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Menschen sind beim Erlernen neuer Kategorien schneller als ein Computer

Neue Studie der Gießener Wahrnehmungspsychologie zeigt Mechanismen bei der Erkennung von Objekten

Nr. 93 • 21. Juni 2022

Menschen sind beim Bilden neuer Kategorien erstaunlich kreativ. Grafiken: Henning Tiedemann

Künstliche Intelligenz entwickelt sich fast beängstigend schnell. Ein Bereich, in dem der Mensch den Computer immer noch übertrifft, ist aber das schnelle Erlernen neuer Konzepte und Kategorien bei der Wahrnehmung von Objekten. Währende Algorithmen zur Objekterkennung in der Regel Tausende von kategorisierten Beispielen sehen müssen, bis sie ähnliche Objekte selbständig erkennen können, scheinen Menschen bemerkenswerterweise von ersten Moment an in der Lage zu sein, Gesehenes zu verallgemeinern – selbst wenn sie nicht wissen, um was es sich dabei handelt. Eine entsprechende Studie aus der Wahrnehmungspsychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ist jetzt in der Fachzeitschrift „eLife“ veröffentlicht worden

„In frühere Studien wurden Versuchspersonen lediglich darum gebeten, Bilder zu vergleichen. Aber das ist einfach: Computer können das auch“, sagt Henning Tiedemann, der die Experimente im Rahmen seiner Doktorarbeit durchgeführt hat. „Wir wollten dagegen testen, ob Menschen tatsächlich ihre eigenen Beispiele für ein neues Konzept generieren können.“ Zu diesem Zweck präsentierten die Forscher Freiwilligen eine Phantasieform und baten sie, neue Beispiele derselben Kategorie auf einem Tablet zu zeichnen. Beim Vergleich der Zeichnungen stellten die Forscher eine erstaunliche Kreativität fest.

„Die Zeichnungen sind so viel vielfältiger als bloße Kopien“, erklärt Prof. Dr. Roland Fleming, der das Forschungsteam leitet. „Dabei sind die neuen Bilder nicht nur zufällige Variationen, sondern sehr systematisch.“ Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Versuchspersonen bestimmte Merkmale der Originalform in ihren Zeichnungen konsequent beibehalten, um sicherzustellen, dass sie zur gleichen Kategorie gehören wie das Original. Andere Aspekte der Formen wurden verzerrt, durcheinander gewürfelt oder ganz entfernt.  Als die Zeichnungen jedoch anderen Beobachtern gezeigt wurden, stimmten sie in Bezug auf die Zugehörigkeit zu den Kategorien weitgehend überein.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir bei der Betrachtung eines neuen Objektes im Kopf ein Modell davon bilden, was es besonders macht. Dieses mentale Modell kann verwendet werden, um sich neue Varianten des Objekts vorzustellen, die zur gleichen Kategorie gehören könnten. „Unsere Studie ist der erste wirklich überzeugende Beweis für die Rolle dieser so genannten ‚generativen Modelle‘ beim Lernen visueller Kategorien“, sagt Tiedemann. „Diese Fähigkeiten sind extrem wichtig, um Objekte zu erkennen“. Unklar ist, wie lange die menschliche Kreativität ihren Vorsprung vor KI-Systemen noch halten kann.

  • Publikation

Henning Tiedemann, Yaniv Morgenstern, Filipp Schmidt, Roland W Fleming (2022): One-shot generalization in humans revealed through a drawing task. eLife 11:e75485.
https://doi.org/10.7554/eLife.75485

  • Kontakt

und Henning Tiedemann, Allgemeine Psychologie
Telefon: 0641 99-26140

 

 

Presse, Kommunikation und Marketing • Justus-Liebig-Universität Gießen • Telefon: 0641 99-12041

Schlagwörter
Forschung