Inhaltspezifische Aktionen

Symposium 5.1: Versorgungsforschung 3 – Schwerpunkt Patienten

Raum: Hörsaal 1

Vorsitz:

Thomas von Lengerke

Katja Götz

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09:00 Uhr: Anja Lindig: Erfahrungen zur aktuellen Umsetzung von Dimensionen von Personenzentrierung in der psychosozialen und medizinischen Versorgung bei unbeabsichtigter Schwangerschaft in Deutschland: Die Perspektive von Betroffenen

 

09:15 Uhr: Jens Klein: Variationen in der intendierten Inanspruchnahme von Notfallversorgung – eine Bevölkerungsstudie mit Fallvignetten unterschiedlicher Dringlichkeit

 

09:30 Uhr: Stefanie Haneck: Gesundheitsversorgung für Frauen nach häuslicher und sexualisierter Gewalt am Beispiel des Landes Hessen

 

09:45 Uhr: Christian Heckel: MOBIL-MD - Soziale Ungleichheiten bei der beruflichen Wiedereingliederung und sozialen Mobilität von Krebspatient*innen in Mitteldeutschland – Studiendesign und erste Ergebnisse

  

10:00 Uhr: Milena Pertz: Soziokognitive Funktionen und berufliche Reintegration in der Neuro-Onkologie: exemplarische Betrachtung bei primären Lymphomen des zentralen Nervensystems

 

10:15 Uhr: Nora T Sibert: Inwiefern unterscheiden sich zertifizierte Prostatakrebs-zentren hinsichtlich ihrer Kontinenz-, erektilen Funktions- und biochemischen Rezidivrate nach radikaler Prostatektomie? Casemix-adjustierte Ergebnisse aus 125 Prostatakrebszentren

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Erfahrungen zur aktuellen Umsetzung von Dimensionen von Personenzentrierung in der psychosozialen und medizinischen Versorgung bei unbeabsichtigter Schwangerschaft in Deutschland: Die Perspektive von Betroffenen

Lindig A 1, Schellhorn A 1, Izotova A 2, Zill J 1

 

1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg

2 Nic Waals Institute, Psychiatric Genetic Epidemiology (PaGE) group, Oslo

 

Hintergrund: Personenzentrierung (PZ) in der Gesundheitsversorgung bedeutet, die Präferenzen, Bedarfe und Werte der Personen in den Fokus zu stellen. Obwohl PZ ein Grundprinzip der Gesundheitsversorgung in Deutschland ist, ist sie in der Versorgung von unbeabsichtigt Schwangeren nicht flächendeckend umgesetzt und bisher kaum erforscht. Ziel dieser Studie war es, die positiven und negativen Erfahrungen in der psychosozialen und medizinischen Versorgung sowie die Wünsche an eine optimale Versorgung anhand von Dimensionen der PZ aus der Perspektive von Betroffenen einer unbeabsichtigten Schwangerschaft mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch zu evaluieren.

Methoden: Betroffene, die in innerhalb der vergangenen fünf Jahre eine unbeabsichtigte Schwangerschaft abgebrochen haben, nahmen an telefonischen Interviews teil. Mittels eines semi-strukturierten Interviewleitfadens wurden sie zu ihren Erfahrungen in der psychosozialen und medizinischen Versorgung befragt. Audioaufnahmen der Interviews wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Dafür wurden deduktive Kategorien basierend auf den 16 Dimensionen des Integrativen Modell der PZ gebildet und mit induktiven Kategorien ergänzt. Zusätzlich wurden Daten zur Soziodemografie und zur unbeabsichtigten Schwangerschaft erhoben und deskriptiv ausgewertet.

Ergebnisse: Insgesamt nahmen 34 Betroffene an den Interviews teil. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Dimensionen „Zugang zur Versorgung“, „Personenzentrierte Eigenschaften der Beratenden/Behandelnden“, „Emotionale Unterstützung“ und „Persönlich zugeschnittene Informationen“ besonders häufig genannt wurden. Weitere induktive Kategorien wie „Stigmatisierung in der Versorgung“ und „Soziale Unterstützung“ wurden identifiziert. Finale Ergebnisse werden auf dem Kongress präsentiert.

Diskussion: Die meisten Dimensionen von PZ werden in der Versorgung von unbeabsichtigt Schwangereren als nicht ausreichend umgesetzt empfunden. Gleichzeitig wünschen sich Betroffene besserer Unterstützung. Für unbeabsichtigt Schwangere mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch bestehen in der deutschen Gesundheitsversorgung zahlreiche Hürden. Diese verringern die Personenzentrierung und damit eine qualitativ hochwertige Versorgung von Schwangerschaftsabbrüchen.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Variationen in der intendierten Inanspruchnahme von Notfallversorgung – eine Bevölkerungsstudie mit Fallvignetten unterschiedlicher Dringlichkeit

Klein J 1, Koens S 1, Scherer M 1, Strauß A 1, Härter M 1, von dem Knesebeck O 1

 

1 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg

 

Hintergrund: Vielfach überlastete Notaufnahmen und die damit verbundene Gefährdung der Patient:innensicherheit zeugen von einem dringenden Handlungsbedarf und sind Gegenstand intensiver Diskussionen. Neben der Reorganisation der Notfallversorgung sind insbesondere Patient:innen, welche in weniger dringlichen Fällen Angebote der Notfallversorgung nutzen, in den Fokus gerückt. Im Gegensatz zu Patient:innensurveys sind Umfragen in der Allgemeinbevölkerung zu diesen Themen deutlich weniger verbreitet. Die Studie untersuchte, welche Merkmale einer Fallgeschichte (Geschlecht, Alter, Tageszeit, Dringlichkeit) mit unterschiedlicher intendierter Inanspruchnahme von Gesundheitsversorgung im Allgemeinen sowie mit der Notfallversorgung im Besonderen assoziiert sind. In einem zweiten Schritt wurde überprüft, welche Merkmale einer Fallgeschichte und der Befragten (Geschlecht, Alter, Bildung, Migrationshintergrund) mit der intendierten Inanspruchnahme von Notaufnahmen und Rettungsdienst in weniger dringlichen Fällen zusammenhängen?

Methoden: Methode: In einer repräsentativen Zufallsstichprobe (N=1204) wurden im Winter 2021/2022 mittels telefonischer Befragung (CATI) der erwachsenen Hamburger Bevölkerung 24 unterschiedliche Fallgeschichten (Vignetten) gastrointestinaler Erkrankungen, variiert nach Geschlecht, Alter, Tageszeit und Dringlichkeit, vorgestellt und die Teilnehmer:innnen nach ihrer beabsichtigten Inanspruchnahme gefragt. In bi- und multivariaten Analysen wurden Zusammenhänge zwischen Vignetten- sowie Befragtenmerkmalen und intendierter Inanspruchnahme überprüft.

Ergebnisse: Vignetten mit männlichen Betroffenen, Kindern und abendlichem Auftreten der Symptome hängen signifikant stärker mit der Inanspruchnahme von Notaufnahmen und Rettungsdienst zusammen. Insgesamt wählten knapp 14% Optionen der Notfallversorgung (Notaufnahmen, Rettungsdienst, Notfallpraxen) trotz niedriger Dringlichkeit. In multivariaten Analysen, fokussiert auf Fälle niedriger Dringlichkeit, zeigten sich zudem signifikante Zusammenhänge zwischen männlichem Geschlecht sowie Migrationshintergrund (1. Generation) der Befragten und der intendierten Inanspruchnahme von Notaufnahmen und Rettungsdienst.

Diskussion: Die Ergebnisse identifizierten unterschiedliche Merkmale inadäquater Inanspruchnahme von Notfallversorgung und können dazu beitragen unangemessene Inanspruchnahme besser zu verstehen sowie Aufklärung und Information gezielter zu adressieren. Neben den Reformvorhaben hinsichtlich Notfallversorgung (u. a. integrierte Leitstellen und Notfallzentren) erscheint eine verstärkte und zielgerichtete Aufklärung (z. B. mittels Kampagnen) über die angemessene Inanspruchnahme von Notfallversorgung notwendig.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Gesundheitsversorgung für Frauen nach häuslicher und sexualisierter Gewalt am Beispiel des Landes Hessen

Haneck S 1, Hahn D 1

 

1 Hochschule Fulda (University of Applied Sciences), Fulda

 

Hintergrund: Häusliche und sexualisierte Gewalt stellt ein zentrales Risiko für die Gesundheit von Frauen dar. Eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahre 2003 kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland 40 % der befragten Frauen (n=10.264) seit ihrem 16. Lebensjahr Erfahrungen mit sexualisierter und/oder körperlicher Gewalt gemacht haben [1]. Seitdem die Übereinkunft des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Konvention) 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist, gibt es auch für die gesundheitliche Versorgung neue Anforderungen an Prävention und Interventionen [2]. Bisher fehlen dazu systematische Übersichten über regional bestehende gesundheitliche Versorgungsangebote und –situationen. Ziel ist, die Versorgungsangebote in Hessen zu erfassen und zu untersuchen, ob und nach welchen Standards diese arbeiten.

Methoden: Es wurden 34 Epert*inneninterviews mit Gesundheitsfachkräften, Frauenbeauftragten, Mitarbeiter*innen von Koordinierungsstellen und Beratungsstellen geführt. Diese wurden mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel [3] ausgewertet. Ergänzend erfolgte eine Recherche nach gesundheitlichen Versorgungsangeboten, die auf Gewalt spezialisiert sind.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass eine adäquate Gesundheitsversorgung nach häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt nicht in jeder Region in Hessen gewährleistet ist [4]. Insbesondere im ländlichen Raum existieren Versorgungslücken, welche zu ungleichen Chancen für die Betroffenen führen. Außerdem konnten Unterschiede zwischen den Versorgungsangeboten festgestellt werden. Während Vorgaben zu Inhalten und Abläufen in auf Gewalt spezialisierten Versorgungsangeboten existieren, ist die Qualität der Versorgung außerhalb dieser Angebote oftmals vom Engagement der jeweiligen Gesundheitsfachkraft abhängig. Auch eine strukturierte und kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen und weiteren Akteuren in Bezug auf das Thema Gewalt fehlt bisher [5].

Diskussion: Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine adäquate Gesundheitsversorgung im Sinne der Istanbul-Konvention bisher nicht gewährleistet werden kann und weiterer Handlungsbedarf besteht. Auch wenn Hessen über gute Best-Practice Beispiele in der gesundheitlichen Versorgung nach Gewalt verfügt, muss dies weiter ausgebaut werden, um eine flächendeckendes Angebot zu erreichen.

 

Referenzen:

[1] Müller U, Schröttle M. Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine
repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; 2004.

[2] Council of Europe. Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht. Istanbul; 2011. Available from: URL: https://rm.coe.int/1680462535.

[3] Gläser J, Laudel G. Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. 4. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag; 2010.
Haneck S, Hahn D. Gesundheitsversorgung für Frauen nach häuslicher und sexualisierter Gewalt am
Beispiel des Landes Hessen. Präv Gesundheitsf 2022.

[4] Haneck S, Hahn D. Effekte von Kooperationen auf die gesundheitliche Versorgung nach häuslicher und
sexualisierter Gewalt in Hessen und deren Auswirkungen auf die Umsetzung der Istanbul-Konvention. Gesundheitswesen 2022.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

MOBIL-MD - Soziale Ungleichheiten bei der beruflichen Wiedereingliederung und sozialen Mobilität von Krebspatient*innen in Mitteldeutschland – Studiendesign und erste Ergebnisse

Heckel C 1, Roick J 2

 

1 Institut für Medizinische Soziologie (IMS), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)

2 Technische Universität München (TUM), Lehrstuhl für soziale Determinanten der Gesundheit, München

 

Hintergrund: Vor dem Hintergrund steigender Inzidenzzahlen bei Krebspatient*innen im erwerbsfähigen Alter gewinnt die berufliche Reintegration sowie soziale Teilhabe für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung immer stärker an Bedeutung. In Deutschland kehren ca. zwei Drittel aller Erkrankten wieder in die Berufstätigkeit zurück, wobei Arbeitszeitverkürzung und Berufswechsel diese Rückkehr oft begleiten. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sind Krebspatient*innen häufiger von Arbeitslosigkeit, Früh- und Erwerbsminderungsrente betroffen. Unzureichend geklärt ist, welche Faktoren in Deutschland die berufliche Wiedereingliederung bedingen und wie berufliche Wiedereingliederung sozialer Abwärtsmobilität und den damit oft verbundenen finanziellen Schwierigkeiten entgegenwirkt. Offen ist ebenfalls, inwiefern die Inanspruchnahme rehabilitativer Maßnahmen die erfolgreiche Berufswiederaufnahme unterstützt. Es mangelt dabei v.a. an vergleichenden Studien, welche auf unterschiedliche Tumorentitäten fokussieren und regionale Disparitäten berücksichtigen.
Methoden: Mittels eines Mixed-Methods-Ansatzes mit sequentiellem Design sollen der Analyse sozialer Ungleichheiten in der beruflichen Integration und bei sozialen Mobilitätsprozessen nachgegangen sowie die Rolle rehabilitativer Maßnahmen exploriert werden. Hierfür werden Krebspatient*innen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ab 07/2023 anhand eines standardisierten Fragebogens befragt (n=900) sowie später leitfadengestützt interviewt (Teilstichprobe 20-30 Patient*innen). Zielgruppe sind Erwachsene (18-60 Jahre), bei denen 2018-2020 erstmalig eine maligne Tumorerkrankung diagnostiziert wurde.
Im quantitativen Studienteil sollen neben dem sozialen Status (bspw. Einkommen), krankheitsbezogenen (bspw. Tumorart, Behandlungen, Komorbiditäten) und psychosozialen Faktoren (bspw. soziale Unterstützung, psych. Belastung) auch berufsbezogene Faktoren (bspw. Wiedereingliederung ins Erwerbsleben, Gründe für Berentung, psychosoziale Faktoren am Arbeitsplatz) und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen (bspw. Rehamaßnahmen, Selbsthilfegruppen) betrachtet und u.a. regressionsanalytisch ausgewertet werden.

Ziel und Bedeutung der Ergebnisse: Ziel der Studie ist die Identifikation förderlicher und hemmender Faktoren im Verlauf der beruflichen Reintegration sowie die Erklärung zugrundeliegender Prozesse und Mechanismen. Vor allem soziale Ungleichheiten sollen als Bedingungsfaktoren für Entscheidungsprozesse und somit Unterschiede in den Berufsbiografien nach der Krebserkrankung tiefgründiger untersucht werden. Die Ergebnisse sollen genutzt werden, um Problembereiche und Hürden in der beruflichen Reintegration zu identifizieren und somit Optimierungspotenziale für den Wiedereingliederungsprozess zu erkennen.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Soziokognitive Funktionen und berufliche Reintegration in der Neuro-Onkologie: exemplarische Betrachtung bei primären Lymphomen des zentralen Nervensystems

Pertz M 1, 2, Seidel S 2, Wiemann G 2, Kowalski T 2, Schlegel U 3, 2, Thoma P 4

 

1 Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Fakultät für Medizin, Ruhr-Universität Bochum, Bochum

2 Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum, Bochum

3 Klinik für Neurologie, Klinik Hirslanden, Zürich

4 Neuropsychologisches Therapie Centrum (NTC), Fakultät für Psychologie, Ruhr-Universität Bochum, Bochum

 

Hintergrund: Menschen sind nicht nur bei der Bewältigung ihres Alltags kognitiv gefordert, sondern auch während sozialer Interaktionen [1]. Deren Gelingen hängt maßgeblich davon ab, sich in das Gegenüber empathisch einfühlen zu können und Lösungen für soziale Konfliktsituationen zu finden [2]. Diese Fähigkeiten werden unter dem Oberbegriff „soziokognitive Funktionen“ zusammengefasst. Obwohl Einschränkungen soziokognitiver Funktionen vielfach in psychiatrischen und neurologischen Kollektiven belegt wurden [3–5] und sich negativ auf die berufliche und soziale Teilhabe in diesen Gruppen auswirken [6–8], wurden mögliche Zusammenhänge zwischen der beruflichen Reintegration und soziokognitiven Funktionen in der Neuro-Onkologie bislang nicht betrachtet.

Methoden: Für die Auswertung wurden zwei Datensätze zusammengeführt [9, 10]. Es wurden 20 Patient*innen mit primären Lymphomen des zentralen Nervensystems eingeschlossen, die seit mindestens einem Jahr ein vollständiges Therapieansprechen zeigten. Neben der Erfassung der Empathiefähigkeit über Fragebögen [11] und auf Verhaltensebene [12] wurde die soziale Problemlösekompetenz szenariobasiert erhoben [4, 13]. Basierend auf ihrer beruflichen Situation wurden die Patient*innen hinsichtlich soziokognitiver Funktionen verglichen. Zudem wurde die kognitive Funktionsfähigkeit [14] und Lebensqualität [15] evaluiert.

Ergebnisse: Berufstätige (n=8) und Nicht-berufstätige (n=12) unterschieden sich signifikant in ihrer sozialen Problemlösekompetenz (F(1,18) = 11.294, p = .003, η² = .386) und nannten weniger passende Lösungsmöglichkeiten für eine schwierige soziale Situation (F(3,54) = 3.127, p = .033, η² = .148). Der Gruppenunterschied blieb auch bei Berücksichtigung der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit bestehen (F(1,17) = 6.597, p = .020, η² = .280). Einschränkungen der soziokognitiven Funktionen waren mit einer geringeren Lebensqualität assoziiert (r = .472, p = .036; r = -.577, p = .008).

Diskussion: Obwohl die Ergebnisse in größeren Kollektiven bestätigt werden müssen, gibt die Auswertung Hinweise darauf, dass auch soziokognitive Funktionen zur beruflichen Teilhabe von neuro-onkologischen Patient*innen nach einer erfolgreichen Therapie beitragen können. Die Erfassung soziokognitiver Funktionen könnte in der psychosozialen Versorgung neuro-onkologischer Patient*innen ebenso relevant sein wie die Bewertung klassischer kognitiver Funktionen.

 

Referenzen:

[1] Adolphs R. The social brain: neural basis of social knowledge. Annu Rev Psychol. 2009;60:693-716.

[2] Decety J, Lamm C. Human empathy through the lens of social neuroscience. ScientificWorldJournal. 2006;6:1146-63.

[3] Green MF, Horan WP, Lee J. Social cognition in schizophrenia. Nat Rev Neurosci. 2015;16(10):620-31.

[4] Channon S, Crawford S. Mentalising and social problem-solving after brain injury. Neuropsychol Rehabil. 2010;20(5):739-59.

[5] Cotter J, Granger K, Backx R, Hobbs M, Looi CY, Barnett JH. Social cognitive dysfunction as a clinical marker: A systematic review of meta-analyses across 30 clinical conditions. Neurosci Biobehav Rev. 2018;84:92-9.

[6] Cobb S. Social support as a moderator of life stress. Psychosom Med. 1976;38(5):300-14.

[7] House JS, Landis KR, Umberson D. Social relationships and health. Science. 1988;241(4865):540-5.

[8] Njomboro P. Social Cognition Deficits: Current Position and Future Directions for Neuropsychological Interventions in Cerebrovascular Disease. Behav Neurol. 2017.

[9] Pertz M, Kowalski T, Thoma P, Schlegel U. What Is on Your Mind? Impaired Social Cognition in Primary Central Nervous System Lymphoma Patients Despite Ongoing Complete Remission. Cancers  2021;13(5).

[10] Wiemann G, Pertz M, Kowalski T, Seidel S, Schlegel U, Thoma P. Complete response to therapy: why do primary central nervous system lymphoma patients not return to work? J Neurooncol. 2020;149(1):171-9.

[11] Paulus C. Der Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen SPF (IRI) zur Messung von Empathie: Psychometrische Evaluation der deutschen Version des Interpersonal Reactivity Index; 2009.

[12] Dziobek I, et al. Dissociation of cognitive and emotional empathy in adults with Asperger syndrome using the Multifaceted Empathy Test (MET). J Autism Dev Disord. 2008;38(3):464-73.

[13] Thoma P, Schmidt T, Juckel G, Norra C, Suchan B. Nice or effective? Social problem solving strategies in patients with major depressive disorder. Psychiatry Res. 2015;228(3):835-42.

[14] Fliessbach K, et al. Computer-based assessment of cognitive functions in brain tumor patients. J Neurooncol. 2010;100(3):427-37.

[15] Aaronson NK, et al. The European Organization for Research and Treatment of Cancer QLQ-C30: a quality-of-life instrument for use in international clinical trials in oncology. J Natl Cancer Inst. 1993;85(5):365-76.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Inwiefern unterscheiden sich zertifizierte Prostatakrebszentren hinsichtlich ihrer Kontinenz-, erektilen Funktions- und biochemischen Rezidivrate nach radikaler Prostatektomie? Casemix-adjustierte Ergebnisse aus 125 Prostatakrebszentren

Sibert NT 1, Breidenbach C 1, Wesselmann S 1, Feick G 2, Dieng S 3, Kowalski C 1

 

1 Deutsche Krebsgesellschaft e. V., Berlin

2 Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e.V., Bonn

3 OnkoZert, Neu-Ulm

 

Hintergrund: Für die Beurteilung der Ergebnisqualität nach Prostatakrebsbehandlung sind vor allem die Untersuchung der Einschränkungen der Harnkontinenz und der Sexualitätsfunktion sowie das Wiederauftreten der Krebserkrankung relevant. Für diese drei Indikatoren (Kontinenz, erektile Funktion, biochemisches Rezidiv (BCR)) liegen für die deutsche Versorgung noch keine Ergebnisse vor und auch international fehlt es an Daten, die für relevante Charakteristiken adjustiert wurden. Fragestellung dieser Untersuchung ist damit, inwiefern sich Prostatakrebszentren in ihrer Behandlungsqualität ein Jahr nach Operation hinsichtlich der drei Ergebnisqualitätsindikatoren voneinander unterscheiden.

Methode: Datengrundlage ist die „Prostate Cancer Outcomes“ Studie, die seit 2016 an DKG-zertifizierten Zentren durchgeführt wird und patientenberichtete (EPIC-26, soziodemografische Angaben) mit Daten aus der Versorgung vor (T0) und ein Jahr nach Beginn der Behandlung (T1) miteinander verknüpft. Für die vorliegenden Analysen wurden Casemix-adjustierte Kontinenz-, erektile Funktions- und BCR-Raten pro Zentrum auf Grundlage von logistischen Regressionsmodellen berechnet (Adjustoren: Alter, Risikogruppe, Komorbiditäten, Versicherungs- und Bildungsstatus, Staatsbürgerschaft, Therapie vor OP), verglichen und mit Zentrumsmerkmalen (bspw. Fallzahl, Lehrstatus, Zertifikatsdauer) in Zusammenhang gebracht.

Ergebnisse: Insgesamt konnten n = 18.452 operierte Patienten mit einem Fragebogen zu T1 aus 125 Zentren eingeschlossen werden. Die adjustierte Kontinenzrate (T1) pro Zentrum lag im Median bei 55 % (IQR: 47 – 62 %), die Rate für bestehende erektile Funktion (T1) bei 34 % (25 – 42 %) und die Rate für ein BCR (T1) bei 0,1 % (0,0 – 0,4 %). Für erektile Funktion konnte ein deskriptiver Zusammenhang zwischen Primärfallzahl eines Zentrums und adjustierter Rate (Spearman-Korrelationskoeffizient: 0,37, p < 0,05) gefunden werden. Weitere Ergebnisse hinsichtlich der Zentrumsmerkmale (inkl. verschiedener Strata) werden zum Kongress vorliegen.
Diskussion: Die eingeschlossenen Prostatakrebszentren unterschieden sich stark hinsichtlich der drei Casemix-adjustierten Ergebnisqualitätsindikatoren, wobei für die erektile Funktion Hinweise auf einen Mengeneffekt vorliegen. Das dargestellte Verfahren eignet sich zur Qualitätsmessung und transparenten zentrumsindividuellen Rückspiegelung im Sinne eines Qualitätsmanagementprozesses, wodurch zielgerichtete Maßnahmen eingeleitet werden können, um evtl. bestehende Versorgungsdefizite zu adressieren.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.