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Alfred Anderschs Kriegsroman „Winterspelt“ von
1974 gilt heute als eines der bedeutendsten
Werke über den zweiten Weltkrieg. Die
Romanhandlung, welche sich innerhalb weniger
Tage vollzieht, spielt kurz vor der Ardennen-
Offensive der Amerikaner Ende 1944. Im
Mittelpunkt steht das Vorhaben des deutschen
Majors Joseph Dincklage, sein Bataillon, das im
Eifeldorf Winterspelt stationiert ist, kampflos an
die Amerikaner zu übergeben.
Nach und nach werden alle im Roman
auftretenden Figuren in unterschiedlicher Form
in diesen Plan verstrickt: Käthe Lenk, die
selbstbewusste Deutschlehrerin taucht in
Winterspelt unter, um einer Dienstverpflichtung
in Köln zu entgehen. Hainstock, der Kommunist, wurde vom Wehrwirtschaftsführer
Arimond aus dem Konzentrationslager befreit und in der Baubude des Winterspelter
Steinbruchs untergebracht, um diesen vor einer erneuten Gefangennahme zu schützen.
Der amerikanische Offizier Kimbrough dient als Dincklages Kontaktperson der gegnerischen Seite.
Vermittelt wird der Kontakt durch den Kunsthistoriker Schefold. Schefold hält Paul Klees Aquarell
„Polyphon umgrenztes Weiß“ in Hainstocks Steinbruch vor den Nazis versteckt und gerät zwischen den
Fronten schließlich mit dem Nazisoldaten Reidel tödlich aneinander, der als ehemaliger Hotelangestellter
nicht nur mit seiner Vergangenheit sondern auch mit seiner Homosexualität zu kämpfen hat.
In dem streng komponierten Beziehungsgeflecht kommt jeder Figur aufgrund ihrer sehr
unterschiedlichen Persönlichkeiten eine bestimmte Funktion zu: Sind Vermittler, Vertrauensperson oder
Gegner Dincklages. Während der Plan des Majors am Ende scheitert, wird der Vermittler Schefold vom
fanatischen Nazi Reidel erschossen.
Andersch legt auch in „Winterspelt“ viel Wert auf das Thema der Freiheit des unabhängig denkenden
Subjekts. Der Konflikt zwischen Pflicht und Moral wird besonders bei Joseph Dincklage deutlich, der vor
der Entscheidung steht, seiner beruflichen Pflicht nachzugehen oder moralisch korrekt zu handeln.
Eingebettet in eingeschobene Biogramme und geologische sowie historische Exkurse erhält die erzählte
Welt Anderschs vermeintlich wirklichkeitsgetreue Züge. Ein weiteres Thema, das sich durch den Roman
zieht, ist die Auseinandersetzung mit der Kunst.
Ausgangspunkt für die Situierung des Romans in der Eifel war das Pastell-Bild „Rommersheim“ von
Anderschs Frau Gisela. Bedeutsamer jedoch ist das von Schefold vor den Nationalsozialisten gerettete, als
‚entartet‘ geltende Gemälde von Paul Klee. „Polyphon umgrenztes Weiß“ (eigentlich: „Polyphon
gefasstes Weiss“) liegt der Struktur des Romans zugrunde: Wie im Gemälde die sich gegenseitig
überdeckenden Farbfelder ein weißes Mittelfeld umspielen, sind es im Roman die komplex verwobenen
Perspektiven der Nebenfiguren, aus denen sich der Leser ein Bild des Protagonisten Dincklage selbst
zusammenfügen. Wie planvoll Andersch einmal mehr in seinem Schreiben vorgegangen ist, davon zeugt
das detaillierte Handlungsschema, aus dem er seinen Roman entwickelt hat.