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„Also ich weiß nicht, ob ich mich heute so sehr vegan ernähren würde, wenn ich kein Instagram hätte.“

07.03.2022: Bereits in ihrer Bachelorarbeit hat Lena Roth die Bedeutung sozialer Medien für die Auseinandersetzung mit dem Thema Ernährung im Jugendalter untersucht. In ihrer Masterarbeit ist sie dem Thema vertiefend mittels Online-Interviews nachgegangen.

Die Rolle der Kommunikation in der Ernährungssozialisation  

Unterschiedliche Sozialisationsinstanzen wie Familie, Bildungseinrichtungen, die Peergroup sowie Medien tragen kommunikativ zur Ernährungssozialisation bei. Insbesondere vor dem Hintergrund der Mediatisierung stellt sich die Frage, ob Medien eine unabhängige Sozialisationsinstanz neben den anderen sind, oder aber den gesamten Prozess der Sozialisation durchdringen – also mediatisieren.

Die Sonderrolle sozialer Medien

Im (Ernährungs-)Alltag junger Erwachsener sind insbesondere soziale Medien omnipräsent und prägen somit die Vermittlung gesellschaftlicher Realität. Zudem bieten soziale Medien im Gegensatz zu den klassischen die Möglichkeit auch selbst aktiv zu kommunizieren, wodurch sich auch die Ernährungskommunikation verändert. Um die Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten zu untersuchen, mangelt es bisher an einer umfassenden Betrachtung, bei der soziale Medien als Teil einer mediatisierten Ernährungssozialisation darstellen. Um dieses Forschungsdesiderat zu schließen, wurden im August 2021 zehn Online-Interviews geführt. Die je fünf weiblichen und männlichen Befragten (19-25 Jahre) waren zum Zeitpunkt der Befragung bereits aus dem Elternhaus ausgezogen und befanden sich in Ausbildung, Studium oder arbeiteten bereits. Alle hatten als höchsten Bildungsabschluss mindestens die allgemeine Hochschulreife.

 

Also ich weiß nicht, ob ich mich heute so sehr vegan ernähren würde, wenn ich kein Instagram hätte.weiblich, 24 Jahre

Die Interviews haben gezeigt, dass die Befragten soziale Medien das tatsächliche Ernährungsverhalten beeinflussen: zum einen durch die Vielzahl an vorhandenen Rezepten; zum anderen durch die bewusste Auseinandersetzung mit Ernährungsdiskursen. Bei diesen handelt es sich voranging um die Kommunikation über nachhaltige Ernährung und die damit einhergehende Konstruktion einer nachhaltigen Ernährungsweise. Außerdem geht es in den Diskursen um die Vermittlung von heteronormativen Körperidealen sowie damit einhergehende (restriktive) Diätratschlägen. Besonders die weiblichen Befragten äußerten sich kritisch zu letzterem, da ihre Körperwahrnehmung bereits negativ durch soziale Medien geprägt wurde oder nach wie vor ist.

 

[…] von Mama hauptsächlich […] habe ich […] meine Kategorisierung, was ich als gut oder schlecht oder gesund oder ungesund empfinde. – weiblich, 22 Jahre

Während soziale Medien das Potenzial haben, Ernährungsvorstellungen und damit das Ernährungsverhalten zu prägen, sollte der Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen, wie der Familie oder der Peergroup nicht unterschätzt werden. Es hat sich beispielweise gezeigt, dass vor allem die Vorstellung einer gesunden Ernährung maßgeblich durch die Familie und nicht durch (soziale) Medien vermittelt wird. Die Auseinandersetzung mit Ernährung (-sweisen) wird meist zunächst durch das soziale und alltägliche Umfeld angeregt, bevor sich in sozialen Medien damit auseinandergesetzt wird. Dies betrifft nicht nur die zunehmende Auseinandersetzung mit einer nachhaltige(-re)n Ernährung, sondern auch heteronormative Körperideale. So schilderten die weiblichen Befragten eindrücklich, dass durch die Familie und Freunde bereits in der frühen Jugend die Wichtigkeit eines schlanken Körpers vermittelt wurde, bevor sie sich auch in sozialen Medien mit entsprechenden Inhalten beschäftigt haben. 

 

„Weil es da so kurz und schnell so zum Drüberlesen ist.“ – weiblich, 24

Während soziale Medien also selten die einzige Quelle von Ernährungskommunikation sind, lassen sie sich doch von klassischen Medien aber auch der alltäglichen Kommunikation durch die Art und Weise, wie in sozialen Medien kommuniziert wird, abgrenzen. Erstens ist die bildbasierte sowie „kurze und knappe“ Art und Weise der Kommunikation besonders alltagstauglich und anschlussfähig. Zweitens, bedingen individualisierte Feeds und Algorithmen die Ernährungsthemen, denen die Befragten in sozialen Medien begegnen. Folglich sind die Ernährungsinhalte in sozialen Medien abhängig von bereits vorhandenen Interessen und potenzieren so (bereits vorhandene) Ernährungsvorstellungen durch die Konfrontation mit (meist) einheitlichen Ernährungsinformationen.

 

Die vermittelten Ernährungsvorstellungen sozialer Medien entsprechen zwar jenen anderer Medien, wie Zeitschriften, TV-Sendungen oder Dokumentationen, begleiten den Alltag jedoch stärker und haben so das Potenzial Vorstellungen stärker zu verfestigen.

 

Aber es ist ja irgendwie so der Standard, dass wenn man irgendwie ins Restaurant geht, erst einmal ein Bild vom Essen machen.“ – männlich, 24

Ergänzend konnten mit den Interviews auch Einblicke generiert werden, wie junge Erwachsene selbst aktiv in sozialen Medien durch Ernährung kommunizieren. Nämlich, vor allem durch das Teilen von besonders schönen oder ästhetischen Essensbildern; meist beim Essen außer Haus und mit Freunden. Indem die soziale Praxis der gemeinsamen Mahlzeit bildlich festgehalten und geteilt wird, kann einerseits die eigene Ernährungsidentität und die damit verbundene soziale Verortung innerhalb einer Gruppe ausgedrückt werden. Andererseits ermöglichen soziale Medien es ort- und zeitunabhängig mit Freund:innen und Familienmitgliedern das Esserlebnis zu teilen.

 

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse der Arbeit haben gezeigt, dass soziale Medien durch die Art und Weise, wie in ihnen Ernährung kommuniziert wird, gegenüber klassischen Medien bei jungen Erwachsenen besonders anschlussfähig sind. Es wurde jedoch auch deutlich, dass die in sozialen Medien stattfindende Ernährungskommunikation eher an gesellschaftliche Ernährungsdiskurse anknüpft und diese fortführt. Daher ist davon auszugehen, dass soziale Medien keinen eigenständigen Einflussfaktor darstellen, sondern, dass sie im Kontext aller Sozialisationsinstanzen betrachtet werden müssen.

 

Lena Roth hat an der JLU ihren B. Sc. Ökotrophologie sowie M. Sc. Ökotrophologie absolviert. Ihre Masterarbeit mit dem Titel „Mediatisierte Ernährungskommunikation im Jugendalter - Der Beitrag der Ernährungskommunikation“ hat sie im Dezember 2021 erfolgreich an der Professur für Kommunikation und Beratung in den Agrar-, Ernährungs- und Umweltwissenschaften verteidigt. Bereits in ihrer Bachelorarbeit hat Lena Roth hat die Bedeutung sozialer Medien für die Auseinandersetzung mit dem Thema Ernährung im Jugendalter untersucht. Aktuell arbeitet sie in Leipzig an einem Projekt für die Evaluation und Weiterentwicklung einer DiGA (Digitale Gesundheitsapp) für die Therapie von Adipositas.