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Symposium 5.3: Vulnerabilität im Wandel? Konsequenzen für Prävention und Gesundheitsförderung

 

AG Prävention und Gesundheitsförderung (DGMS) und AG Medizinsoziologische Theorien

 

Raum: 307

Vorsitz:

Birgit Babitsch

Frauke Koppelin

Stefanie Sperlich

Kerstin Hofreuter-Gätgens

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09:00 Uhr: Jan P. Heisig: Wie haben sich gesundheitliche Ungleichheiten in Deutschland seit den 1990er Jahren entwickelt? Befunde auf Grundlage des Sozio-ökonomischen Panels

                   

09:35 Uhr: Stefanie Sperlich: Neue soziale Ungleichheiten in der Gesundheit durch die Bildungsexpansion?

 

09:49 Uhr: Irene Moor: Wie kann gesundheitliche Chancengleichheit in der Schule erhöht werden? Ergebnisse zweier Reviews zur schulischen Gesundheitsförderung und Primärprävention

          

10:03 Uhr: Miriam Lorenz: Vulnerabilität geflüchteter Menschen – Eine Mixed-Methods-Studie zum riskanten Substanz-konsum in Gemeinschaftsunterkünften

 

10:17 Uhr: Birgit Babitsch: Facetten gesundheitlicher Ungleichheit während der COVID-19-Pandemie: Ergebnisse einer Querschnittsstudie

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Übergeordnetes Ziel der Gesundheitsförderung ist es, sozial bedingte Ungleichheiten abzubauen und gerechte Chancen auf Gesundheit zu ermöglichen. Im Rahmen der Session soll folgenden Fragen nachgegangen werden:

  • Wie hat sich soziale Benachteiligung durch die gesellschaftlichen Transformationsprozesse verändert?
  • Beschreiben die im Fokus stehenden vulnerablen Gruppen noch ausreichend die in der Gesellschaft in schwierigen Verhältnissen lebenden Menschen?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Forschung und Praxis der Prävention und Gesundheitsförderung?

Im Rahmen des 90-minutigen Symposiums sollen diese Fragen mit Kurzvorträgen und Diskussionsimpulsen beleuchtet werden.

 

Wie haben sich gesundheitliche Ungleichheiten in Deutschland seit den 1990er Jahren entwickelt? Befunde auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels

Heisig JP 1

 

1 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH, Berlin

 

Ausgehend von wichtigen gesellschaftlichen "Megatrends" wie der Diversifizierung von Familienformen und zunehmender ethnischer Diversität, wird in diesem Beitrag untersucht, wie sich gesundheitliche Ungleichheiten in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre entwickelt haben. Im Mittelpunkt stehen die Dimensionen Geschlecht, Bildung, Arbeitsmarkterfolg sowie Familien- und Migrationsgeschichte und - soweit möglich - deren intersektionales Zusammenwirken. Wichtigste Grundlage der empirischen Analysen ist das Sozio-Oekonomische Panel (SOEP), das neben dem selbsteingeschätzten Gesundheitszustand seit den 2000er Jahren auch differenziertere Aussagen zur physischen und psychischen Gesundheit ermöglicht (SF-12 Kurzskala, Erhebung spezifischer Diagnosen).

Leitfragen der Analyse sind, ob gesundheitliche Ungleichheiten hinsichtlich der betrachteten Dimensionen zu- oder abgenommen haben und ob sich aus einer intersektionalen Perspektive Hinweise auf Gruppen mit besonderer Vulnerabilität ergeben.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

 

Neue soziale Ungleichheiten in der Gesundheit durch die Bildungsexpansion?

Sperlich S 1

 

1 Medizinische Soziologie, Medizinischen Hochschule Hannover, Hannover

 

Hintergrund: Die Frage, ob die Bildungsexpansion in Deutschland neue soziale Ungleichheiten in den Gesundheitschancen hervorgebracht hat, ist bislang kaum systematisch analysiert worden. Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag, wie sich die subjektive Gesundheit bei Frauen und Männern in den drei Bildungsgruppen (max. Hauptschulabschluss, Realschulabschluss und Abitur) in unterschiedlichen Altersgruppen (20-29 J., 30-49 J., 50-64 J. und 65-79 J.) entwickelt hat.

Methoden: Die Studie basiert auf einem populationsbezogenen Analyseansatz, in der die zeitliche Veränderung der Gesundheit zwischen 1994 und 2020 anhand der Längsschnittdaten des Sozioökonomischen Panels (GSOEP) untersucht wird. Die abhängige Variable stellt das ‚Single-Item‘ subjektive Gesundheit dar. Die Zeit als unabhängige Variable wurde kategorial in neun Perioden von 1994-97 bis 2019-2020 erfasst. Zeitliche Trends in der subjektiven Gesundheit stratifiziert nach Geschlecht wurden auf der Grundlage regressionsanalytischer Verfahren untersucht.

Ergebnisse: Einhergehend mit der Bildungsexpansion lässt sich ein Anstieg in der subjektiven Gesundheit beobachten, jedoch fällt diese Entwicklung in Abhängigkeit von der betrachteten Altersgruppe unterschiedlich aus. Den positivsten Gesundheitstrend weisen Frauen und Männer in der Altersgruppe 65-79 Jahre auf. Besonders prekär hat sich demgegenüber die Gesundheit bei bildungsbenachteiligten Frauen und Männern in den beiden jüngeren Altersgruppen (20-29 J. und 30-49 J.) entwickelt. Insgesamt haben sich bildungsbezogene gesundheitliche Ungleichheiten, insbesondere in den jüngeren Altersgruppen, ausgeweitet.

Diskussion: Die Studie weist darauf hin, dass Personen mit einfacher Schulbildung in den jüngeren Altersgruppen zu einer zunehmend selektiveren und vulnerablen Bevölkerungsgruppe werden. Aus den Befunden schließen sich weiterführende Fragen über geeignete präventive Zugangswege für diese Personengruppen an.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

Wie kann gesundheitliche Chancengleichheit in der Schule erhöht werden? Ergebnisse zweier Reviews zur schulischen Gesundheitsförderung und Primärprävention

Moor I, Winter K 1

 

1 Institut für Medizinische Soziologie (IMS)Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)

 

Hintergrund: Auch bei jungen Menschen sind die Chancen, gesund aufzuwachsen, oftmals abhängig von ihrer sozioökonomischen Position (SEP). Um diese gesundheitlichen Ungleichheiten abzubauen, ist die Schule ein wichtiges Handlungsfeld der Gesundheitsförderung. Allerdings gibt es nur begrenzte Belege für Interventionen, die sich auf gesundheitliche Ungleichheiten konzentrieren. Ziel des Projekts ist es daher zu untersuchen, 1) welche schulischen Interventionen zum Abbau sozioökonomischer Ungleichheiten in der Gesundheit und im Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen beitragen und 2) wie und unter welchen Bedingungen sie erfolgreich sind.

Methoden: Es wurden ein systematisches und ein Realist Review durchgeführt. Einige Schritte des methodischen Ansatzes wurden für beide Reviews synergetisch genutzt wie die Entwicklung der Suchstrategie, die Auswahl der Datenbanken (MEDLINE, SSCI, SCIE, DoPHER und TRoPHI) sowie einige Einschluss- und Ausschlusskriterien. Die Suche umfasste die Jahre 2000-2020. Das Screening und die darauffolgenden Schritte wurden spezifisch auf jedes Review-Design angewendet.

Ergebnisse: Die Suche ergab 10.524 Treffer, von denen 37 Publikationen in das systematische Review einbezogen wurden. Die meisten Interventionen konzentrierten sich auf Ernährung (14), gefolgt von psychischer Gesundheit (8) und Substanzkonsum (5). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass strukturelle präventive Interventionen im Vergleich zu verhaltenspräventiven Interventionen mit größerer Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Ungleichheiten reduzieren. Für das Realist Review wurden 7 Studien einbezogen. Es wurden intrapersonale, interpersonelle und institutionelle Faktoren identifiziert, die für schulbasierte Interventionen bei Heranwachsenden mit niedriger SEP relevant waren.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigten, dass schulbasierte Interventionen gesundheitliche Ungleichheiten reduzieren, aber auch verstärken können. Vor allem strukturelle und kombinierte Präventionsmaßnahmen können gesundheitliche Chancengleichheit erhöhen. Zudem zeigten sich Mechanismen, die zukünftige Maßnahmen inkludieren sollten, wenn Sie gesundheitliche Chancengleichheit stärken wollen.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es ist kein Ethikvotum erforderlich.

 

Vulnerabilität geflüchteter Menschen – Eine Mixed-Methods-Studie zum riskanten Substanzkonsum in Gemeinschaftsunterkünften

Lorenz M 1, Uricher J 1, Laging M 1, Heidenreich T 1

 

1 Hochschule Esslingen, Esslingen

 

Hintergrund: Aufgrund ihrer Erfahrungen im Herkunftsland und während der Flucht sowie der vielfältigen sozialen, psychologischen und soziokulturellen Stressfaktoren im Aufnahmeland sind Geflüchtete potenziell eine besonders vulnerable Gruppe für den schädlichen Substanzgebrauch (Horyniak et al., 2016). Es gibt nur sehr wenige Forschungsergebnisse und evidenzbasierte Praxisansätze für diese spezifische Zielgruppe (Lorenz et al., 2021). Der vorliegende Beitrag berichtet Ergebnisse, die im Rahmen einer Mixed-Methods-Studie zur psychosoziale Lage und zum Substanzkonsum geflüchteter Menschen in Gemeinschaftsunterkünften gewonnen wurden. Daraus lassen sich Erkenntnisse für eine kultursensible Suchtprävention für die vulnerable Zielgruppe der Geflüchteten ableiten.

Methoden: Der Mixed-Methods-Studie liegt das Exploratory Sequential Design nach Creswell (2022) zugrunde, um unter Einbezug kultursensibler Faktoren im Forschungsprozess, das „hard-to-reach-sample“ der geflüchteten Menschen niedrigschwellig zu erreichen. Qualitative Interviews wurden mit Bewohner:innen und Fachkräften in Gemeinschaftsunterkünften durchgeführt. Diese Ergebnisse dienten als Grundlage für die Gestaltung eines quantitativen Erhebungsinstruments zur Durchführung einer Mehrebenenanalyse unter Berücksichtigung kultursensibler Faktoren. Mehrsprachig validierte Skalen wurden verwendet, um die psychosoziale Situation und den Substanzgebrauch zu erfassen.

Ergebnisse: Die qualitative Phase umfasste 13 Interviews mit 5 Fachkräften und 8 geflüchteten Menschen in Gemeinschaftsunterkünften und brachte eine Vielzahl an Erkenntnisse für die Gestaltung des quantitativen Erhebungsinstruments, die Bewerbung und Durchführung der Erhebung und des Erhebungssettings. In der quantitativen Phase haben dann N=185 Geflüchtete in 13 Gemeinschaftsunterkünften verschiedener Träger in Stuttgart an der Befragung teilgenommen. Die Befragten, die einen Substanzkonsum angaben, stiegen mehrheitlich auf ihrer Flucht oder dann in Deutschland in den Konsum ein.

Diskussion: Um den Konsumeinstieg und den fortschreitend riskant werdenden Konsum bei dieser vulnerablen Zielgruppe zu verhindern, zeigen die Ergebnisse die Notwendigkeit von niedrigschwelliger Suchtprävention in der Ankunftssituation der Geflüchteten und die Wichtigkeit von mehrsprachiger, kultursensibler Vermittlung von Gesundheitsinformationen. Zudem bieten settingspezifische und peer-orientierte Unterstützungsangebote die Möglichkeit vorhandene Ressourcen der Geflüchteten zu stärken, sodass sie funktionale Bewältigungsstrategien entwickeln können.

 

Referenzen:

[1] Creswell JW. A concise introduction to mixed methods research. Second edition. Los Angeles, London, New Delhi, Singapore, Washington DC, Melbourne: SAGE 2022. Horyniak D, Melo JS, Farrell RM, Ojeda VD, Strathdee SA. Epidemiology of Substance Use among Forced Migrants: A Global Systematic Review. PLoS One 2016; 11(7): e0159134 Lorenz MH, Taggert J, Laging M, Heidenreich T. Prävention des riskanten und abhängigen Substanzkonsums bei geflüchteten Menschen. SUCHT 2021; 67(5): 255-71

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

 

Facetten gesundheitlicher Ungleichheit während der COVID-19-Pandemie: Ergebnisse einer Querschnittsstudie

Babitsch B 1

 

1 Universität Osnabrück Abteilung New Public Health, Osnabrück

 

Hintergrund: Studien deuten darauf hin, dass sich gesundheitliche Ungleichheiten während der COVID-19 Pandemie verstärkt haben. Sozial bedingte Unterschiede finden sich sowohl im Infektionsgeschehen selbst als auch in den sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie. Nur wenige Studien haben bislang die Mechanismen bzw. die Heterogenität gesundheitlicher Ungleichheit unter pandemischen Bedingungen untersucht. Auch spielten gesundheitliche Ressourcen eine eher untergeordnete Rolle. Ziel des Beitrages ist die Analyse des Zusammenhangs zwischen soziokulturellen Faktoren bzw. dem sozioökonomischen Status, den sozialen Folgen der COVID-19-Pandemie und der Gesundheit.

Methoden: 2.123 Personen im Alter von 18 bis 74 Jahren (Frauen: 49,8%; Männer: 50,2%) nahmen 2022 an der Querschnitts-Onlinestudie ExCo:Well teil. Der Online-Fragebogen enthielt Fragen zur Soziodemographie und sozialen Lebenslage, zu (Covid-19-spezifischen) Ressourcen und Belastungen sowie zu gesundheitsbezogenen Aspekten. Die Daten wurden mittels bivariater und multivariater Analysen ausgewertet.

Ergebnisse: Für 52,1 % der Teilnehmenden gingen die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie mit starken Veränderungen im Lebensalltag einher; 35,8 % fanden es schwierig mit dieser pandemischen Situation umzugehen. Signifikante Unterschiede finden sich hierbei für Alter, Geschlecht und subjektiven Sozialstatus. Deutliche soziokulturelle und sozioökonomische Unterschiede finden sich in Bezug auf Covid-19-spezifische Belastungen und Ressourcen sowie für die Perceived Stress Questionnaire (PSQ) und die Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung, die auf komplexe Wirkungszusammenhänge hindeuten. Die Wahrscheinlichkeit für eine gute subjektive Gesundheit bzw. ein hohes Wohlbefinden (WHO-5) ist signifikant reduziert für einen niedrigen subjektiven Sozialstatus, hohe Belastungen, geringe Ressourcen, eine geringe Selbstwirksamkeit sowie das Vorliegen einer chronischen Krankheit. Divergierende Ergebnisse zeigen sich bzgl. Alter, Geschlecht und Bildungsstatus (CASMIN).

Diskussion: Die Ergebnisse belegen große soziale Unterschiede bei den Veränderungen durch die COVID-19 Pandemie sowie einen Zusammenhang mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden. Diese Differenzen lassen sich durch Unterschiede in den Belastungen und Ressourcen erklären, was Hinweise nicht nur auf die zugrunde liegenden Wirkmechanismen, sondern auch auf Ansatzpunkte zur Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit gibt.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.