z.B. Todesursachenstatistik) sowie Ergänzung von Routine- und Primärdaten dienen, um „blinde Flecke“ der Sozialepidemiologie in Deutschland zu verringern.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

Akkumulations- oder Anpassungseffekte bei einer längerfristigen Belastung durch materielle und psychosoziale Faktoren. Untersuchung von Einkommensunterschieden mit Daten des SOEP.

Knöchelmann A 1, Rähse T 2, 1, Richter M 3, 1

 

1 Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften, Institut für Medizinische Soziologie, Halle/ Saale

2 Gesundheitsforen Leipzig, Leipzig

3 Technische Universität München, Lehrstuhl für soziale Determinanten der Gesundheit, München

 

Hintergrund: Materielle und psychosoziale Faktoren haben sich als bedeutsam für die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten herausgestellt, wobei die Erkenntnisse hauptsächlich auf Querschnittstudien beruhen. Vereinzelte längsschnittliche Untersuchungen zeigten, dass materielle Faktoren an Bedeutung verlieren, wenn sie wiederholt berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist unklar, inwiefern eine kontinuierliche Exposition gegenüber benachteiligenden Umständen mit Gesundheit assoziiert ist. Zusammenhänge können sich zum einen im Sinne einer Akkumulation von negativen Erfahrungen darstellen, zum anderen könnte eine Anpassung an nachteilige Gegebenheiten erfolgen. Zudem ist offen, inwiefern diese Prozesse in unterschiedlichen sozioökonomischen Gruppen variieren. Das Ziel dieser Studie ist daher die Untersuchung des Einflusses der kontinuierlichen Exposition gegenüber materiellen und psychosozialen Faktoren auf Gesundheit in verschiedenen Einkommensgruppen.

Methoden: Die Analysen basieren auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels (1994-2017) und schließen Teilnehmende ein, für die wenigstens zwei Beobachtungen vorlagen (Alter: 18-75). Das finale Sample besteht aus 266.255 und 236.787 Beobachtungen von 31.961 Frauen und 29.149 Männern. Selbstberichtete Gesundheit diente als Outcome. Als materielle Faktoren wurden Schuldenbelastung, Wohnqualität und Wohnsituation einbezogen. Ökonomische Unsicherheit und materielles Wohlergehen gingen als psychosoziale Faktoren in die Analysen ein. Zur Berechnung des Zusammenhangs wurden Fixed-Effects Regressionen gerechnet, stratifiziert nach Einkommensgruppen.

Ergebnisse: Für den Großteil der untersuchten Faktoren ließen sich negative Auswirkungen auf die Gesundheit im Sinne der Akkumulationsthese finden. Dies zeigte sich bei psychosozialen und materiellen Faktoren, vor allem aber bei finanziellen Sorgen, Einkommenszufriedenheit und Wohnsituation. Dieser Zusammenhang wurde für alle Einkommensgruppen gefunden, war bei Personen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen jedoch besonders ausgeprägt.

Diskussion: Sowohl materielle als auch psychosoziale Faktoren waren bei kontinuierlichem Einbezug bedeutsam für Gesundheit und scheinen dabei einen Beitrag zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit zu leisten. Weiterführende Forschung sollte eine Kombination dieser Faktoren in den Blick nehmen sowie eine mögliche Aufsummierung über den Lebenslauf. Zudem wären Untersuchungen wünschenswert, inwiefern die andauernde Exposition gegenüber materiellen und psychosozialen Faktoren eine Erklärung für gesundheitliche Unterschiede im Alter liefern kann.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

Difference-in-Difference Erweiterung der mediational g-Formula zur Ermittlung der Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf bereits bestehende Prozesse gesundheitlicher Ungleichheiten

Demirer I 1, Ansmann L 1, Pförtner TK 2

 

1 Lehrstuhl für Medizinsoziologie, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, Universität zu Köln, Köln

2 Arbeitsbereich Forschungsmethoden, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Köln

 

Hintergrund: Die Prozesse, mit denen sich gesundheitliche Ungleichheiten über die Zeit manifestieren, verlaufen über eine Vielzahl von Mechanismen. So können bspw. sozioökonomische Unterschiede in der mentalen Gesundheit über ökonomische Sorgen vermittelt sein. Solche Prozesse sind zeitveränderlich und sensitiv gegenüber Ereignissen wie der Covid-19 Pandemie. In diesem Kontext wird die Covid-19 Pandemie häufig als Akzelerator bereits bestehender Prozesse beschrieben. Die Methodiken zur Untersuchung solcher Aussagen stellt die Sozialepidemiologie jedoch vor große Herausforderungen. Zum einen benötigt es Methoden zur adäquaten Identifikation und Quantifikation der Mechanismen gesundheitlicher Ungleichheiten, zum anderen eine Differenzierung dieser Prozesse entlang der zeitlichen Ereignisse.

Methoden: In dem Beitrag wird gezeigt, wie Verfahren der zeitveränderlichen Mediations- und Interaktionsanalysen (mediational g-Formula) unter Rückgriff auf quasi-experimentelle Methoden (Difference-in-Difference: DiD) erweitert - und angewendet werden können. Als Beispiel dienen die Längsschnittdaten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) und des Deutschen Alterssurvey (DEAS). Dabei werden Herausforderungen, Anwendung und Interpretation der Methoden aufgezeigt. Eine besondere Berücksichtigung erfahren die Herausforderungen der zeitveränderlichen (Selbst-)Selektion, der quasi-experimentellen Zuweisung und der kausalen Interpretation.

Ergebnisse: Der Beitrag zeigt auf:

(1) Die längsschnittliche Identifikation von Prozessen auf die Entstehung gesundheitlicher Ungleichheiten.
(2) Die Identifikation der direkten, indirekten und interagierenden Folgen von Ereignissen, wie die Covid-19 Pandemie, auf bereits bestehende Prozesse gesundheitlicher Ungleichheit.

Diskussion: Die Erweiterung der mediational g-Formula um das DiD-Verfahren ermöglicht der Sozialepidemiologie eine adäquate Berücksichtigung zeitveränderlicher Prozesse gesundheitlicher Ungleichheit und erlaubt so Aussagen zum Timing des Nutzens einer Public-Health Intervention zu tätigen. Ermöglicht werden die Beantwortung von Fragen wie: Wäre eine Intervention auf ökonomische Sorgen zur Reduktion der sozioökonomischen Unterschiede mentaler Gesundheit vor oder während der Covid-19 Pandemie von größerem Nutzen?

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.