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Symposium 4.4: Psychobiologie und Neurowissenschaften

 

Raum: 309

Vorsitz:

Jochen Kaiser

Josef Unterrainer

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15:00 Uhr: Bernhard Sabel: Plastizität des Gehirns: eine 40-jährige Reise zur beweglichen Raum-Zeit des Denkens

 

15:30 Uhr: Veronika Engert: Empathic stress: state of the art and future directions

 

15:45 Uhr: Maren Schmidt-Kassow: Chronischer Stress und Emotionserkennung in der Stimme

               

16:00 Uhr: Adriane Icenhour: Lerntheoretische Perspektiven auf Interozeption und Viszeralschmerz – von neurobiologischen Mechanismen zu klinischen Implikationen für Störungen der Darm-Hirn Interaktion

 

16:15 Uhr: Sigrid Elsenbruch: Vom Bauchgefühl zum chronischen Viszeralschmerz: Mechanismen und klinische Relevanz der Darm-Hirn-Achse

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Plastizität des Gehirns: eine 40-jährige Reise zur beweglichen Raum-Zeit des Denkens

Sabel B 1

 

1 Institut für Medizinische Psychologie, Otto-v.-Guericke Universität Magdeburg, Magdeburg

 

Bewegte Zeiten erfordern bewegtes, flexibles Denken. Dies ermöglicht unser Gehirn, welches über elektrophysiologische Nervenimpulse unser Erleben und Verhalten steuert. Die Frage ist, wie schnell und wie flexible die weitreichenden, neuronalen Netzwerke der Informationsverarbeitung des Gehirns sind, um auf Anforderungen der Umwelt rasch und adaptiv zu reagieren.

Seit 40 Jahren habe ich am Beispiel des Sehsystems die Plastizität des Gehirns untersucht um so zu verstehen, wie gut sich das Gehirn auf geänderte Bedingungen einstellen kann [1-6]. Die Forschung mit gesunden Probanden und Patienten mit Schädigungen des Sehsystems nach Schädelhirn-Trauma oder Glaukom („grüner Star“) zeigt, dass trotz (unveränderlicher) „anatomischer“ Netzwerke neuronaler Verbindungen das „funktionelle“ Netzwerk hingegen hochgradig flexibel ist. So wie auch der Informationsfluß im Internet über (stabile) Glasfasernetze läuft, sich aber der Weg der „bits“ und „bytes“ ständig je nach Anforderung bzw Auslastung ändern kann, so kann auch das funktionelle Netzwerk des Gehirns sich innerhalb weniger Millisekunden umorganisieren, je nach Anforderung.

Diese schnelle, neuronale Reorganisation ist nicht nur für normales Sehen essentiell, sondern sie ist auch die Basis der Erholung der Sehleistung bei Menschen mit Sehbehinderungen. Wird diese Netzwerk-Reorganisation etwa durch Training oder Neuromodulation angeregt, so kann sich auch die angeblich „für immer“ verlorene Sehleistung wieder erstaunlich gut erholen, was durch die Verbesserung der räumlich-zeitlichen Dimensionen neuronaler Verarbeitung erklärt werden kann. Diese hängt wiederum von zwei wesentlichen Einflußgrößen ab, die psychosomatischer Nature sind: Durchblutung (vaskuläre Regulation) der Mikrozirkulation und mentaler Stress. So wie bei Einstein´s Relativitätstheorie der Raum des Universums mit der Zeit untrennbar verbunden sind, so ist auch die „Raumzeit“ neuronaler Verarbeitung im Gehirn das Fundament menschlichen Denkens und Handelns. Die „Raumzeit“ neuronaler Netzwerkdynamik bestimmt so auch, wie gut sich unser Gehirn auf Veränderungen in bewegten Zeit einstellen kann.

 

Referenzen:

[1] Kasten E, Wüst S, Behrens-Baumann, Sabel BA. Computer-based training for the treatment of partial blindness. Nature med 1998; 4: 1083-1087.

[2] Bola M, Gall C, Moewes C, Fedorov A, Hinrichs H, Sabel BA. Brain functional connectivity network breakdown and restoration in blindness. Neurology 2014; 83 (6): 542-551

[3] Sabel BA, Gudlin. Vision Restoration Training for Glaucoma. A randomized Clinical Trial. JAMA Ophthalmology 2014; 132: 381-389

[4] Wu Z, Xu J, Nürnberger A, Sabel BA. Global brain network modularity dynamics after local optic nerve damage following noninvasive brain stimulation: an EEG-tracking study.  Cereb Cortex. 2022 Oct 5:bhac375. doi: 10.1093/cercor/bhac375

[5] Gall C, Schmidt S, Schittkowski MP, Antal A, Ambrus GG, Paulus W et al. Alternating current stimulation for vision restoration after optic nerve damage: a randomized clinical trial. PLoS One 2016; 11: e0156134.

[6] Wu Z, Sabel BA Spacetime in the brain: rapid brain network reorganization in visual processing and recovery. Scientific Reports 2021; 11:17940

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass bei den Autoren folgende Interessenskonflikte bestehen:

Anteilseigner der SAVIR GmbH

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

Empathic stress: state of the art and future directions

Engert V 1

 

1 Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie, Jena

 

Hintergrund: Prolonged stress exposure and associated activation of the sympathetic nervous system and hypothalamic-pituitary-adrenal axis can have detrimental effects on emotional and physical health. In addition to the stressors we are exposed to directly, empathic stress can be elicited by the passive sharing of other individuals’ firsthand stress experiences.

Methoden: Over the past years, we have examined such empathic stress in different populations, ranging from strangers, to romantic partners to mother-child dyads, both in standardized laboratory paradigms and in every-day life, assessing stress on the levels of self-report, sympathetic, parasympathetic and HPA axis activation.

Ergebnisse: We find empathic stress resonance with the emotional and physiological activation of the stressed target in all observers, independent of emotional closeness of the dyad or the age of the observer. In children, executive function was impaired by both acute and chronic empathic stress with their mothers.

Diskussion: Methods, pitfalls, and new directions in empathic stress research will be discussed against the backdrop of the presented results.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Chronischer Stress und Emotionserkennung in der Stimme

Schmidt-Kassow M 1, 2, Kaiser J 1, Paulmann S 3

 

1 Institut für Medizinische Psychologie, Goethe-Universität Frankurt, Frankfurt

2 Klinik für Psychiatrie, Goethe-Universität Frankurt, Frankfurt

3 Essex University, Essex

 

Hintergrund: Chronischer Stress hat negative Auswirkungen auf verschiedene kognitive Funktionen, was insbesondere für Gedächtnisfunktionen intensiv beforscht wurde. Trotzdem wurde bisher wenig untersucht, inwiefern chronischer Stress die Sprachverarbeitung beeinflusst. Da gesprochene Sprache unser primäres Kommunikationsmittel ist, kann eine Beeinträchtigung dieses Systems unter Stress vielfältige negative Auswirkungen auf soziale Interaktionen haben. Daher ist der Mangel an Forschung auf diesem Gebiet überraschend.

Methoden: In einer Online-Studie während der Covid-19-Pandemie haben wir daher untersucht, welche Auswirkungen selbstberichteter chronischer Stress auf die emotionale Sprachverarbeitung hat. In zwei Experimenten mit 399 Teilnehmer:innen untersuchten wir den Zusammenhang zwischen chronischem Stressniveau und der Fähigkeit, Emotionen aus der Stimme eines Sprechers zu erkennen.

Ergebnisse: Unsere Ergebnisse bestätigen frühere Erkenntnisse, dass Frauen im Allgemeinen Emotionen in der Stimme besser erkennen können als Männer. Darüber hinaus zeigen unsere Daten, dass ein mittleres Maß an chronischem Stress bei Männern, nicht aber bei Frauen, die Fähigkeit beeinträchtigt, Trauer in der Stimme zu erkennen. Diese Ergebnisse wurden nicht durch die Aufgabenschwierigkeit (Zeitdruck) oder durch die grundsätzlich bessere akustische Diskriminierungsfähigkeit von Frauen beeinflusst.

Diskussion: Unsere Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Stress sich negativ auf bestimmte Gehirnregionen (z. B. anteriores Cingulum) auswirkt, die zuvor mit der Verarbeitung von Traurigkeit in Verbindung gebracht wurden.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Lerntheoretische Perspektiven auf Interozeption und Viszeralschmerz – von neurobiologischen Mechanismen zu klinischen Implikationen für Störungen der Darm-Hirn Interaktion

Icenhour A 1

 

1 Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Ruhr-Universität Bochum, Bochum

 

Von inneren Organen ausgehende, interozeptive Empfindungen und dabei insbesondere der Viszeralschmerz sind von komplexen Mechanismen entlang der Darm-Hirn Achse geprägt und können tiefgreifend durch emotionale und kognitive Faktoren moduliert werden. Gemäß dem Furcht-Vermeidungsmodell chronischer Schmerzen sind schmerzbezogene Furcht und daraus resultierende langfristig maladaptive Verhaltenskonsequenzen maßgeblich an der Aufrechterhaltung gestörter Interozeption und letztlich der Schmerzchronifizierung beteiligt. Entsprechend dieses, eng an das bio-psycho-soziale Modell angelehnten, Konzepts kann schmerzbezogene Furcht als Resultat assoziativer Lernprozesse im Sinne der klassischen Konditionierung betrachtet werden, sie ist durch Vorerfahrungen mit Schmerz geprägt und dynamischen Veränderungen unterworfen. Die viszerale schmerzbezogene Furchtkonditionierung stellt somit ein vielversprechendes translationales Modell in den Neurowissenschaften dar, um aus Mechanismen schmerzassoziierter Lern- und Gedächtnisprozesse relevante Implikationen sowohl für die Pathophysiologie als auch die Therapie chronischer viszeraler Schmerzen und gestörter Darm-Hirn Interaktion ableiten zu können.

Dieser Beitrag beleuchtet den Viszeralschmerz und seine zugrundeliegenden Mechanismen aus einer lerntheoretischen Perspektive. Neben einer theoretischen Einbettung erlernter schmerzbezogener Furcht als integralem Bestandteil des Furcht-Vermeidungsmodells stehen experimentelle Befunde zu schmerzbezogenen Lern- und Gedächtnisprozessen, ihren neurobiologischen Korrelaten und bedeutsamen Modulatoren im Fokus. Zudem werden klinische Implikationen assoziativer Lern- und Gedächtnisprozesse für die Behandlung von Störungen der Darm-Hirn Interaktion abgeleitet. Insbesondere auf Prinzipien des Extinktionslernens basierende expositionstherapeutische Ansätze erscheinen dabei als vielversprechende Behandlungsoptionen und bedeutsame Erweiterungen im Rahmen einer multimodalen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Störungen der Darm-Hirn Interaktion, veränderter Interozeption und chronischem viszeralen Schmerz.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

Vom Bauchgefühl zum chronischen Viszeralschmerz: Mechanismen und klinische Relevanz der Darm-Hirn Achse

Elsenbruch S 1

 

1 Abt. für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Ruhr-Universität Bochum, Bochum

 

Chronische Bauchschmerzen sind ein häufiges Gesundheitsproblem, das vielfältige Ursachen haben kann und schwer zu behandeln ist. Mit zunehmendem Wissen über die bidirektionale Darm-Hirn Achse wird neurowissenschaftlichen Forschungsansätzen, die zugrundeliegende zentralnervöse Mechanismen spezifisch für die viszerale Modalität analysieren, vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Im Zentrum stehen translationale experimentelle Studien zur zentralnervösen Verarbeitung akuter viszeraler Schmerzreize bei Gesunden und PatientInnen mit chronischen viszeralen Schmerzen.

Aversive interozeptive Signale aus dem Körperinneren, insbesondere aus dem gastrointestinalen System, lösen modalitätsspezifisch emotionale Reaktionen aus, die für das Verständnis von Störungen der Darm-Hirn Achse, z.B. beim Reizdarmsyndrom, zentral sind. Die Wahrnehmung und Bewertung interozeptiver Signale wird wiederum stark durch emotionale und kognitive Faktoren moduliert, was Grundlage neuer verhaltenstherapeutischer Behandlungsansätze darstellt. In diesem Übersichtsbeitrag soll anhand von aktuellen neurowissenschaftlichen bzw. biopsychologischen Forschungsansätzen, insbesondere aus der Placebo- und Noceboforschung, die weitreichende Bedeutung psychologischer Faktoren bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung chronischer viszeraler Schmerzen beleuchtet werden.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.