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Terrakotten aus Tarent

Frauenkopf mit Polos und Schleier

Kopf mit Polos und Schleier (?)

Kopf einer Artemis italica mit Löwenfellkappe

 

 

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

Tarent liegt am gleichnamigen Golf im Süden Italiens, in der heutigen Region Apulien. Nach den antiken Quellen wurde es im Jahr 706 v. Chr. von spartanischen Siedlern aus dem griechischen Mutterland gegründet. Als mythischer Stadtgründer (Ktistes) gilt Taras, ein Sohn des Poseidon und einer Nymphe (Pausanias 10, 10, 8). Die Lage auf einer schmalen Landzunge begünstigte die Entwicklung eines geschäftigen Handelshafens und einer blühenden wohlhabenden Stadt. Nach der verheerenden Niederlage der Tarentiner gegen die einheimische Bevölkerung der Iapyger im Jahr 473 v. Chr.[1] lösten demokratische Regierungsformen das aristokratische Herrschaftssystem ab. Unter der Führung des Strategen und Philosophen Archytas erreichte die Stadt Anfang des 4. Jhs. v. Chr. den Höhepunkt ihrer Macht.

Antike Schriftsteller berichten von berühmten Kunstwerken. Die von Lysipp geschaffene Kolossalstatue des Herakles gelangte als Kriegsbeute nach Rom[2]. Vom alten Taras sind nur wenige Monumente erhalten. Auf der Piazza Castello konnten zwei dorische Säulen eines Tempels aus dem 1. Viertel des 6. Jhs. v. Chr. wieder aufgerichtet werden. Ohne stichhaltige Begründung spricht man vom sog. Poseidon-Tempel, doch deutet die Zusammensetzung der geborgenen Weihgeschenke auf die Verehrung einer weiblichen Gottheit hin.

Bereits für das 7. Jh. v. Chr. lässt sich in Tarent figürliche Tonplastik nachweisen. Vor allem zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert v. Chr. stand die Terrakottamanufaktur in hoher Blüte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwachte international das Interesse an Tonfiguren. Legale und illegale Grabungen förderten aus den sog. „stipi“ (Votivdepots, Gruben, Schächte) zehntausende von Terrakottastatuetten. Etwa 20.000 davon gingen z. B. an das Nationalmuseum in Neapel. Zahlreiche Objekte aus Raubgrabungen gelangten über den Kunsthandel in alle Welt.

Die Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität Gießen bewahrt sechs Köpfe von Tonfiguren, die sich an Hand von Eigentümlichkeiten des Stils und der Attribute einer Tarentiner Werkstatt zuordnen lassen. Schriftliche Unterlagen zur Herkunft der Stücke gingen im 2. Weltkrieg verloren.

 


[1] Herodot 7, 170.

[2] Strabon 6, 3, 1.

 

Tarentiner Symposiasten

Unter einem Symposion versteht man das gemeinschaftliche abendliche Gelage von Angehörigen städtischer Eliten in der griechischen Antike. Als feste gesellige Einrichtung dieser Oberschicht hatte das Symposion weitreichende Auswirkungen auf das politische und religiöse Leben, sowie auf Literatur und Kunst. Statuen gelagerter Männer aus Marmor, wie die des Geneleos aus Samos, und Statuetten aus Kalkstein, Bronze oder Terrakotta, geben eine Vorstellung von den Teilnehmern an diesen Veranstaltungen, den Symposiasten[1]. Auf Vasenbildern[2] und Reliefs hat man sie in verschiedenen Phasen des Symposions und bei den unterschiedlichsten Aktivitäten dargestellt. Die Figuren der Tarentiner Gelagerten unterscheiden sich von denjenigen aus anderen Landschaften der griechischen Welt in zweierlei Hinsicht; zum einen durch ihre ungeheure Zahl – allein aus dem „Fondo Giovinazzi“ sollen etwa 25.000 Tonstatuetten, überwiegend Gelagerte, geborgen worden sein – zum anderen durch ihren spezifischen, zum Teil höchst aufwendigen phantasievollen Kopfschmuck. In archaischer und klassischer Zeit brachte man derartige Statuetten den Göttern als Weihgeschenke dar. Um Platz für neue Votive zu schaffen, wurden die früheren abgeräumt und in Depots auf dem Gelände des Heiligtums niedergelegt. In solchen „stipi“ –  Gruben – wurde die Mehrzahl der tönernen Symposiasten, die sich nur ausnahmsweise einer bestimmten Gottheit zuordnen lassen, gefunden.

Die Deutung der Statuetten ist nicht abgeschlossen. Sie gelten als Götterfiguren und als Abbilder heroisierter Verstorbener, oder man sah in ihnen die Selbstdarstellung der städtischen Eliten. Heute versucht man so weit wie möglich den Fundort in die Überlegungen einzubeziehen, und man orientiert sich bei der Interpretation an den unterschiedlichen Zeiten der Anfertigung.    

In der Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität Gießen befinden sich drei Terrakottaköpfe, die sich entsprechend ihren Parallelen den Tarentiner Symposiasten mit Sicherheit zuordnen lassen.



[1] s. B. Freyer-Schauenburg, Samos 11, 1974, 116-118 Nr. 63 Taf. 51; zum Gelagerten grundsätzlich J.M. Dentzer, Le motif du banquet couché dans le proche-orient et le monde grec du VIIème au Ième siècle avant J.C. (Rom 1982) Taf. 24.

[2] Hierzu A. Schäfer, Unterhaltung beim griechischen Symposion (Mainz 1997).

 

Kopf eines Symposiasten mit Kugeldiadem

Kopf eines bärtigen Symposiasten mit Kranz und Binde

Jugendlicher Symposiast mit Kranz und Binde