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10. November 2022 | Von der Ressourcenquelle zum aktiven Partner: Rückblick auf das planetare Kolloquium Perspektiven zu den Rechten der ›Natur‹

 

Um dem anhaltenden Verlust an genetischer Vielfalt auf dem Planeten effektive Maßnahmen entgegenzusetzen, sprechen sich immer mehr Stimmen für eine feste Verankerung von Rechten der ›Natur‹ in westlichen Rechtssystemen aus. Fragen danach ob, wie und warum die unzähligen tierlichen, pflanzlichen, mikrobiellen und andersartigen Bewohner:innen des Planeten die Politik mitgestalten können beschäftigte unser Panel im planetaren Kolloquium.

In seiner Einstiegs-Keynote „Welche Rechte braucht die Natur?“ zeichnete der Soziologe Frank Adloff (Universität Hamburg) zunächst die Entwicklung unterschiedlicher Konzeptionen von Rechten für Tiere, Pflanzen, und Ökosysteme nach. Schnell wurde deutlich, dass westlich geprägte Debatten um Nachhaltigkeit, Umwelt-, oder Tierschutz bislang weit davon entfernt sind, den intrinsischen Wert nichtmenschlicher Lebensformen anzuerkennen.  Adloff schlägt daher einen „methodologischen Animismus“ vor: Ausgehend des Grundprinzips vieler indigener Kulturen, nach dem alle planetaren Bestandteile als belebt und beseelt verstanden werden, könnten Lebewesen wie Würmer, Pilze, oder Flüsse programmatisch als Quasi-Subjekte begriffen werden. Er kombiniert so die indigene Kosmologie mit einem westlichen Rechtsverständnis, sodass sich nichtmenschliche Lebensformen als kollektive Rechtssubjekte zusammenfassen lassen. In Antwort zu Adloff zeigte die Soziologin Doris Schweizer (Goethe Universität Frankfurt) Schwierigkeiten in Verbindung zur Übertragbarkeit menschlicher Rechtskonzeptionen auf nichtmenschliche ›Rechtspersonen‹ auf. Obgleich Sie das politisches Potenzial hinter der Idee anerkennt, können Rechtssysteme ihre anthropozentrische Ausrichtung lediglich relativieren, nicht jedoch gänzlich überkommen. Anschließend warf Ökosystemforscherin Emily Alice Poppenborg (JLU Giessen) weitere Zweifel auf: Menschliche Gesellschaften seien heutzutage so eng in die Funktionsweisen von Ökosystemen verstrickt, dass der Begriff ›Natur‹ in Poppenborgs Forschung gar keinen Gebrauch findet; außerdem untermauere er fehlgeleitete Vorstellungen einer Trennlinie zwischen ›Kultur‹ und ›Natur‹. Dennoch konnte Juristin Franziska Johanna Albrecht (Green Legal Impact, Berlin) zeigen, dass Rechte der ›Natur‹ – so unvollkommen sie auch sein mögen – als effektive Werkzeuge im Sinne der Repräsentanz nichtmenschlicher Interessen eingesetzt werden können.

Erst am 3. Oktober 2022 wurde die spanische Lagune „Mar Menor“ zur ersten natürlichen Rechtsperson in Europa erklärt. Ob dieser Status dem immens bedrohten Ökosystem tatsächlich aus der Krise verhelfen wird bleibt abzuwarten und wird bereits von Expert:innen in Frage gestellt (cf. Soro Mateo und Álvarez 2022). In den Versuchen, das Konzept der ›Natur als Rechtsperson‹ weiter auszureifen um es effektiv in die Praxis umzusetzen, stellen indigene Modelle zweifelslos Vorreiter zur Orientierung dar. Rechte der ›Natur‹ können und sollten in diesen Versuchen jedoch keinesfalls als ein Allheilmittel gegen anthropozentrisch ausgerichtete Politik verstanden, sondern immerzu kritisch hinsichtlich ihrer Motivationen hinterfragt werden. Als stets weiter auszufeilende Werkzeuge können Sie jedoch zur Relativierung anthropozentrischen Denkens beitragen – und so vielleicht dem Artensterben entgegenwirken.

 

Eine Aufnahme des hybriden Kolloquiums wird in Kürze über unseren Youtube Channel verfügbar sein.

Poster: Perspectives on the Rights of Nature