Inhaltspezifische Aktionen

Tagungsbericht Verdachtsmomente

Studentische Konferenz: „Verdachtsmomente – Vermutungen, Grenzgänge und Brüche in der Kunst“, 01. – 02. Juli 2016, Institut für Kunstpädagogik, Justus-Liebig-Universität Gießen


Die studentische Konferenz „Verdachtsmomente – Vermutungen, Grenzgänge und Brüche in der Kunst“ am Institut für Kunstpädagogik, widmete sich über zwei Tage hinweg zahlreichen Fragen an die Kunst. Unter dem Titel, der von Prof. Angeli Janhsens „Kunstverdacht“ abgeleitet war, sollte dem Kunstbegriff und seinen Vielschichtigkeiten, Grenzen und unterschiedlichen Ausprägungen auf den Grund gegangen werden. Die Problematiken, die in der zeitgenössischen Kunst auftreten, das erneute Ausloten von Begrifflichkeiten in Verbindung mit aktuellen Phänomenen, aber auch historische Sichtweisen wurden dabei in den Blick genommen. Es entstanden fruchtbare Gespräche und ein angeregter Diskurs, in dem nicht nur bestehende Theorien umgewälzt und abgeglichen-, sondern auch neue Perspektiven eröffnet und Fragen aufgeworfen wurden. Eine abschließende Antwort auf die Fragen, die – zwar schon seit langem, aber jüngst immer vehementer – an  den Kunstbegriff gestellt wurden, ergab sich am Ende nicht. Der Konferenzstitel und Jahnsens „Kunstverdacht“ ließen aber schon vermuten, dass es um eine endgültige Lösung nicht gehen würde. Dafür konnten in verschiedenen Vorträgen unterschiedliche Betrachtungsweisen eröffnet werden, die einen differenzierten Blick auf die Zusammenhänge und Problematiken innerhalb des Kunstsystems  ermöglichten.

Die Konzeption, Planung und Umsetzung der Konferenz wurde im Rahmen eines Projektseminars unter der Leitung von Lisa Beißwanger von Studierenden des IfK erarbeitet und in der Zeit des Sommersemesters 2016 umgesetzt. Dabei standen inhaltlichen Fragen ebenso zur Disposition wie konkrete Fragen der Konferenzplanung. Die sorgfältige Planung der Veranstaltung durch das studentische Team sorgte für einen reibungslosen Ablauf. Nicht zuletzt durch die kulinarische Versorgung der insgesamt über sechzig Konferenzgäste und das zwanglose Abendprogramm, war die Veranstaltung im Konferenzraum wie auch darüber hinaus von einer produktiver und angeregte Arbeitsatmosphäre bestimmt.

 

Freitag, 01. Juli 2016 - Workshop mit Dr. Jan G. Grünwald

 

Eröffnungsworkshop

Im einleitenden Workshop, den Dr. Jan G. Grünwald konzipierte, konnten im Vorfeld zusammengetragene Zitate und konkrete Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen der Kunst miteinander in Beziehung gesetzt werden, um eine gemeinsame Reflexion über mögliche Sichtweisen auf Kunst anzustoßen. Dabei wurden nicht nur Zusammenhänge deutlich und Betrachtungsebenen eingegrenzt, sondern auch einige Problemstellungen und Fragen aufgeworfen, die die weitere Konferenz begleiten sollten.

 

Samstag, 02. Juli 2016

 

Keynote

Der zweite Konferenztag wurde eröffnet mit dem Vortrag „Monster und Gespenster – ästhetisierte Formen der Abweichung“ von Dr. Jan G. Grünwald. Unter den beiden titelgebenden Leitmotiven wurden verschiedene sozio-kulturelle Phänomene der heutigen Zeit im Kunstsystem kontextualisiert, um den unscharfen Grenzbereich des Kunstbegriffs in unserer Zeit bzw. mögliche Neuinterpretationen aufzuzeigen. Verschiedene mögliche Sichtweisen und Einordnungen von Strategien der Abweichung in der Kunst, an und zwischen den Grenzen des Systems, wurden dabei deutlich. Die unfreiwillige Verortung subversiver ästhetischer Strategien im System und die automatische Einbettung in bestimmte Sehgewohnheiten verdeutlichten die gleichzeitige Notwendigkeit und Unmöglichkeit von Brüchen und Veränderungen der Perspektive.

 

Panel 1: Transfigurationen des Alltags

Der Alltagsbezug und die Problematik der Abgrenzung und Definition war auch im ersten Vortragspanel unter dem Titel „Transfigurationen des Alltags“ Programm. In seinem Vortrag Die „Adaption des Alltags – Heimo Zobernigs Modifikationen der Wirklichkeit“, bettete Martin Dicke Zobernigs künstlerisches Werk in eine Frage nach der Bedeutung von Gewöhnlichem und Alltäglichem in der Kunst ein. Form und Funktion eines Kunstwerks schienen, ebenso wie der Mimesis-Gedanke, von der Umdeutung und Neuverwendung des Gewöhnlichen geprägt. Dabei spielen die Verortung im System und die Bezüge, die diese herstellt eine wichtige Rolle.

Diese Aspekte wurden auch in Sina Hartmanns Vortrag „Wie wird ein Werk zu einem Kunstwerk? Überlegungen zu Arthur C. Dantos Kunstphilosophie“ aufgegriffen. Mit dem Fokus auf die Bedeutung eines Werks als Kunstwerk in Abgrenzung gegen Nicht-Kunstwerke wurden, anhand konkreter Beispiele, die Fragen nach der Intention im Entstehungsprozess und dem Kunstschaffen als bewussten, intentionalen Prozess der Bedeutungsaufladung aufgeworfen. Dabei arbeitete sie die Abhängigkeit der Kunstdefinition vom jeweiligen systemischen Rahmen heraus und kontrastierte sie mit „zufälliger Kunst“ z.B. eines Kindes. Dass Künstler nicht zufällig Künstler sein können schien vor allem im Zusammenhang mit zeitgenössischer Kunstproduktion erneut diskutiert werden zu müssen. Um dies zu verdeutlichen, verknüpfte Sina Hartmann ihre Überlegungen mit ihrer persönlichen künstlerischen Praxis und integrierte eine gemeinsame Begehung ihrer eigenen Ausstellung.

 

Panel 2: Das Künstler*innenbild auf dem Prüfstand

Das zweite Panel mit dem Titel „Das Künstler*innenbild auf dem Prüfstand“ thematisierte zentrale Problemstellungen wie das Selbstverständnis von- und die systeminterne Rollenzuschreibung/ Erwartungshaltung gegenüber Kunstschaffenden.

Carolin Krahl eröffnete mit ihrem Vortrag „Künstler sind alle Versager“ eine Perspektive auf die Kunst im Zusammenhang mit Gesellschaftskritik. Eine „Ästhetik des Kunstversagens“, die Negation in der Kunst als Bruch in Form von Bildentzug und Vorenthalten inhaltlicher Bezüge verdeutlichen die selbstkritischen Potentiale der Kunst und den Versuch, sich dem herrschenden System zu stellen. Als theoretisches Fundament diente ihr dabei die Ästhetische Theorie von Theodor W. Adorno. Wie ein Kunstwerk als destruktives Moment des tradierten Kunstbegriffs agieren kann, zeigte Krahl am Beispiel der Ausstellung „fremd“ in der Reihe „Grassi invites“ des Grassi Museums Leipzig 2016. Die postkoloniale Definitionsmacht Kunst wird hier dekonstruiert und findet an ihrem Entstehungsort Platz.

Eine Kritik der selbstverständlichen Sicht auf Kunst und ihren gesellschaftlich zugewiesenen Funktionen übte auch Fides Schopp in ihrem Hörstück „rainbow it over“. In ihren Überlegungen wurden der Künstlermythos des mühselig arbeitenden Genies und das Streben nach Ruhm und Anerkennung mit dem Lottospielen verglichen. Die Vorstellungen vom Künstler-Sein als Monomanie und Daseinsfunktion werden in der Audiocollage mit zynischer Dialektik „gegen den Strich gebürstet“.  Beide Vorträge kritisierten nicht zuletzt die Funktionalisierung der Kreativität im Kunstmarkt und gesellschaftliche Bedeutungszuschreibungen und Erwartungen an Kunst, um die Frage nach der Selbstverständlichkeit künstlerischer Positionierung neu aufzurollen.

 

Panel 3: Künstlichkeit und Spiel

Das dritte Panel schließlich widmete sich erneut Formen der Abweichung innerhalb der Kunst: Unter dem Titel „Künstlichkeit und Spiel“ wurde an zwei unterschiedlichen und zeitlich weit auseinander liegenden Beispielen gezeigt, wie unscharf die Abgrenzung zwischen dem Spiel, der besonderen Sicht auf Realität und der Kunst sein kann und wie lange diese Problematik schon besteht.

Yasmin Frommont präsentierte eine historische Perspektive in ihrem Vortrag „Das Artifizielle in der Kunst – Betrachtungen des Verständnisses für Kunst im Manierismus“. Am Beispiel mehrerer Künstler, zeigte sie in ihren Ausführungen Werke des Manierismus als historische Grenzgänge zum (damals) allgemein akzeptierten Kunstbegriff. Die besondere Sicht auf Realität und die Kunst als Künstlichkeit wären demnach als Abweichungen innerhalb des Systems im Sinne der „Maniera“ des Künstlers zu verstehen. Diese Abweichungen, die vermutlich zu allen Zeiten existiert haben, machten die Relativität der Begrifflichkeiten und Begrenzungen im Kunstsystem deutlich.

Die Notwendigkeit einer begrifflichen Lockerung thematisierte auch Paul Wiersbinski, der in seinem Vortrag „Warum Spiele niemals Kunst sein können“ das Potential einer Öffnung des Kunstbegriffs hin zu zeitgenössisch höchst relevanten Phänomenen wie Computerspielen verdeutlichte. Dabei seien, so argumentierte Wiersbinski, das Spannungsfeld zwischen Realität und Fiktion, das Verändern von Realität und die überwältigende Simulation im Spiel als Verschiebung der Wahrnehmungsgrenzen im Sinne einer sublimen Erfahrung, Merkmale die Computerspiele zu Kunst machen können. Durch eine Definition des Spiels als Wirklichkeitssimulation und Erprobung zeigte sich die Möglichkeit, durch Reflexion Spielerfahrung als Kunsterfahrung zu verstehen.

 

Abschlussdiskussion

Abschließend konnten die einzelnen Stränge der Panels in der Diskussion nochmals verknüpft und Fragen geklärt werden. Die zentralen Themen wie bewusste Intention, institutioneller Rahmen, kritische Funktion und subjektive Rezeption von Kunst wurden nochmals aufgegriffen und in die Konferenzthematik eingebettet. So zeigte sich, wie auch Angeli Janhsen beschrieb, dass es nicht eine Definition oder Abgrenzung von Kunst geben kann, sondern nur einzelne, für sich gültige Teildefinitionen. Die Frage, inwiefern sich die Kunst im System der Kunst selbst kritisch reflektieren kann zeigte sich besonders deutlich als gegenwärtige Problematik in der Kunstproduktion und -rezeption und blieb bis zum Ende der Konferenz relevante Konstante des Diskurses.

 

Tagungsbericht von Johnny Linder und Hendrikje Streiter