Inhaltspezifische Aktionen

Der Patriot, 1725, Nr. 58

Der Patriot, No. 58, 8.2.1725; ed. Martens, Bd. II, 1970, 41-51.
-- Digitale Version: Thomas Gloning; 5/2002;
-- <<58/41>> = Nummer + Seite der Martens-Ed.; Unterstreichungen = Sperrungen im Original.
-- (c) You may use this digital version for scholarly, private and non-profit purposes only. Make sure that you do not violate copyright laws of your country in using this file. Do not remove this header.

<<58/41>>

No. 58.

Der Patriot.

Donnerstags, den 8. Febr. 1725.


QUISQUE SIBI PLACET, ET SAPIENS SIBI QUISQUE VIDETUR.
HINC RISUM EXCUTIMUS SUPERIS, HINC PLURIMUS ERROR. PALINGENIUS.


Die Eigenliebe ist ein Trieb, welchen der allweise Schöpffer
seinen vernünfftigen Creaturen zu deren Erhaltung und der
Beförderung ihres wahren Wohlseyns eingepflantzet hat. Nachdem
aber die Menschen am Verstande und Willen verderbet
sind, und täglich durch Vorurtheile, Nachahmung und irrige
Aufferziehung ihr Elend häuffen; so ist die wahre Eigen=Liebe
fast gäntzlich erloschen, und man suchet mehr seinen eigenen
Schaden, als Nutzen, zu befördern.

Die sinnliche Natur ist mit lauter angenehmen Bildern
vergänglicher Schein=Güter angefüllet, und lässet dem Verstande
durch ihre unabläßige Reitzungen keine Zeit übrig, die wahre
Beschaffenheit derselben genugsam zu untersuchen.

Daher werden die meisten Menschen von ihren herrschenden
Neigungen, als einem Strohm, dergestalt dahin gerissen, daß
ihre Handlungen fast keine Würckungen einer vernünfftigen
Seele, sondern blosse Triebe einer Viehischen Creatur, zu
seyn scheinen.

Das eintzige bleibet öffters noch übrig, woraus man die
Merckmahle einer Menschlichen Seele bey solchen Leuten
erkennen mag, daß sie gleichwohl sich bemühen, ihre Fehler
und Laster vor anderen Menschen zu verhelen: und die
wenigsten sind in solche ungezähmte Frechheit verfallen, daß
sie öffentliche Laster begehen, und sich noch damit rühmen
sollten.

<<58/42>>

Die meisten wollen bey allen ihren Thorheiten für klug und
tugendhafft, und bey täglicher Uebertretung Göttlicher
Gebote für gute Christen, angesehen seyn.

Der gröste Schade, welchen diese Verstellung nach sich
ziehet, ist dieser, wenn sie ihnen selbst schmeicheln, und sich
besser zu seyn bereden, als sie in der That sind.

Großhaupt, welcher, nächst seinem Herrn, die meiste
Gewalt im Lande hat, sinnet täglich auff neue und unerträgliche
Lasten schwerer Abgaben und Dienst=Leistungen, worunter
die Unterthanen fast erliegen, und der meiste Theil
derselben verarmen muß. Er ist unerbittlich gegen die Klagen
der Nohtleidenden, unersättlich in Sammlung grosser Schätze,
listig in Ersinnung allerhand Räncke, und grausam in deren
Ausführung. Die verbindlichsten Verträge dauren nur so
lange, als er seinen Vortheil dabey findet, und die Unterhaltung
blutiger Kriege und Landes=Verheerungen sind seine
angenehmsten Beschäftigungen. Bey diesem allen bemühet
er sich, tugendhafter zu scheinen, als er ist. Wann er sich
öffentlich sehen lässt: klähret er sein Gesicht zu einer gezwungenen
Freundlichkeit auff, begegnet allen höflich und leutselig,
weiset diejenigen, welche das Hertz fassen, ihm ihre
Noht zu klagen, zur Gedult, und entschuldiget sich mit
seinem Unvermögen und dem hohen Interesse seines Herrn.
Er versäumet keinen öffentlichen Gottes=Dienst, sondern
wartet selbigen mit stiller Auffmercksamkeit und andächtiger
Stellung von Anfang bis zu Ende ab. Er hat seine besondere
Beht=Cammer, und verschliesset sich öffters darin, ohne jemand
auch mit den wichtigsten Angelegenheiten, vor sich zu lassen.
Wenn ihn einmahl sein eigenes Gewissen, als ein strenger
Richter, zur Rede setzet; so weiß er sein Verhalten mit der
unverbrüchlichen Treue gegen seinen Herrn zu beschönigen,
und es mit der Vorstellung zu beruhigen, daß er bloß seinem
Herrn zu Nutze dasjenige verrichte, was seine obhabende
theure Pflicht von ihm fordere. Mit dieser Schmeicheley
schläffert er sich dergestalt ein, daß er sich selber für den
<<58/43>>
Tugendhafftesten und Ruhm=würdigsten Mann hält, so gar,
daß, wann ihm einer sagen sollte, er habe unter andern rühmlichen
Thaten auch viele Armen= und Zucht=Häuser im Lande
errichtet, er diesen beissenden Schertz für ein wohlverdientes
Lob annehmen würde, ob gleich unter seiner Auffsicht nicht
ein eintziges Hauß zu Stande gekommen, worin würcklich
Arme verpfleget und wahrhafftig Böse zu ihrer Besserung
gezüchtiget werden, wohl aber die meisten vermögenden
Häuser des Landes arm gemachet, und ihre Einwohner ohne
Schuld und Verbrechen geängstiget, worden.

Wilderich hat bereits 3. unschuldige Leute im Duell
erschossen, davon der eine nichts mehr gethan, als daß er ihm
in seinen prahlerischen Erzehlungen einige Umstände sittsam
genug widersprochen, und die andern beyde ihm einiges Geld
im Spiele, ohne allen Betrug, abgewonnen haben. Wer denselben
nur unfreundlich ansiehet, muß des andern Tages mit
ihm zu Felde ziehen, und, wann er getruncken, müssen ihm
seine besten Freunde aus dem Wege gehen. In seinem Hause
hält er so scharffe Zucht, daß er fast täglich bald Frau, bald
Kind, bald Gesinde Wechsels=weise herum prügelt: und, wann
ihn die rasende Wuht seines thörichten Eiffers ergreiffet,
schmeisset er Spiegel, Gläser und Fenster in seiner eigenen
Stube in Stücken. Gleichwohl muß man ihm billig nachsagen,
daß er seine Pflicht als ein Soldat bey allen Vorfällen wohl
beobachte, und überall Muht und Hertzhafftigkeit spühren
lasse, auch jeden Kirchen=Tag die Predigten sehr fleißig
besuche. Er betheuret mit den entsetzlichsten Flüchen, daß er
kein Zäncker und Friedens=Störer sey, sondern nur seinen
ehrlichen Nahmen gegen diejenigen vertheidige, welche ihm
ohne sein Verschulden zu nahe träten, und was er in seinem
Hause thäte, geschehe beliebter Zucht und Ordnung halber.
Er beredet sich auch dessen selber, und schmeichelt sich mit
der einem Soldaten wohlanständigen Tugend der Tapfferkeit,
ohnerachtet er die wahre Tapfferkeit, in Ueberwindung seiner
selbst, noch niemahlen erwiesen.

<<58/44>>

Haberecht, ein ansehnlicher Greiß, dessen verruntzeltes
Angesicht lauter Hieroglyphische Figuren einer verborgenen
Weisheit vorstellet, will in allen Gesellschafften das Wort
allein haben, und durch seine Richterlichen Aussprüche allen
vorkommenden Gesprächen den Ausschlag geben. Er erzürnet
sich gegen die gründlichsten und bescheidensten Widersprechungen,
und will seinen Verstand allein zum Maaß=Stab
aller Wahrheit machen. Alle andere Menschen sind nach
seinem Begriff zu urtheilen schuldig, und sein alleiniger Ausspruch
sol zu völliger Ueberzeugung genug seyn. Er durchblättert
alle neue Schrifften, und, so bald er das geringste
entdecket, welches seiner Meynung entgegen stehet, lässt er
eine Widerlegung mit beissenden Anzüglichkeiten dagegen in
den Druck gehen, und, dafern es gleich Dinge sind, welche
die Religion kaum von weitem berühren, aber nicht auff seinen
Gründen sich fussen; weiß er die Schädlichkeit solcher
Lehren, durch auffgebürdete Folgerungen, mit so heftiger
Erbitterung vorzustellen, daß er den armen Verfasser, wider sein
Absehen und Verschulden, zum Ketzer macht, und ihn als
einen Un=Christen oder offenbahren Atheisten, auff ewig
verdammet. Bey diesem allen ist er unermüdet, die Heilige
Schrifft und deren verschiedene Erklährungen zu lesen, die
Geheimnisse derselben mit seiner Vernunfft einzusehen,
unzähliche Fragen zu gelehrter Erörterung auffzuwerffen, und
alle neue und alte Religions=Streitigkeiten nach seinen abstracten
Sätzen zu untersuchen. Das Kirchen=gehen versäumet er
niemahls, und beredet übrigens sich selber, daß er allein für
die Ehre GOttes, und dessen heilige Gebote streite: da er
doch das vornehmste derselben, nehmlich die Liebe und
Sanfftmuht gegen seinen Nächsten, täglich übertritt.

Eitelsinn ist kaum von seinem Lager auffgestanden, da
er sich bereits vor einen grossen Spiegel stellet, und unter
einem halben Dutzend zur Hand liegenden Nacht=Kleider,
Casaquinen und Mützen denjenigen Putz aussuchet, welcher
ihn diesen Morgen am besten kleiden würde. Wann er seinen
<<58/45>>
Thee oder Chocolade an einem wohl=auffgeputzten Tische
genossen, und sich eine Stunde mit Lesung eines Romans,
oder anderer lustigen Historien ergötzet hat; spatziret er in
seine Kleider=Cammer, und wehlet sich, nach einer langen
Berahtschlagung, unter den in doppelter Reyhe hängenden
Kleidungen diejenige aus, in welcher er sich diesen Tag
öffentlich will sehen lassen, wandert so dann vor seinen Spiegel,
lässt sich ein Stück nach dem andern mit sorgfältiger Betrachtung
anthun, versuchet bald eine kurtze, bald eine lange
Perucke, lässet die Zöpffe bald vorwerts, bald hinterwerts,
knüpffen, und leget, zu Erhebung seiner weibischen Schönheit,
einige schwartze Flecken ins Gesicht. Nachdem er sich
solchergestalt in seinem völligen Putze noch eine Zeitlang mit
veränderten Stellungen vergnüglich betrachtet, seinen Mund mit
lächelnder Freundlichkeit, und seine Augen in Liebreitzenden
Blicken geübet; setzet er sich mit grosser Behutsamkeit in
einen kostbahren Fenster=Wagen, besuchet einige Damen bey
ihrem Anzuge, und dencket hiernächst auff eine lustige
Gesellschafft, mit welcher er zu Mittage speisen möge, nimmt
sich aber dabey wohl in acht, daß er nichts geniesse, was
seiner Schönheit nachtheilig seyn könne. Nach geendigter
Mahlzeit hält er eine Stunde Mittags=Ruhe, gehet alsdann in
Spiel=Gesellschafft, fähret von dar in die Opera, und beschliesset
endlich den Tag und die halbe Nacht mit einem vergnüglichen
Ball, worin er die Geschicklichkeit seiner Beine mit Zufriedenheit
bewundern siehet. Dabey ist er jederzeit freundlich, gesellig,
liebreich, und hütet sich vor aller Uebermaasse, die seiner
Gesundheit und annehmlichen Gestalt schaden könne. Er
versäumet selten einen öffentlichen Gottes=Dienst, und beehret
denselben, so zu sagen, jedesmahl, wo nicht mit einem neuen,
doch veränderten, Kleide. Er hat die gewöhnliche Viertel=jährige
Communion nicht mehr als einmahl auff 8. Tage verschieben
müssen, weil ihm sein Schneider die Ermel an dem
schwartzen Kleide nach der Façon zu ändern vergessen hatte.
Wann ihm einige wahre Freunde seine thörichte und müssige
<<58/46>>
Lebens=Art vorrücken wollen; weiß er ihnen bald zu begegnen,
daß er nichts, als Reinlichkeit, liebe. Er könne seine, von Natur
ihm verliehene, gute Gestalt nicht wegwerffen. Er pflege
seiner Gesundheit und Gemühts=Ruhe. Ein junger Mensch
müsse durch gute Stellung und Aufführung sein Glück machen.
Er thue niemand etwas zuwider, und verrichte seine Andacht,
wie andere. Solchergestalt schmeichelt sich dieser Verschwender
der edlen Zeit mit seiner eigenen Thorheit, und mercket
nicht, daß er mehr seine Kleider, als sein Hertz, zur Kirche
trage.

Geilemine hatte in ihrer Jugend mehr Schönheit, als
Reichthum, zum Erbtheile erhalten. Sie fand bey
heranwachsenden Jahren bald ihre Anbeter. Die Geschencke, mit
welchen sie überhäuffet ward, vermehreten ihre Neigung zu
dem Männlichen Geschlechte. Sie erwehlete den reichesten
und freygebigsten, und ließ sich den Genuß einer verbotenen
Umarmung theuer genug bezahlen. Sie gab es nachher wohlfeiler,
und ward endlich durch ihre frechen Lüste dahin verleitet,
daß sie in berüchtigten Häusern sich fast jedermann
darbot. Nachdem aber der Spiegel ihres Gesichts durch heßliche
Kranckheit und mehrere Jahre ziemlich verdunckelt war;
beredete sie noch einen alten doch wohlhabenden Mann zum
Ehestande, und führete mit selbigem eine ziemlich friedliche,
doch nicht allzukeusche, Ehe. Nunmehro, da selbiger, mit
Hinterlassung eines hinlänglichen Gutes, verstorben, und ihre
Schönheit vollends .verwelcket ist, fänget sie an, eingezogener
zu leben, und nimmt vom Männlichen Geschlechte, ausser
ihren nächsten Freunden, und Geistlichen Personen, keinen
Besuch an. Doch, wann sie sich je zuweilen mit einem und dem
andern verkappten Heuchler in ihr Cabinet verschliesset, wollen
die wenigsten glauben, daß es auf lauter geistliche Uebungen
abgesehen sey. Sie ereiffert sich über den unschuldigsten
Umgang tugendhaffter Leute von beyderley Geschlechte, und
schreyet selbigen bald für verdächtig und straffbar aus. Sie
beneidet alles, was nur gutes von andern ihres Geschlechtes
<<58/47>>
gerühmet wird, und sparet ihres heimlichen Giffts, zu Befleckung
ehrlicher Leute, nicht. Dabey lieset sie mehrentheils in
geistlichen Büchern, und weiß von der Sitten=Lehre, von den
Sätzen ihrer Religion, der Kirchen=Historie, und den Streitigkeiten
so fertig zu reden, daß sie darin ein Wunder ihrer Zeit
ist. Den Gottes=Dienst wartet sie mit Seufftzen und Stöhnen,
mit winden der Hände, und Verdrehung der Augen, andächtig
ab. Sie vergisst auch nicht, sich öffters zu prüffen, und ergötzet
sich an dem vielen guten, das sie an sich bemercket. Sie
erinnert sich wohl ihres vorigen Wandels; allein sie findet auch
bald die Entschuldigung, daß sie aus Noht darzu getrieben
worden, und daß sie nunmehro diese Sünde verlassen habe.
Daß sie wider ihre Nächsten eyffere, geschehe aus gerechtem
Haß gegen die Laster, und hertzlichem Wunsche zu deren
Besserung. Sie sey in ihrer Lehre so wohl gegründet, daß sie
es für eine Pflicht achte, ihrem Gewissen zu widersprechen,
wenn es ihr einigen Zweiffel an der Seeligkeit machen wolle.

Sauffejus suchet sein gröstes Vergnügen in schmausender
Gesellschafft, und Ausleerung grosser Gläser. Er kennet den
besten Wein so fort an der Farbe und dem Geruch, und, wann
er ihn kostet, weiß er sein Herkommen und Alter auffs
genaueste zu beschreiben. So bald er auffgestanden, nimmt er
ein paar Gläser Aquavit zum Frühstücke zu sich, schmauchet
nachher eine Pfeiffe Toback, und leget den Grund zu der
herannahenden Mittags=Mahlzeit mit einer Bouteille Mosel=Wein
und einigen Zwieback. Bey der Mahlzeit selbst sind
2. biß 3. Maaß Wein sein gewöhnlicher Tisch=Trunck, und,
wenn er die Freude genossen, daß er seine Mit=Gesellen zu
Boden gesoffen, gehet er vergnügter von dannen, als dafern
er den wichtigsten Sieg befochten hätte. Wer ihn nüchtern
sprechen will, muß sehr frühzeitig kommen, und es ist ihm
nichts neues, daß er 2. Räusche in einem Tage ausschläffet,
mit dem dritten aber zu Bette gehet. Wann er das seltene
Unglück hat, keine Gesellschafft zu finden; so trincket er sich
auff seine eigene Hand voll, und kühlet sich mit Bier und
<<58/48>>
Toback wieder ab. Dabey nimmt er sich gleichwohl sorgfältig
in acht, daß er 3. Tage vor, und so viel Tage nach, seiner
Viertel=jährigen Andacht blosserdings keinen Rausch trincket,
auch des Sonn= und Fest=Tages nicht anders, als nach geendigten
Predigten, welche er selten versäumet, zu einem Schmause
gehet. Er verrichtet auch sein Morgen=Gebeht, und, weil er
nicht versichert ist, wie es am Abend mit ihm beschaffen seyn
möchte, so brauchet er die rühmliche Vorsorge, daß er zu
gleicher Zeit auch sein Abend=Gebeht im voraus ablieset.
Er ist gegen jedermann freundlich und gesellig, und gleichet,
auch wann er betruncken ist, mehr einem Affen als Löwen.
Er dienet andern gern, so viel es die schwachen Kräffte seines
gar selten nüchternen Verstandes zulassen, und ist gegen
niemand empfindlich, als gegen diejenigen, welche ihn in seinem
nassen Vergnügen stöhren wollen. Wenn ihm andere, oder
sein eigenes Gewissen, die unordentliche Lebens=Art vorrücken;
weiß er sich bald zu entschuldigen, daß es sein Temperament
so mit sich bringe. Er brauche zu Stillung seines Durstes
mehr, als andere Menschen, und, wann er auch aus
Treuhertzigkeit und Vergnügen sich mit guten Freunden einen
Rausch trincke, schade es doch seiner Gesundheit nicht. Er
thue auch niemand nichts zuwider, und warte seine Andacht
mit nüchternem Leibe ab.

Geitzenau liebet nichts, als sein Geld und Gut. Er sinnet
Tag und Nacht, wie er solches vermehren, und vor Dieben
oder Betriegern sorgfältig bewahren möge. Bey einer Tonne
Goldes, so er bereits gesammlet hat, siehet man nichts, als
Mangel und Kummer, in seinem Hause. Er klaget über böse
Zeiten, schwere Abgaben, und schlechten Verdienst. Der
geringste Mißwachs machet ihm schlafflose Nächte, und
wünschte er zu solcher Zeit lieber, daß sein Weib, Kind und
Gesinde, so wie er, mit trockenem Brodt und Käse vor Willen
nehmen wolten. Seine wenigen Bediente sehen mißvergnügt
und halb verhungert aus. In seinem Keller ist, ausser dem
benöhtigten Covent, weder Wein noch Bier vorhanden; doch,
<<58/49>>
wenn er zu Gaste geladen wird, lässet er ihm beydes wohl
schmecken. Er wendet mehr auff sein Vieh, als auff die Seinigen,
und würde eher Weib und Kind sterben lassen, als dem Artzte
nur etwas weniges für ihre Genesung zahlen. Er leyhet dem
nohtleidenden Handwercks=Mann, auch gegen die gewisseste
Versicherung, kein Geld unter 8. pro Cent, und dinget sich
noch dabey ein gutes Stück Arbeit in seine Wirthschafft aus.
Er fürchtet nichts so sehr, als den Banquerout seiner Schuldner,
und ängstiget sich, wann sie nur einen Tag an der Zahlung
versäumen. Er ist hart gegen die Seinigen, unerbittlich gegen
seine Schuldner, zänckisch mit seinen Nachbahren, und
betrügerisch gegen alle, die mit ihm zu verkehren haben. Wie
er aber wohl weiß, daß an GOttes Seegen alles gelegen sey,
so betet er auch die 4te Bitte mit dem grösten Eiffer. Er
entziehet sich niemahls dem ordentl. GOttes=Dienste, nachdem
er vorher die Bewachung seines Schatzes sorgfältig angeordnet
hat, und die öffentlichen Fast=Tage werden nirgends so genau,
als bey ihm, gefeyret. Er hält mit den Seinigen lange
Bet=Stunden, und prediget ihnen von der Mäßigkeit und
Arbeitsamkeit, als den vornehmsten Tugenden, täglich vor. Er
eiffert wider die Wohllust, Verschwendung, und andere seiner
Neigung entgegen stehende Laster mehr. Er theilet Allmosen
aus, damit es ihm doppelt vergolten würde, und sammlet
die falsche Müntze, welche ihm, seiner Vorsichtigkeit
ohnerachtet, zuweilen mit einlauffet, in eine besondere Büchse,
damit er desto reichlicher unter die Armen austheilen möge.
Er hat in seinem Testamente der Kirche eine Summe von
ungewissen Schulden vermachet, und, wenn er sich vollends
erinnert, wie ihm einstens eine ansehnliche Ehren=Stelle unter
dem Bedinge, seine Religion mit einer andern zu verwechseln,
angetragen, von ihm aber großmühtig ausgeschlagen, worden;
so meynet er vor andern Christlichen und Tugend=hafften
Leuten noch vieles voraus zu haben.

Bey allen diesen Feigen=Blättern, womit die verkehrte
Eigen=Liebe den Schaden oberwehnter Laster zu bedecken
<<58/50>>
pfleget, füget sich annoch die verkehrte Zueignung folgender
Wahrheiten bey: Daß wir alle schwache Menschen sind: Daß
keiner ohne Fehler sey: Daß mit unserm Thun nichts
verdienet werde: GOtt sey barmhertzig und gnädig etc. Solcher
Gestalt aber werden die thörichten Menschen in ihrem Elende
eingeschläffert, und küssen die Fessel, welche sie in ihr
zeitliches und ewiges Verderben schleppen.

Wider dergleichen Grund=verderbliches Uebel habe ich
ehemals zu meiner eigenen Bewaffnung und Erbauung
folgende Regeln auffgesetzt, die ich meinen Lesern schließlich
zu ihrem ebenmässigen Nutzen mittheile.

Liebe dich vernünfftig, und so, wie es die Beförderung deines
wahren Wohlseyns erfordert.

Suche dein zeitliches Gut in der Zufriedenheit, und erwarte
dein vollkommenes Wohl in jener Ewigkeit.

Lerne deine Mängel und Thorheiten erkennen, und glaube,
daß sie alsdann am grösten sind, wann du keine an dir
merckest.

Brauche die Mittel einer wahren Tugend und eines
aufrichtigen Christenthums.

Gedencke, daß dieses mehr im Thun, als Wissen, mehr in
Liebe und Gehorsam, als in vorwitzigem Nachgrübeln
Geheimniß=voller Dinge bestehe.

Dämpffe die Herrschafft deiner verderbten Neigungen, so viel
an dir ist, und siehe selbige als die vornehmsten Hindernisse
deines wahren Wohlseyns an.

Streite nicht nur wider die eine und andere derselben, welche
dir von Natur zu überwinden leicht sind, sondern richte
deinen Kampff vornemlich gegen deine Haupt=Neigung und
Schooß=Sünden.

Erwege, daß der Göttliche Wille nicht nur in wichtigen,
sondern auch in geringe scheinenden, Dingen Gehorsam
erfordere.

<<58/51>>

Gedencke indessen nicht, daß du deine Menschlichen Neigungen
gäntzlich ausrotten müssest; sondern bringe sie nur zum
Gehorsam der Vernunfft und des Göttlichen Willens.

Erkenne aber zugleich dein Unvermögen, und fliehe von deiner
verderbten Natur zu der unermeßlichen Gnade GOttes.

Folglich bete und arbeite.


tg, 15.5.2002