Inhaltspezifische Aktionen

Symposium 5.4: Psychische / reproduktive Gesundheit von Frauen

 

AG Psychosoziale Gesundheit

 

Raum: 309

Vorsitz:

Silvia Krumm

Thorsten Lunau

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09:00 Uhr: Susanne Ulrich: Welche Angebote nutzen Familien mit elterlichem Stress und Konfliktpotenzial?

 

09:18 Uhr: Silvia Krumm: Die subjektive Sicht psychisch erkrankter Frauen auf professionelle Unterstützung im Umgang mit einer ungewollt eingetretenen Schwangerschaft. Qualitative Befunde aus der ELSA PSY Studie

 

09:36 Uhr: Martina Schmiedhofer: Hilflosigkeit, das Abgeben jeglicher Selbstverantwortung und Selbstbestimmtheit“ – qualitative Auswertung traumatisierenden Geburtserlebnisse an einer universitären Klinik in Relation zum Geburtsmodus

 

09:54 Uhr: Johanna Budke: Bewegte Zeiten: die Erfahrung von Wechseljahren vor dem vierzigsten Lebensjahr – eine qualitative Studie

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Zwischen Elternschaft und psychischer Gesundheit bestehen wechselseitige Zusammenhänge. Einerseits können sich Schwangerschaften, Geburten oder Schwangerschaftsabbrüche negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Dies trifft in besonderem Maße auf Frauen zu, die bereits vor der Schwangerschaft psychisch belastet waren. Andererseits können psychosoziale Belastungen bzw. psychische Krisen auch den Umgang mit reproduktiven Aspekten erschweren oder die Fähigkeit zur Übernahme elterlicher Aufgaben negativ beeinflussen. Vorliegende Befunde verweisen darauf, dass psychisch erkrankte Frauen aufgrund weiterer psychosozialer Belastungen (z.B. Partnerschaftsproblematik, finanzielle Unsicherheiten) ein erhöhtes Risiko für ungeplante bzw. ungewollte Schwangerschaft haben, die sich wiederum negativ auf die psychische und körperliche Gesundheit der Frau auswirken und – bei Austragen einer ungewollten Schwangerschaft - auch die kindliche Entwicklung beeinträchtigen können. Es ist von einem besonderen, allerdings häufig ungedeckten Unterstützungsbedarf psychisch belasteter bzw. erkrankter Frauen im Umgang mit reproduktiven Aspekten auszugehen. Allerdings sind psychisch belastete bzw. erkrankte Frauen im Umgang mit reproduktiven Fragen in besonderer Weise von Stigmatisierung betroffen, die sowohl das Erleben wie auch den Umgang mit Elternschaft und insbesondere auch die Wahrnehmung und die Inanspruchnahme von Angeboten beeinflussen können.

Das Symposium will aus unterschiedlichen Perspektiven die psychosozialen Belastungen im Zusammenhang mit Elternschaft beleuchten und Ansatzpunkte für eine angemessene Unterstützung der betroffenen Eltern vorstellen. 

 

Welche Angebote nutzen Familien mit elterlichem Stress und Konfliktpotenzial?

 

Ulrich S, Renner I 1, Neumann A 1, Lux U 2

 

1 Köln

2 München

 

Psychosoziale Belastungen können den Übergang in die Elternschaft und die erste Phase des Familienlebens erschweren, wodurch negative Konsequenzen für die frühkindliche Entwicklung entstehen können [1]. Seit der Corona-Pandemie werden erhöhte erzieherische Anforderungen, elterlicher Stress und familiale Konflikte verstärkt diskutiert [2]. Um zu verstehen wie elternstress- und konfliktbelastete Familien durch frühzeitige Präventionsmaßnahmen erreicht werden können, sollen (1) die Kenntnis und Nutzung von Unterstützungsangeboten sowie (2) die Auswirkungen elterlichen Stresses und familialer Konflikte untersucht werden.

Hierzu wurden Daten der repräsentativen Querschnittstudie Kinder in Deutschland – KiD 0-3 des Jahres 2015 mit N = 7.549 Familien sowie der Folgestudie mit n = 905 Familien analysiert [3]. Mittels latenter Klassenanalyse wurden vier Belastungsgruppen identifiziert. Dabei ergab sich eine hochbelastete Gruppe (5,2 %), eine unbelastete Gruppe (58,9 %) sowie zwei mittelbelastete Gruppen mit unterschiedlichen Charakteristika: eine elternstress- und konfliktbelastete Gruppe (17,2 %) und eine sozioökonomisch belastete Gruppe (18,8 %). Familiale Belastungen und Ressourcen wurden in der erweiterten Repräsentativbefragung KiD 0-3 des Jahres 2022 mit Daten von 5.591 erneut untersucht [4]. Anschließend wurden Unterschiede in den Belastungsgruppen hinsichtlich des elterlichen Erziehungsverhaltens und der kindlichen Entwicklung mittels Chi-Quadrat-Tests ermittelt. Zudem wurden Unterschiede in der Kenntnis und Nutzung von verschiedenen universellen und selektiven Angeboten aus dem Gesundheitswesen und der Kinder- und Jugendhilfe analysiert.

Die vier unterschiedlichen Belastungsgruppen konnten mit den Daten von 2022 gegenüber dem Jahr 2015 repliziert werden. Elternstress- und mehrfachbelastete Familien berichteten von einer geringeren elterlichen Responsivität bzw. erhöhtem dysfunktionalem Erziehungsverhalten gegenüber den anderen Gruppen. Familien mit erhöhtem elterlichem Stress und Konfliktpotential nahmen trotz höherer Kenntnis selektive Angebote seltener in Anspruch als sozioökonomisch und hochbelastete Familien.

Fraglich ist, ob elternstress- und konfliktbelastete Familien keine passgenaue Unterstützung nutzen, weil sie entweder keinen deutlich sichtbaren Hilfebedarf haben oder weil sie aufgrund sozioökonomischer Ressourcen, einer hohen Angebotskenntnis und der Nutzung universell medizinischer und Familienbildungsangebote ausreichend versorgt sind.

 

Referenzen:

[1] Egle UT, Franz M, Joraschky P, Lampe A, Seiffge-Krenke I, Cierpka M. Gesundheitliche Langzeitfolgen psychosozialer Belastungen in der Kindheit - ein Update. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2016; 59(10):1247–54.

[2] Li J, Bünning M, Kaiser T, Hipp L. Who suffered most? Parental stress and mental health during the COVID-19 pandemic in Germany. JFamRes 2022; 34(1):281–309.

[3] Ulrich SM, Renner I, Lux U, Walper S, Löchner J. Familien mit erhöhtem elterlichen Stress und Konfliktpotential: Eine Zielgruppe für psychosoziale Unterstützungsangebote? Gesundheitswesen 2023; 85(5):436–43.

[4] Neumann A, Ulrich SM, Sinß F, Chakraverty D, Hänelt M, Lux U, et al. How are families in Germany doing in 2022? Study protocol of a nationally representative, cross-sectional study of parents with children aged 0-3 years. PLoS One 2023; 18(5):e0285723.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Die subjektive Sicht psychisch erkrankter Frauen auf professionelle Unterstützung im Umgang mit einer ungewollt eingetretenen Schwangerschaft. Qualitative Befunde aus der ELSA PSY Studie

Krumm S 1

 

1 Universität Ulm, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Günzburg

 

Hintergrund: Frauen mit psychischen Erkrankungen können im Umgang mit reproduktiven Aspekten im Lebenslauf mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sein, die sich aus dem wechselseitigen Einfluss von psychischer Belastung und z.B. Schwangerschaft, Geburt oder Schwangerschaftsabbruch ergeben können. Bekannt ist auch, dass psychisch belastete Frauen ein erhöhtes Risiko für ungewollte und ungeplante Schwangerschaften haben, die mit negativen Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit der Frau und bei Austragen der ungewollten Schwangerschaft auch die kindliche Entwicklung verknüpft sind. Obwohl hier von einem besonderen Unterstützungebdarf auszugehen ist, wurden bislang keine empirischen Studien dazu durchgeführt.

Ziel: Explorative Untersuchung der Erfahrungen psychisch erkrankter bzw. belasteter Frauen mit ungewollten Schwangerschaften in den relevanten professionellen Hilfesystemen.

Methodik: Im Rahmen der bundesweiten Studie ELSA wurden n=40 narrativ-biografische Interviews mit psychisch erkrankten bzw. psychisch belasteten Frauen durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse: Die befragten Frauen berichten über eine Vielzahl an Bedarfen und negativen Erfahurngen differenziert nach den drei relevanten Hilfesystemen a.) der psychiatrischen Versorgung, b.) der gynäkologischen Versorgung sowie c.) den Psychsozialen Beratungsangeboten. Die berichteten Stigmatisierungserfahrungen bezogen sich sowohl auf die psychische Erkrankung wie auch auf die ungewollte Schwangerschaft bzw. den Schwangerschaftsabbruch.
Fazit: Die explorative Studie deutet auf einen ungedeckten Bedarf an Unterstützung im Umgang mit einer ungewollten Schwangerschaft und eine zwei- bis dreifache Stigmatisierung insbesondere im Bereich der gynäkologischen Versorgung.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Hilflosigkeit, das Abgeben jeglicher Selbstverantwortung und Selbstbestimmtheit“ – qualitative Auswertung traumatisierenden Geburtserlebnisse an einer universitären Klinik in Relation zum Geburtsmodus

Schmiedhofer M 1, 2, Derksen C 2, Lippke S 2, Hüner B 3

 

1 Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin

2 Constructor University Bremen, Bremen

3 Universitätsfrauenklinik Ulm, Ulm

 

Hintergrund: Die Geburt eines Kindes ist eine mit der Erwartung eines positiven Geburtserlebnis verbundene emotionale Herausforderung. Ungeplante medizinische Eingriffe können den Verlauf unerwartet verändern. Dominieren Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein das mütterliche Geburtserleben, kann dies zu einer psychischen Belastungsreaktion und im schwerwiegendsten Fall zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (childbirth-related PTSD) führen[1].Ungeplante Entbindungsmodi wie eine Notsectio oder vaginaloperative Geburt (Vakuumextraktion) sind häufiger mit PTSD assoziiert. Reviews zeigen den Zusammenhang zwischen Geburtsmodus und PTSD auf, jedoch ohne die Betrachtung der individuell wahrgenommenen Belastungen. Um präventive Maßnahmen für die Vermeidung von Auslösern einer PTSD in kritischen Geburtsvorgängen zu entwickeln, ist die präzise Kenntnis der belastenden Situationen erforderlich.

Methoden: 139 Frauen, die an einer Universitätsfrauenklinik zwischen 2014 und 2019 eine Notsectio erhalten hatten, sowie 3 Kontrollgruppen bestehend aus jeweils 139 Frauen mit sekundärer Sectio,Vakuumextraktion oder spontaner Geburt erhielten postalisch Fragebögen mit validierten Messinstrumenten sowie zwei Freitextfeldern zum subjektiven Erleben und gewünschtenMaßnahmen. N = 117 Teilnehmerinnen füllten die Freitextfelder aus. Diese Daten wurden im Kontext zum Geburtsmodus mit der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Ergebnisse: Identifizierte Hauptthemen waren: belastende Erfahrungen während der Geburt mit „Angst um das Kind“ sowie „Trennung vom Kind“. Unzulängliche Kommunikation deckt „Alleinsein nach dem Aufwachen“, „unzureichende Kommunikation mit dem Personal“ sowie „fehlende Kommunikation mit dem Vater“ ab. Unter dem Begriff Versagen und Schuldgefühle sind „verpasstes Geburtserlebnis“ sowie „Vorwürfe und Bedauern“ zusammengefasst. Hilflosigkeit beinhaltet „Ausgeliefert sein und Fremdbestimmung“ sowie „Kontrollverlust“. Zur subjektiv ungünstigen Versorgung wurden „mangelnde Empathie“ und „fehlende Betreuung“ zugeordnet[2].

Diskussion: Teilweise entstehen sie, weil die emotionale Vulnerabilität der Mutter in Akutsituationen nicht ausreichend wahrgenommen bzw. adressiert wird. Eine frauenzentrierte Kommunikation unter Einbeziehung des Vaters während oder nach der zeitkritischen Phase kann die mentale Belastung vermindern. Nachbesprechungen nach der Geburt und psychologische Unterstützungsangebote bei Bedarf für beide Elternteile können posttraumatische Belastungsreaktionen verhindern und die Mutter-Kind-Beziehung stärken.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.

 

Bewegte Zeiten: die Erfahrung von Wechseljahren vor dem vierzigsten Lebensjahr – eine qualitative Studie

Budke J 1

 

1 Universität Bielefeld, Bielefeld

 

Hintergrund: Wechseljahre sind – nicht zuletzt auch vorangetrieben durch die feministische Frauengesundheitsbewegung, die die Medikalisierung dieser hormonellen Umbruchsphase kritisch in den Blick nahm – ein gesundheitswissenschaftlich breit erforschtes Thema.

Nahezu unbeachtet bleiben jedoch bisher Menschen, die vor dem 40. Lebensjahr in die Wechseljahre kommen – ein Phänomen, das von der Medizin als frühe oder vorzeitige Wechseljahre (prämature Ovarialinsuffizienz, climacterium praecox) definiert wird. Das gesundheitswissenschaftliche Promotionsprojekt untersucht mit einem qualitativen Forschungsansatz, was es bedeutet, wenn die Wechseljahre bereits vor dem 40. Lebensjahr einsetzen und welche Auswirkungen der unvorhergesehene hormonelle Wandel auf die gelebte Erfahrung und das in-der-Welt-sein hat. Damit widmet sich das Promotionsprojekt einem Forschungsdesiderat im Bereich der Grundlagenforschung. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem (körperlich-leibliche) Erleben und den sozialen Erfahrungen, die Menschen, die früher in die Wechseljahre gekommen sind, machen.

Methoden: Über die Plattform Instagram wurden acht Cis-Frauen rekrutiert, die vor dem 40. Lebensjahr (Altersspanne zwischen 24 und 38 Jahre) in die Wechseljahre gekommen sind und jeweils narrative Interviews geführt. Die anschließende Datenanalyse erfolgte mittels dokumentarischer Methode, die auf die Rekonstruktion des konjunktiven Erfahrungsraums abzielt und dabei unterschiedliche Orientierungsrahmen herausarbeitet.

Ergebnisse: Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass das (sehr) frühe Eintreten der Wechseljahre mit Fragen des Lebens und des Selbst einhergeht. Das analysierte Material macht zudem deutlich, dass die Erfahrung früher Wechseljahre zutiefst durch medizinische Wissensbestände strukturiert ist und körperlich-leibliches Erleben beeinflusst. Damit zusammenhängend zeigt sich in den Daten vielfach ein normatives Bild von Körper und Geschlecht.

Diskussion: Die gewonnenen Erkenntnisse zur Erfahrung früher Wechseljahre deuten darauf hin, dass sich ein diverseres und weniger normatives Verständnis von Körper und Geschlecht grundsätzlich, aber insbesondere auch in der medizinischen Versorgungspraxis, positiv auf das Erleben früher Wechseljahre auswirken würde.

 

Beitragserklärung:

Interessenskonflikte:

Der korrespondierende Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt bei den Autoren vorliegt.

Erklärung zum Ethikvotum:

Es liegt ein positives Ethikvotum vor.