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Symposium 2.2: Sekundärquellen für die Versorgungsforschung nutzen – Chancen und Herausforderungen

 

Raum: 304

Vorsitz:

Matthias Nübling

Daniel Lüdecke

Mirjam Körner

Katja Götz

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16:45 Uhr: Jelena Epping: Mehr Einkommen = mehr gesunde Jahre? Analyse der Einkommensungleichheit bei den erwarteten Lebensjahren ohne kardiovaskuläre Erkrankungen mit Routinedaten der AOK Niedersachsen im Zeitraum 2005-2019

 

17:05 Uhr: Daniel Schindel: Wohnungslose Menschen im Krankenhaus: Sekundärdatenanalysen zur Bestimmung von Diagnoseprofilen und Einflussfaktoren auf den Weiterbehandlungsbedarf

 

17:25 Uhr: Simon Götz: Routinedaten der Deutschen Rentenversicherung in der Versorgungsforschung – Chancen und Herausforderung

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Mehr Einkommen = mehr gesunde Jahre? Analyse der Einkommensungleichheit bei den erwarteten Lebensjahren ohne kardiovaskuläre Erkrankungen mit Routinedaten der AOK Niedersachsen im Zeitraum 2005-2019

Epping J 1, Tetzlaff J 1

 

1 Medizinische Hochschule Hannover, Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, Hannover

Hintergrund

 

Hintergrund: Die These der Morbiditätskompression besagt, dass Verbesserungen der Lebensbedingungen, Präventionserfolge und ein gesunder Lebensstil im Zeitverlauf zur Ausweitung der gesunden Lebensjahre und zur Verkürzung der Zeit in Krankheit führen [1]. Um diese These zu untersuchen, braucht es Längsschnittdaten wie z.B. Krankenkassendaten. Für Herzinfarkt und Schlaganfall konnte die Morbiditätskompression mit einer solchen Datenbasis bereits bestätigt werden [2,3]. Für chronische kardiovaskuläre Erkrankungen liegen noch keine Ergebnisse vor. Bisher wurden demographische Methoden wie die Berechnung von erwarteten Lebensjahren frei von Erkrankungen (Health Expectancies) nur selten für die Analyse der gesundheitlichen Ungleichheiten verwendet [4-6]. Im dieser Studie wird am Beispiel von kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) die Anzahl der CVD-freien Jahre in Abhängigkeit von der Einkommensgruppe im Zeitverlauf analysiert.

Methoden: Die Datengrundlage bilden die Routinedaten der AOK Niedersachsen (N= 3‘626‘389) für den Zeitraum 2005-2019. Für die Definition der CVD wurden ambulante und stationäre Diagnosedaten verwendet. Die Health Expectancies werden altersspezifisch und nach Geschlecht und Einkommensgruppe stratifiziert berechnet und bilden die erwarteten Lebensjahre vor dem Eintritt von CVD ab. Um den Zeittrend zu untersuchen, wurden drei Perioden definiert: 2006-08, 2011-13 und 2016-18.

Ergebnisse: Die vorläufigen Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede in der Inzidenz von CVD im Zeitverlauf zu Ungunsten von Personen mit geringem Einkommen. Altersstandardisiert zeigen Männer außerdem deutlich höhere Inzidenzraten (z.B. 412 Fälle pro 10 000 Personenjahre in 2006-08) im Vergleich zu Frauen (279 Fälle). Im Zeitverlauf verringern sich die Inzidenzraten bei allen Einkommensgruppen; dabei sind die Reduktionen bei Personen mit geringem Einkommen deutlicher ausgeprägt.

Diskussion: Die Verringerung der gesundheitlichen Unterschiede in Bezug auf die Inzidenz von CVD ist ein positives Signal. Die Analyse der CVD-freien Lebensjahre muss jedoch auch die Unterschiede in der Lebenserwartung nach Einkommen berücksichtigen [7]. Die Annäherung zwischen den Einkommensgruppen sollte außerdem auch im Hinblick auf den Anteil der gesunden Jahre an der gesamten Lebenserwartung beurteilt werden.

 

Referenzen:

[1] Fries JF. The compression of morbidity. World Health Forum. 1985;6:47-51.

[2] Geyer S, Eberhard S, Schmidt BM, Epping J, Tetzlaff J. Morbidity compression in myocardial infarction 2006 to 2015 in terms of changing rates and age at occurrence. A longitudinal study using claims data from Germany. PLoS ONE. 2018;13 (8):e0202631.

[3] Bachus L, Eberhard S, Weißenborn K, Muschik D, Epping J, Geyer S. Morbiditätskompression bei Schlaganfall? Langzeitanalysen zur Veränderung des Auftretens von Schlaganfall [Morbidity compression and stroke? Longitudinal analyses on changes in the incidence of stroke]. Das Gesundheitswesen. 2017;81(04):351-60.

[4] Tetzlaff J, Geyer S, Tetzlaff F, Epping J. Income inequalities in stroke incidence and mortality: Trends in stroke-free and stroke-affected life years based on German health insurance data. Plos One. 2020;15(1).

[5] Tetzlaff J, Geyer S, Westhoff-Bleck M, Sperlich S, Epping J, Tetzlaff F. Social inequalities in mild and severe myocardial infarction: how large is the gap in health expectancies? Bmc Public Health. 2021;21(1).

[6] Tetzlaff F, Epping J, Tetzlaff J, Golpon H, Geyer S. Socioeconomic inequalities in lung cancer - a time trend analysis with German health insurance data. Bmc Public Health. 2021;21(1).

[7] Tetzlaff F, Epping J, Sperlich S, Tetzlaff J. Widening income inequalities in life expectancy? Analysing time trends based on German health insurance data. Journal of Epidemiology and Community Health. 2020;74(7):592-7.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte: Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum: Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

Wohnungslose Menschen im Krankenhaus: Sekundärdatenanalysen zur Bestimmung von Diagnoseprofilen und Einflussfaktoren auf den Weiterbehandlungsbedarf

Schindel D 1, Karpenko R 1, Schenk L 1

 

1 Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin

 

Hintergrund: Die Zahl wohnungsloser Menschen in Deutschland steigt. Häufig nehmen diese infolge von Beitragsschulden, fehlender Krankenversicherung, Scham oder Diskriminierungserfahrungen medizinische Hilfen verspätet und außerhalb der gesetzlichen Regelversorgung in Anspruch [1,2]. Medizinische Notfälle, schwere resp. chronische Erkrankungen oder auch eine adäquate Weiterbehandlung nach einem Krankenhausaufenthalt können von diesen niedrigschwelligen Versorgungsstrukturen jedoch nicht ausreichend gedeckt werden [3,4]. Wenig ist bisher zu den Versorgungsbedarfen dieser vulnerablen Gruppe, zu ihren Krankenhausaufenthalten und Weiterbehandlungsbedarfen nach Krankenhausentlassung bekannt.

Methode: Datengrundlage bilden die in einer niedrigschwelligen Versorgungeinrichtung für wohnungslose Menschen in Berlin-Mitte retrospektiv aus Patient:innenakten und Krankenhausentlassungsdokumenten erhobenen Informationen. Eingeschlossen wurden Patient:innenakten der Jahre 2006 bis 2020. Mittels Latenter Klassenanalyse (LCA) werden Diagnoseprofile der Krankenhausversorgung exploriert und den Nutzer:innen ihr wahrscheinlichstes Profil zugewiesen [5]. Nach einer deskriptiven Beschreibung der Profile, werden mithilfe von Regressionsmodellen Assoziationen von Diagnoseprofilen und Weiterbehandlungsbedarfen nach der Entlassung identifiziert.

Ergebnisse: Datengrundlage bilden n=3.338 Akten von Patient:innen, davon waren 21,6% Frauen. 522 Akten enthielten insgesamt n=808 Krankenhausentlassungsdokumente. Knapp 78% der Patient:innen erhielten bei Entlassung eine Empfehlung zur ambulanten oder stationären Weiterbehandlung. Ergebnisse weiterführender Analysen zu Diagnoseprofilen und Weiterbehandlungsempfehlungen sowie assoziierten soziodemographischen Faktoren liegen zum Kongress vor.

Diskussion: Wohnungslose Menschen sind in der Versorgungsforschung stark unterrepräsentiert. In etablierten Sekundärdatenquellen sind sie schwer identifizierbar oder aufgrund ihrer Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen außerhalb der Regelversorgung nicht abgebildet. Die vorliegenden Daten helfen diese Patient:innengruppe sichtbar zu machen und deren akute und post-akute Versorgungsbedarfe zu rekonstruieren. Für die Untersuchung schwer erreichbarer Patient:innengruppen haben diese, mit vergleichsweise hohem Erhebungsaufwand gewonnen, Sekundärdaten daher einen hohen Wert.

 

Referenzen:

[1] Kaduszkiewicz H, Bochon B, van den Bussche H, Hansmann-Wiest J, van der Leeden C. [The Medical Treatment of Homeless People]. Dtsch Arztebl International. 2017;114(40):673-9.

[2] Aldridge RW, Menezes D, Lewer D, Cornes M, Evans H, Blackburn RM, et al. Causes of death among homeless people:
a population-based cross-sectional study of linked hospitalisation and mortality data in England. Wellcome Open Res. 2019;4:49-.

[3] Schindel D, Kleyer C, Schenk L. [Somatic diseases of homeless people in Germany. A narrative literature review for the years
2009-2019]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2020;63(10):1189-202.

[4] Ku BS, Fields JM, Santana A, Wasserman D, Borman L, Scott KC. The Urban Homeless: Super-users of the Emergency Department. Population Health Management. 2014;17(6):366-71.

[5] Subedi K, Acharya B, Ghimire S. Factors Associated With Hospital Readmission Among Patients Experiencing Homelessness. American Journal of Preventive Medicine. 2022.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Routinedaten der Deutschen Rentenversicherung in der Versorgungsforschung – Chancen und Herausforderungen

Götz S 1, Dragano N 1, Wahrendorf M 1

 

1 Institut für Medizinische Soziologie, Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Düsseldorf

 

Hintergrund: Die medizinische Rehabilitation spielt eine zentrale Rolle bei der Versorgung und Wiedereingliederung erkrankter Arbeitnehmer/innen in den Arbeitsmarkt. Routinedaten der Deutschen Rentenversicherung können Aufschluss darüber geben, wer Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nimmt, wer davon profitiert und wie sich Unterschiede in der Art der Behandlung auswirken.

Methoden: Der für die Analysen verwendete Scientific Use File "Abgeschlossene Rehabilitationen im Versicherungsverlauf 2006-2013" enthält Informationen zu einer 20%-Stichprobe aller von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) finanzierten medizinischen Rehabilitationen. Sie stammen aus Meldungen der Arbeitgeber an die Rentenversicherung sowie aus Verwaltungsdaten zu Beiträgen und Leistungen wie Rentenzahlungen oder Rehabilitationsleistungen. Die sozioökonomische Position (SEP) wurde anhand von drei Indikatoren gemessen: Bildung, Einkommen und beruflicher Status. Die Art der Behandlung wurde anhand der Merkmale ambulant/stationär, Anschlussheilbehandlung (AHB) und stufenweise Wiedereingliederung unterschieden. Als Outcome wurden verschiedene Indikatoren der Erwerbsfähigkeit im Zeitraum unmittelbar nach der Rehabilitation bis zu 7 Jahre nach der Maßnahme ausgewertet.

Ergebnisse: Die Daten ermöglichen Beobachtungen sehr großen Fallzahlen über einen langen Zeitraum ohne aufwendige Befragungen durchführen zu müssen. Da die Daten ursprünglich zu Abrechnungszwecken erhoben wurden kann ein Recall-Bias ausgeschlossen werden. Allerdings liegen nur wenige Daten über den Versorgungsprozess sowie zur Gesundheit und keine Informationen über z.B. Gesundheitsverhalten, zur Partnerschaft und zur Haushaltsgröße vor. Zudem besteht die Gefahr von Selektionseffekten, beispielsweise bei der Analyse von Unterschieden in der Ergebnisqualität nach Art der Behandlung.

Inhaltlich zeigen die Analysen soziale Unterschiede in der Inanspruchnahme einer Rehabilitation und in der Erwerbsfähigkeit nach einer medizinischen Rehabilitation. Beschäftigten mit niedriger SEP gelingt seltener die Rückkehr ins Erwerbsleben. Diese sozialen Unterschiede in der Erwerbsfähigkeit fallen bei einer aktiven strukturierenden Rolle des Versorgungssystems geringer aus.

Diskussion: Routinedaten der DRV ermöglichen eine kosteneffiziente Bearbeitung von Fragestellungen der Versorgungsforschung. Vorteile sind die hohen Fallzahlen, der Längsschnittcharakter und die hohe Datenqualität. Allerdings bestehen Limitationen bezüglich der verfügbaren Informationen. Die Daten können dazu beitragen, die rehabilitative Versorgung zielgruppengerecht weiterzuentwickeln.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.